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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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ich seyn. O meine Beste, in diesem zerrissenen
Herzen ist es wüthend herum geschlichen, oft --
Deinen Mann zu ermorden! -- Dich! -- mich! --
So sey's denn! -- Wenn du hinauf steigst auf
den Berg, an einem schönen Sommerabende, dann
erinnere Dich meiner, wie ich so oft das Thal
herauf kam, und dann blikke nach dem Kirchhofe
hinüber nach meinem Grabe, wie der Wind das
hohe Gras im Schein der sinkenden Sonne, hin
und her wiegt. -- Jch war ruhig da ich anfieng,
und nun wein ich wie ein Kind, da mir all das
so lebhaft um mich wird. --



Gegen zehn Uhr rufte Werther seinem Be-
dienten, und unter dem Anziehen sagte er ihm:
wie er in einigen Tagen verreisen würde, er solle
daher die Kleider auskehren, und alles zum Ein-
pakken zurechte machen, auch gab er ihm Befehl,
überall Contis zu fordern, einige ausgeliehene Bü-
cher abzuholen, und einigen Armen, denen er wö-
chentlich etwas zu geben gewohnt war, ihr Zuge-
theiltes auf zwey Monathe voraus zu bezahlen.

Er



ich ſeyn. O meine Beſte, in dieſem zerriſſenen
Herzen iſt es wuͤthend herum geſchlichen, oft —
Deinen Mann zu ermorden! — Dich! — mich! —
So ſey’s denn! — Wenn du hinauf ſteigſt auf
den Berg, an einem ſchoͤnen Sommerabende, dann
erinnere Dich meiner, wie ich ſo oft das Thal
herauf kam, und dann blikke nach dem Kirchhofe
hinuͤber nach meinem Grabe, wie der Wind das
hohe Gras im Schein der ſinkenden Sonne, hin
und her wiegt. — Jch war ruhig da ich anfieng,
und nun wein ich wie ein Kind, da mir all das
ſo lebhaft um mich wird. —



Gegen zehn Uhr rufte Werther ſeinem Be-
dienten, und unter dem Anziehen ſagte er ihm:
wie er in einigen Tagen verreiſen wuͤrde, er ſolle
daher die Kleider auskehren, und alles zum Ein-
pakken zurechte machen, auch gab er ihm Befehl,
uͤberall Contis zu fordern, einige ausgeliehene Buͤ-
cher abzuholen, und einigen Armen, denen er woͤ-
chentlich etwas zu geben gewohnt war, ihr Zuge-
theiltes auf zwey Monathe voraus zu bezahlen.

Er
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[187/0075] ich ſeyn. O meine Beſte, in dieſem zerriſſenen Herzen iſt es wuͤthend herum geſchlichen, oft — Deinen Mann zu ermorden! — Dich! — mich! — So ſey’s denn! — Wenn du hinauf ſteigſt auf den Berg, an einem ſchoͤnen Sommerabende, dann erinnere Dich meiner, wie ich ſo oft das Thal herauf kam, und dann blikke nach dem Kirchhofe hinuͤber nach meinem Grabe, wie der Wind das hohe Gras im Schein der ſinkenden Sonne, hin und her wiegt. — Jch war ruhig da ich anfieng, und nun wein ich wie ein Kind, da mir all das ſo lebhaft um mich wird. — Gegen zehn Uhr rufte Werther ſeinem Be- dienten, und unter dem Anziehen ſagte er ihm: wie er in einigen Tagen verreiſen wuͤrde, er ſolle daher die Kleider auskehren, und alles zum Ein- pakken zurechte machen, auch gab er ihm Befehl, uͤberall Contis zu fordern, einige ausgeliehene Buͤ- cher abzuholen, und einigen Armen, denen er woͤ- chentlich etwas zu geben gewohnt war, ihr Zuge- theiltes auf zwey Monathe voraus zu bezahlen. Er

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/75>, abgerufen am 27.04.2024.