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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Licht besonders, manches Historische und Dogmatische
recht gut vorbringt. Allein zuletzt, da er auf die New-
tonische Lehre übergehen will, geschieht es durch einen
Sprung, wie denn ja die Lehre selbst durch einen
Sprung in die Physik gekommen. Und wer ein Buch
mit aufmerksamer Theilnahme zu lesen gewohnt ist, wird
sogleich das Unzusammenhängende des Vortrags empfin-
den. Die Lehre kommt von nichts und geht zu nichts.
Er muß sie starr und steif hinlegen, wie sie der Mei-
ster überliefert hat.

Auch zeigt er sich nicht einmal so gewandt, die
schöne Dame in eine dunkle Kammer zu führen, wohin
er ja allenfalls, des Anstands und selbst des bessern
Dialogs wegen, eine Vertraute mitnehmen konnte.
Bloß mit Worten führt er ihr die Phänomene vor,
erklärt sie mit Worten, und die schöne Frau wird
auf der Stelle so gläubig als hundert andre. Sie
braucht auch über die Sache nicht weiter nachzudenken;
sie ist über die Farben auf immer beruhigt. Denn
Himmelblau und Morgenroth, Wiesengrün und Veil-
chenblau, alles entspringt aus Strahlen und noch ein-
mal Strahlen, die so höflich sind sich in Feuer, Wasser,
Luft und Erde, an allen lebendigen und leblosen Ge-
genständen, auf jede Art und Weise, spalten, ver-
schlucken, zurückwerfen und bunt herumstreuen zu lassen.
Und damit glaubt er sie genugsam unterhalten zu ha-
ben, und sie ist überzeugt, genugsam unterrichtet zu
seyn.

Licht beſonders, manches Hiſtoriſche und Dogmatiſche
recht gut vorbringt. Allein zuletzt, da er auf die New-
toniſche Lehre uͤbergehen will, geſchieht es durch einen
Sprung, wie denn ja die Lehre ſelbſt durch einen
Sprung in die Phyſik gekommen. Und wer ein Buch
mit aufmerkſamer Theilnahme zu leſen gewohnt iſt, wird
ſogleich das Unzuſammenhaͤngende des Vortrags empfin-
den. Die Lehre kommt von nichts und geht zu nichts.
Er muß ſie ſtarr und ſteif hinlegen, wie ſie der Mei-
ſter uͤberliefert hat.

Auch zeigt er ſich nicht einmal ſo gewandt, die
ſchoͤne Dame in eine dunkle Kammer zu fuͤhren, wohin
er ja allenfalls, des Anſtands und ſelbſt des beſſern
Dialogs wegen, eine Vertraute mitnehmen konnte.
Bloß mit Worten fuͤhrt er ihr die Phaͤnomene vor,
erklaͤrt ſie mit Worten, und die ſchoͤne Frau wird
auf der Stelle ſo glaͤubig als hundert andre. Sie
braucht auch uͤber die Sache nicht weiter nachzudenken;
ſie iſt uͤber die Farben auf immer beruhigt. Denn
Himmelblau und Morgenroth, Wieſengruͤn und Veil-
chenblau, alles entſpringt aus Strahlen und noch ein-
mal Strahlen, die ſo hoͤflich ſind ſich in Feuer, Waſſer,
Luft und Erde, an allen lebendigen und lebloſen Ge-
genſtaͤnden, auf jede Art und Weiſe, ſpalten, ver-
ſchlucken, zuruͤckwerfen und bunt herumſtreuen zu laſſen.
Und damit glaubt er ſie genugſam unterhalten zu ha-
ben, und ſie iſt uͤberzeugt, genugſam unterrichtet zu
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[519/0553] Licht beſonders, manches Hiſtoriſche und Dogmatiſche recht gut vorbringt. Allein zuletzt, da er auf die New- toniſche Lehre uͤbergehen will, geſchieht es durch einen Sprung, wie denn ja die Lehre ſelbſt durch einen Sprung in die Phyſik gekommen. Und wer ein Buch mit aufmerkſamer Theilnahme zu leſen gewohnt iſt, wird ſogleich das Unzuſammenhaͤngende des Vortrags empfin- den. Die Lehre kommt von nichts und geht zu nichts. Er muß ſie ſtarr und ſteif hinlegen, wie ſie der Mei- ſter uͤberliefert hat. Auch zeigt er ſich nicht einmal ſo gewandt, die ſchoͤne Dame in eine dunkle Kammer zu fuͤhren, wohin er ja allenfalls, des Anſtands und ſelbſt des beſſern Dialogs wegen, eine Vertraute mitnehmen konnte. Bloß mit Worten fuͤhrt er ihr die Phaͤnomene vor, erklaͤrt ſie mit Worten, und die ſchoͤne Frau wird auf der Stelle ſo glaͤubig als hundert andre. Sie braucht auch uͤber die Sache nicht weiter nachzudenken; ſie iſt uͤber die Farben auf immer beruhigt. Denn Himmelblau und Morgenroth, Wieſengruͤn und Veil- chenblau, alles entſpringt aus Strahlen und noch ein- mal Strahlen, die ſo hoͤflich ſind ſich in Feuer, Waſſer, Luft und Erde, an allen lebendigen und lebloſen Ge- genſtaͤnden, auf jede Art und Weiſe, ſpalten, ver- ſchlucken, zuruͤckwerfen und bunt herumſtreuen zu laſſen. Und damit glaubt er ſie genugſam unterhalten zu ha- ben, und ſie iſt uͤberzeugt, genugſam unterrichtet zu ſeyn.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/553>, abgerufen am 26.04.2024.