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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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Personen befinden. Indem er eine Abweichung von der
gewöhnlichen Art die Farben zu sehen anzeigt, so ge-
hört er wohl zu den krankhaften; da er aber regel-
mäßig ist, öfter vorkommt, sich auf mehrere Familien-
glieder erstreckt und sich wahrscheinlich nicht heilen läßt,
so stellen wir ihn billig auf die Gränze.

104.

Ich kannte zwey Subjecte, die damit behaftet wa-
ren, nicht über zwanzig Jahr alt; beyde hatten blau-
graue Augen, ein scharfes Gesicht in der Nähe und
Ferne, bey Tages- und Kerzenlicht, und ihre Art die
Farben zu sehen war in der Hauptsache völlig überein-
stimmend.

105.

Mit uns treffen sie zusammen, daß sie Weiß,
Schwarz und Grau nach unsrer Weise benennen; Weiß
sahen sie Beyde ohne Beymischung. Der Eine wollte
bey Schwarz etwas Bräunliches und bey Grau etwas
Röthliches bemerken. Ueberhaupt scheinen sie die Ab-
stufung von Hell und Dunkel sehr zart zu empfinden.

106.

Mit uns scheinen sie Gelb, Rothgelb und Gelb-
roth zu sehen; bey dem letzten sagen sie, sie sähen das
Gelbe gleichsam über dem Roth sch[we]ben, wie lasirt.
Carmin in der Mitte einer Untertasse dicht aufgetrocknet
nannten sie roth.

Perſonen befinden. Indem er eine Abweichung von der
gewoͤhnlichen Art die Farben zu ſehen anzeigt, ſo ge-
hoͤrt er wohl zu den krankhaften; da er aber regel-
maͤßig iſt, oͤfter vorkommt, ſich auf mehrere Familien-
glieder erſtreckt und ſich wahrſcheinlich nicht heilen laͤßt,
ſo ſtellen wir ihn billig auf die Graͤnze.

104.

Ich kannte zwey Subjecte, die damit behaftet wa-
ren, nicht uͤber zwanzig Jahr alt; beyde hatten blau-
graue Augen, ein ſcharfes Geſicht in der Naͤhe und
Ferne, bey Tages- und Kerzenlicht, und ihre Art die
Farben zu ſehen war in der Hauptſache voͤllig uͤberein-
ſtimmend.

105.

Mit uns treffen ſie zuſammen, daß ſie Weiß,
Schwarz und Grau nach unſrer Weiſe benennen; Weiß
ſahen ſie Beyde ohne Beymiſchung. Der Eine wollte
bey Schwarz etwas Braͤunliches und bey Grau etwas
Roͤthliches bemerken. Ueberhaupt ſcheinen ſie die Ab-
ſtufung von Hell und Dunkel ſehr zart zu empfinden.

106.

Mit uns ſcheinen ſie Gelb, Rothgelb und Gelb-
roth zu ſehen; bey dem letzten ſagen ſie, ſie ſaͤhen das
Gelbe gleichſam uͤber dem Roth ſch[we]ben, wie laſirt.
Carmin in der Mitte einer Untertaſſe dicht aufgetrocknet
nannten ſie roth.

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[43/0097] Perſonen befinden. Indem er eine Abweichung von der gewoͤhnlichen Art die Farben zu ſehen anzeigt, ſo ge- hoͤrt er wohl zu den krankhaften; da er aber regel- maͤßig iſt, oͤfter vorkommt, ſich auf mehrere Familien- glieder erſtreckt und ſich wahrſcheinlich nicht heilen laͤßt, ſo ſtellen wir ihn billig auf die Graͤnze. 104. Ich kannte zwey Subjecte, die damit behaftet wa- ren, nicht uͤber zwanzig Jahr alt; beyde hatten blau- graue Augen, ein ſcharfes Geſicht in der Naͤhe und Ferne, bey Tages- und Kerzenlicht, und ihre Art die Farben zu ſehen war in der Hauptſache voͤllig uͤberein- ſtimmend. 105. Mit uns treffen ſie zuſammen, daß ſie Weiß, Schwarz und Grau nach unſrer Weiſe benennen; Weiß ſahen ſie Beyde ohne Beymiſchung. Der Eine wollte bey Schwarz etwas Braͤunliches und bey Grau etwas Roͤthliches bemerken. Ueberhaupt ſcheinen ſie die Ab- ſtufung von Hell und Dunkel ſehr zart zu empfinden. 106. Mit uns ſcheinen ſie Gelb, Rothgelb und Gelb- roth zu ſehen; bey dem letzten ſagen ſie, ſie ſaͤhen das Gelbe gleichſam uͤber dem Roth ſchweben, wie laſirt. Carmin in der Mitte einer Untertaſſe dicht aufgetrocknet nannten ſie roth.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/97>, abgerufen am 26.04.2024.