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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Briefe aus Antwerpen.
Aus den Papieren eines reisenden Deutschen.


I.

..... Und trotz aller dieser Kunstschätze und großartigen Monumente
des Bürgerfleißes, drängte mich mein Interesse vor Allem nach der Cita¬
delle hin. Mir war es, als wäre diese das Haupt der Stadt, und alles
übrige nur Leib, Arme und Beine. Ich frug mich selbst, was mich fried¬
lichen Menschen, den ein blutiger Finger erschüttern kann, so sehr nach dem
Schauplatz des Krieges und des Gemetzels hinlockte; aber ich fand auch die
Erklärung in mir selbst. Wir Deutschen, die wir an der Milch Schiller¬
scher und Goethescher Poesieen auferzogen sind, wir denken auch bei der Reise
durch die belgischen Provinzen, bei jeder Erscheinung zuerst an die Eindrücke
unserer Jugend. Der poetische Klang, das romantische Licht, welche an
diesem oder jenen niederländischen Namen haften, ist das erste was uns bei
Nennung desselben vor die Seele kömmt. Der Abfall der Niederlande,
der Don Carlos, der Egmont, sind überall unsere Ciceroni, und wir müs¬
sen lange in einer Stadt bleiben und nach allen Seiten hin mit Eifer uns
unterrichten, bevor wir von der Schillerschen idealistischen Färbung uns los¬
machen und emanz[i]piren.

Die Belagerung von Antwerpen ist ohnstreitig die lebendigste und rei¬
zendste Episode der Schillerschen Abfallsgeschichte, und gewiß ist es dieser
Theil der Antwerpner Geschichte, der jedem jungen Deutschen bei der erst¬
maligen Nennung der Stadt einfällt.

Darum drängte es auch mich vor Allem nach jenem Schauplatze
hin, der meiner Knabenphantasie so bunten Stoff zu üppiger Schwelgerei
gegeben.

Ich hatte meinen Empfehlungsbrief an den Festungskommandanten, den
Herrn Major B**** abgegeben. Die hohe Wichtigkeit des Postens, so
wie die vielen Schilderungen, die man mir von den seltenen Kenntnissen die-

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Briefe aus Antwerpen.
Aus den Papieren eines reisenden Deutschen.


I.

..... Und trotz aller dieser Kunstschätze und großartigen Monumente
des Bürgerfleißes, drängte mich mein Interesse vor Allem nach der Cita¬
delle hin. Mir war es, als wäre diese das Haupt der Stadt, und alles
übrige nur Leib, Arme und Beine. Ich frug mich selbst, was mich fried¬
lichen Menschen, den ein blutiger Finger erschüttern kann, so sehr nach dem
Schauplatz des Krieges und des Gemetzels hinlockte; aber ich fand auch die
Erklärung in mir selbst. Wir Deutschen, die wir an der Milch Schiller¬
scher und Goethescher Poesieen auferzogen sind, wir denken auch bei der Reise
durch die belgischen Provinzen, bei jeder Erscheinung zuerst an die Eindrücke
unserer Jugend. Der poetische Klang, das romantische Licht, welche an
diesem oder jenen niederländischen Namen haften, ist das erste was uns bei
Nennung desselben vor die Seele kömmt. Der Abfall der Niederlande,
der Don Carlos, der Egmont, sind überall unsere Ciceroni, und wir müs¬
sen lange in einer Stadt bleiben und nach allen Seiten hin mit Eifer uns
unterrichten, bevor wir von der Schillerschen idealistischen Färbung uns los¬
machen und emanz[i]piren.

Die Belagerung von Antwerpen ist ohnstreitig die lebendigste und rei¬
zendste Episode der Schillerschen Abfallsgeschichte, und gewiß ist es dieser
Theil der Antwerpner Geschichte, der jedem jungen Deutschen bei der erst¬
maligen Nennung der Stadt einfällt.

Darum drängte es auch mich vor Allem nach jenem Schauplatze
hin, der meiner Knabenphantasie so bunten Stoff zu üppiger Schwelgerei
gegeben.

Ich hatte meinen Empfehlungsbrief an den Festungskommandanten, den
Herrn Major B**** abgegeben. Die hohe Wichtigkeit des Postens, so
wie die vielen Schilderungen, die man mir von den seltenen Kenntnissen die-

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[205/0213] Briefe aus Antwerpen. Aus den Papieren eines reisenden Deutschen. I. ..... Und trotz aller dieser Kunstschätze und großartigen Monumente des Bürgerfleißes, drängte mich mein Interesse vor Allem nach der Cita¬ delle hin. Mir war es, als wäre diese das Haupt der Stadt, und alles übrige nur Leib, Arme und Beine. Ich frug mich selbst, was mich fried¬ lichen Menschen, den ein blutiger Finger erschüttern kann, so sehr nach dem Schauplatz des Krieges und des Gemetzels hinlockte; aber ich fand auch die Erklärung in mir selbst. Wir Deutschen, die wir an der Milch Schiller¬ scher und Goethescher Poesieen auferzogen sind, wir denken auch bei der Reise durch die belgischen Provinzen, bei jeder Erscheinung zuerst an die Eindrücke unserer Jugend. Der poetische Klang, das romantische Licht, welche an diesem oder jenen niederländischen Namen haften, ist das erste was uns bei Nennung desselben vor die Seele kömmt. Der Abfall der Niederlande, der Don Carlos, der Egmont, sind überall unsere Ciceroni, und wir müs¬ sen lange in einer Stadt bleiben und nach allen Seiten hin mit Eifer uns unterrichten, bevor wir von der Schillerschen idealistischen Färbung uns los¬ machen und emanzipiren. Die Belagerung von Antwerpen ist ohnstreitig die lebendigste und rei¬ zendste Episode der Schillerschen Abfallsgeschichte, und gewiß ist es dieser Theil der Antwerpner Geschichte, der jedem jungen Deutschen bei der erst¬ maligen Nennung der Stadt einfällt. Darum drängte es auch mich vor Allem nach jenem Schauplatze hin, der meiner Knabenphantasie so bunten Stoff zu üppiger Schwelgerei gegeben. Ich hatte meinen Empfehlungsbrief an den Festungskommandanten, den Herrn Major B**** abgegeben. Die hohe Wichtigkeit des Postens, so wie die vielen Schilderungen, die man mir von den seltenen Kenntnissen die- 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/213>, abgerufen am 26.04.2024.