Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
498.

Erst macht er also Grün zur einfachen Farbe und
erkennt das Gelb und Blau nicht an, woraus es zu-
sammengesetzt ist; dann giebt er ihm ein Uebergewicht
von Gelb, und dieses Uebergewicht von Gelb nimmt
er durch eine Beymischung von Blau wieder weg,
oder vielmehr er verdoppelt nur sein erstes Grün, in-
dem er noch eine Portion neues Grün hinzubringt.
Er weiß aber die Sache ganz anders auszulegen.

499.

Denn das Gelbe und Blaue an jeder Seite, wenn sie in
gleicher Menge sind, ziehen das mittlere Grün auf gleiche
Weise zu sich und halten es wie es war, im Gleichgewicht,
so daß es nicht mehr gegen das Gelbe auf der einen, noch
gegen das Blaue an der andern sich neigt, sondern durch ihre
gemischten Wirkungen als eine Mittelfarbe erscheint.

500.

Wie viel kürzer wär' er davon gekommen, wenn er
der Natur die Ehre erzeigt und das Phänomen, wie
es ist, ausgesprochen hätte, daß nämlich das prisma-
tische Blau und Gelb, die erst im Spectrum getrennt
sind, sich in der Folge verbinden und ein Grün ma-
chen, und daß im Spectrum an kein einfaches Grün
zu denken sey. Was hilft es aber! Ihm und seiner
Schule sind Worte lieber als die Sache.

501.

Zu diesem gemischten Grün kann man noch etwas Roth

498.

Erſt macht er alſo Gruͤn zur einfachen Farbe und
erkennt das Gelb und Blau nicht an, woraus es zu-
ſammengeſetzt iſt; dann giebt er ihm ein Uebergewicht
von Gelb, und dieſes Uebergewicht von Gelb nimmt
er durch eine Beymiſchung von Blau wieder weg,
oder vielmehr er verdoppelt nur ſein erſtes Gruͤn, in-
dem er noch eine Portion neues Gruͤn hinzubringt.
Er weiß aber die Sache ganz anders auszulegen.

499.

Denn das Gelbe und Blaue an jeder Seite, wenn ſie in
gleicher Menge ſind, ziehen das mittlere Gruͤn auf gleiche
Weiſe zu ſich und halten es wie es war, im Gleichgewicht,
ſo daß es nicht mehr gegen das Gelbe auf der einen, noch
gegen das Blaue an der andern ſich neigt, ſondern durch ihre
gemiſchten Wirkungen als eine Mittelfarbe erſcheint.

500.

Wie viel kuͤrzer waͤr’ er davon gekommen, wenn er
der Natur die Ehre erzeigt und das Phaͤnomen, wie
es iſt, ausgeſprochen haͤtte, daß naͤmlich das prisma-
tiſche Blau und Gelb, die erſt im Spectrum getrennt
ſind, ſich in der Folge verbinden und ein Gruͤn ma-
chen, und daß im Spectrum an kein einfaches Gruͤn
zu denken ſey. Was hilft es aber! Ihm und ſeiner
Schule ſind Worte lieber als die Sache.

501.

Zu dieſem gemiſchten Gruͤn kann man noch etwas Roth

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0630" n="576"/>
            <div n="4">
              <head>498.</head><lb/>
              <p>Er&#x017F;t macht er al&#x017F;o Gru&#x0364;n zur einfachen Farbe und<lb/>
erkennt das Gelb und Blau nicht an, woraus es zu-<lb/>
&#x017F;ammenge&#x017F;etzt i&#x017F;t; dann giebt er ihm ein Uebergewicht<lb/>
von Gelb, und die&#x017F;es Uebergewicht von Gelb nimmt<lb/>
er durch eine Beymi&#x017F;chung von Blau wieder weg,<lb/>
oder vielmehr er verdoppelt nur &#x017F;ein er&#x017F;tes Gru&#x0364;n, in-<lb/>
dem er noch eine Portion neues Gru&#x0364;n hinzubringt.<lb/>
Er weiß aber die Sache ganz anders auszulegen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>499.</head><lb/>
              <p>Denn das Gelbe und Blaue an jeder Seite, wenn &#x017F;ie in<lb/>
gleicher Menge &#x017F;ind, ziehen das mittlere Gru&#x0364;n auf gleiche<lb/>
Wei&#x017F;e zu &#x017F;ich und halten es wie es war, im Gleichgewicht,<lb/>
&#x017F;o daß es nicht mehr gegen das Gelbe auf der einen, noch<lb/>
gegen das Blaue an der andern &#x017F;ich neigt, &#x017F;ondern durch ihre<lb/>
gemi&#x017F;chten Wirkungen als eine Mittelfarbe er&#x017F;cheint.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>500.</head><lb/>
              <p>Wie viel ku&#x0364;rzer wa&#x0364;r&#x2019; er davon gekommen, wenn er<lb/>
der Natur die Ehre erzeigt und das Pha&#x0364;nomen, wie<lb/>
es i&#x017F;t, ausge&#x017F;prochen ha&#x0364;tte, daß na&#x0364;mlich das prisma-<lb/>
ti&#x017F;che Blau und Gelb, die er&#x017F;t im Spectrum getrennt<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;ich in der Folge verbinden und ein Gru&#x0364;n ma-<lb/>
chen, und daß im Spectrum an kein einfaches Gru&#x0364;n<lb/>
zu denken &#x017F;ey. Was hilft es aber! Ihm und &#x017F;einer<lb/>
Schule &#x017F;ind Worte lieber als die Sache.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>501.</head><lb/>
              <p>Zu die&#x017F;em gemi&#x017F;chten Gru&#x0364;n kann man noch etwas Roth<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[576/0630] 498. Erſt macht er alſo Gruͤn zur einfachen Farbe und erkennt das Gelb und Blau nicht an, woraus es zu- ſammengeſetzt iſt; dann giebt er ihm ein Uebergewicht von Gelb, und dieſes Uebergewicht von Gelb nimmt er durch eine Beymiſchung von Blau wieder weg, oder vielmehr er verdoppelt nur ſein erſtes Gruͤn, in- dem er noch eine Portion neues Gruͤn hinzubringt. Er weiß aber die Sache ganz anders auszulegen. 499. Denn das Gelbe und Blaue an jeder Seite, wenn ſie in gleicher Menge ſind, ziehen das mittlere Gruͤn auf gleiche Weiſe zu ſich und halten es wie es war, im Gleichgewicht, ſo daß es nicht mehr gegen das Gelbe auf der einen, noch gegen das Blaue an der andern ſich neigt, ſondern durch ihre gemiſchten Wirkungen als eine Mittelfarbe erſcheint. 500. Wie viel kuͤrzer waͤr’ er davon gekommen, wenn er der Natur die Ehre erzeigt und das Phaͤnomen, wie es iſt, ausgeſprochen haͤtte, daß naͤmlich das prisma- tiſche Blau und Gelb, die erſt im Spectrum getrennt ſind, ſich in der Folge verbinden und ein Gruͤn ma- chen, und daß im Spectrum an kein einfaches Gruͤn zu denken ſey. Was hilft es aber! Ihm und ſeiner Schule ſind Worte lieber als die Sache. 501. Zu dieſem gemiſchten Gruͤn kann man noch etwas Roth

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/630
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/630>, abgerufen am 26.04.2024.