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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Nüguet's
Farbensystem
.

"Um mich einmal gründlich von der wahrhaften
Ursache der Farben und von dem was ihren Unter-
schied macht zu unterrichten, glaubte ich nichts besseres
thun zu können, als deshalb die Natur zu befragen,
indem ich mit Sorgfalt die vorzüglichsten Verände-
rungen bemerkte, die sich zeigen, wenn Farben her-
vortreten und wechseln, damit ich nachher ein System
feststellen könnte, das auf gründlichen Untersuchungen
ruhte, welche klar und unzweydeutig die Wahrheit be-
zeugten. Und so bemerkte ich"

"Erstlich, daß alle Farben in der Finsterniß ver-
schwanden. Daraus war ich berechtigt zu schließen,
daß das Licht zu den Farben wesentlich erforder-
lich sey."

"Zweytens, daß keine Farben entstehen in einem
völlig durchsichtigen Mittel, so sehr es auch erleuchtet
sey, eben weil darin nichts zugegen ist als Licht ohne
Schatten. Daraus mußte ich schließen, daß der
Schatten eben so wesentlich den Farben sey als
das Licht."

"Drittens bemerkte ich, daß verschiedene Farben
entstehen gerade in der Gegend, wo Licht und Schatten
sich verschiedentlich vermischen, z. B. wenn die Licht-
strahlen auf irgend einen dunklen Körper fielen oder

Nuͤguet’s
Farbenſyſtem
.

„Um mich einmal gruͤndlich von der wahrhaften
Urſache der Farben und von dem was ihren Unter-
ſchied macht zu unterrichten, glaubte ich nichts beſſeres
thun zu koͤnnen, als deshalb die Natur zu befragen,
indem ich mit Sorgfalt die vorzuͤglichſten Veraͤnde-
rungen bemerkte, die ſich zeigen, wenn Farben her-
vortreten und wechſeln, damit ich nachher ein Syſtem
feſtſtellen koͤnnte, das auf gruͤndlichen Unterſuchungen
ruhte, welche klar und unzweydeutig die Wahrheit be-
zeugten. Und ſo bemerkte ich“

„Erſtlich, daß alle Farben in der Finſterniß ver-
ſchwanden. Daraus war ich berechtigt zu ſchließen,
daß das Licht zu den Farben weſentlich erforder-
lich ſey.“

„Zweytens, daß keine Farben entſtehen in einem
voͤllig durchſichtigen Mittel, ſo ſehr es auch erleuchtet
ſey, eben weil darin nichts zugegen iſt als Licht ohne
Schatten. Daraus mußte ich ſchließen, daß der
Schatten eben ſo weſentlich den Farben ſey als
das Licht.“

„Drittens bemerkte ich, daß verſchiedene Farben
entſtehen gerade in der Gegend, wo Licht und Schatten
ſich verſchiedentlich vermiſchen, z. B. wenn die Licht-
ſtrahlen auf irgend einen dunklen Koͤrper fielen oder

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[332/0366] Nuͤguet’s Farbenſyſtem. „Um mich einmal gruͤndlich von der wahrhaften Urſache der Farben und von dem was ihren Unter- ſchied macht zu unterrichten, glaubte ich nichts beſſeres thun zu koͤnnen, als deshalb die Natur zu befragen, indem ich mit Sorgfalt die vorzuͤglichſten Veraͤnde- rungen bemerkte, die ſich zeigen, wenn Farben her- vortreten und wechſeln, damit ich nachher ein Syſtem feſtſtellen koͤnnte, das auf gruͤndlichen Unterſuchungen ruhte, welche klar und unzweydeutig die Wahrheit be- zeugten. Und ſo bemerkte ich“ „Erſtlich, daß alle Farben in der Finſterniß ver- ſchwanden. Daraus war ich berechtigt zu ſchließen, daß das Licht zu den Farben weſentlich erforder- lich ſey.“ „Zweytens, daß keine Farben entſtehen in einem voͤllig durchſichtigen Mittel, ſo ſehr es auch erleuchtet ſey, eben weil darin nichts zugegen iſt als Licht ohne Schatten. Daraus mußte ich ſchließen, daß der Schatten eben ſo weſentlich den Farben ſey als das Licht.“ „Drittens bemerkte ich, daß verſchiedene Farben entſtehen gerade in der Gegend, wo Licht und Schatten ſich verſchiedentlich vermiſchen, z. B. wenn die Licht- ſtrahlen auf irgend einen dunklen Koͤrper fielen oder

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/366>, abgerufen am 26.04.2024.