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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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74.

Saufsüre sagt in der Beschreibung seiner Reise auf
den Montblanc:

"Eine zweyte nicht uninteressante Bemerkung be-
trifft die Farben der Schatten, die wir trotz der ge-
nausten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich
in der Ebene häufig der Fall gewesen war. Wir sahen
sie im Gegentheil von neun und funfzigmal einmal
gelblich, sechsmal blaßbläulich, achtzehnmal farbenlos
oder schwarz, und vier und dreyßigmal blaßviolet.

Wenn also einige Physiker annehmen, daß diese
Farben mehr von zufälligen in der Luft zerstreuten, den
Schatten ihre eigenthümlichen Nüancen mittheilenden
Dünsten herrühren, nicht aber durch eine bestimmte
Luft- oder reflectirte Himmelsfarbe verursacht werden;
so scheinen jene Beobachtungen ihrer Meynung günstig
zu seyn."

Die von de Saussüre angezeigten Erfahrungen
werden wir nun bequem einrangiren können.

Auf der großen Höhe war der Himmel meisten-
theils rein von Dünsten. Die Sonne wirkte in ihrer
ganzen Kraft auf den weißen Schnee, so daß er dem
Auge völlig weiß erschien, und sie sahen bey dieser Ge-
legenheit die Schatten völlig farbenlos. War die Luft
mit wenigen Dünsten geschwängert und entstand dadurch
ein gelblicher Ton des Schnees, so folgten violette
Schatten und zwar waren diese die meisten. Auch sa-
hen sie bläuliche Schatten, jedoch seltener; und daß die
blauen und violetten nur blaß waren, kam von der
hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schatten-

74.

Saufſuͤre ſagt in der Beſchreibung ſeiner Reiſe auf
den Montblanc:

„Eine zweyte nicht unintereſſante Bemerkung be-
trifft die Farben der Schatten, die wir trotz der ge-
nauſten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich
in der Ebene haͤufig der Fall geweſen war. Wir ſahen
ſie im Gegentheil von neun und funfzigmal einmal
gelblich, ſechsmal blaßblaͤulich, achtzehnmal farbenlos
oder ſchwarz, und vier und dreyßigmal blaßviolet.

Wenn alſo einige Phyſiker annehmen, daß dieſe
Farben mehr von zufaͤlligen in der Luft zerſtreuten, den
Schatten ihre eigenthuͤmlichen Nuͤancen mittheilenden
Duͤnſten herruͤhren, nicht aber durch eine beſtimmte
Luft- oder reflectirte Himmelsfarbe verurſacht werden;
ſo ſcheinen jene Beobachtungen ihrer Meynung guͤnſtig
zu ſeyn.“

Die von de Sauſſuͤre angezeigten Erfahrungen
werden wir nun bequem einrangiren koͤnnen.

Auf der großen Hoͤhe war der Himmel meiſten-
theils rein von Duͤnſten. Die Sonne wirkte in ihrer
ganzen Kraft auf den weißen Schnee, ſo daß er dem
Auge voͤllig weiß erſchien, und ſie ſahen bey dieſer Ge-
legenheit die Schatten voͤllig farbenlos. War die Luft
mit wenigen Duͤnſten geſchwaͤngert und entſtand dadurch
ein gelblicher Ton des Schnees, ſo folgten violette
Schatten und zwar waren dieſe die meiſten. Auch ſa-
hen ſie blaͤuliche Schatten, jedoch ſeltener; und daß die
blauen und violetten nur blaß waren, kam von der
hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schatten-

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[31/0085] 74. Saufſuͤre ſagt in der Beſchreibung ſeiner Reiſe auf den Montblanc: „Eine zweyte nicht unintereſſante Bemerkung be- trifft die Farben der Schatten, die wir trotz der ge- nauſten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich in der Ebene haͤufig der Fall geweſen war. Wir ſahen ſie im Gegentheil von neun und funfzigmal einmal gelblich, ſechsmal blaßblaͤulich, achtzehnmal farbenlos oder ſchwarz, und vier und dreyßigmal blaßviolet. Wenn alſo einige Phyſiker annehmen, daß dieſe Farben mehr von zufaͤlligen in der Luft zerſtreuten, den Schatten ihre eigenthuͤmlichen Nuͤancen mittheilenden Duͤnſten herruͤhren, nicht aber durch eine beſtimmte Luft- oder reflectirte Himmelsfarbe verurſacht werden; ſo ſcheinen jene Beobachtungen ihrer Meynung guͤnſtig zu ſeyn.“ Die von de Sauſſuͤre angezeigten Erfahrungen werden wir nun bequem einrangiren koͤnnen. Auf der großen Hoͤhe war der Himmel meiſten- theils rein von Duͤnſten. Die Sonne wirkte in ihrer ganzen Kraft auf den weißen Schnee, ſo daß er dem Auge voͤllig weiß erſchien, und ſie ſahen bey dieſer Ge- legenheit die Schatten voͤllig farbenlos. War die Luft mit wenigen Duͤnſten geſchwaͤngert und entſtand dadurch ein gelblicher Ton des Schnees, ſo folgten violette Schatten und zwar waren dieſe die meiſten. Auch ſa- hen ſie blaͤuliche Schatten, jedoch ſeltener; und daß die blauen und violetten nur blaß waren, kam von der hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schatten-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/85>, abgerufen am 26.04.2024.