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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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und sich überstürzend; endlich der Liebling Oestreichs "ut Preußens, Herr v.
Blittersdorf, ein feiner Kopf und lebhafter Redner, der gefährlichste Gegner,
den die Opposition zu bekämpfen hat. Die Talente der ministeriellen Partei
sind sparsam ausgesäet; Tresurt ist der bedeutendste unter ihnen. Das Centrum
hat zu seine" Führern Bekk, Bader, Martin, Posselt, Mordes, die abwccl>
seind bald mit der Linken, bald mit den Ministeriellen stimmen. Die Linke
wird von v. Itzstein, Sander und Welcker geleitet. Itzstein ist ein Siebenziger,
aber mit jugendlicher Frische begabt: er spricht gelassen, aber mit schneidender
Ironie; es ist der einflußreichste Mann der Kammer. Welcker steht häufig
isolirt, ein guter, aber maßloser Redner, der oft ermüdend wird. Sander ist
ein vortrefflicher Jmprovisator, reich ein Einfällen, den Effect verstehend.
Einige jüngere Talente gewann die Kammer an den Abgeordneten Bassermann
und Gottschall, welche sich zur Opposition geschlagen haben.




-- Die Religion in Deutschland.--

Während die Berliner und Königsberger Blätter über den Verein der
Freien berichten, die sich von allem Glauben lossagen, meldet die A. A. A-,
daß der Jubiläums-Ablaß, den der Pabst angeordnet, die Kirchen mit An"
dächtigen füllt, so daß in einer einzigen Stunde, und in ein und derselben
Kirche über MO Personen zur Beichte gehen. Auf der andern Seite treten
in Berlin 500 Protestanten zusammen, die das heilige Grab erobern wollen,
während mehrere I'udenfamilien aus den Rheinprovinzen in Paris und Brüssel
Erkundigungen einziehen und Unterhandlungen einleiten, um im Falle, daß das
preußische Edict, das sie vom Militärdienste lossprechen soll, wirklich publi-
cirt würde, in jene Städte übersiedeln zu können,




-- Pariser Theater. --

Im Theater Se. Martin macht eine Schauspielerin, welche die Tochter
eines Deutschen ist und das Deutsche auch sehr gut spricht, Furore., Ihr
Name ist Demoiselle Klotz. Dieser Klotz scheint sehr bildsam gewesen zu
sein.--Rubini wird wieder austreten: er hat jedoch die Decorirung
init dem Kreuze der Ehrenlegion zur "on,Ali", sin" qua non gemacht. Ein
neues Lustspiel in 5 Acten: "Paris in der Nacht" wird ein fetter Bissen für
deutsche Uebersetzer sein. Die Anlage hat Ähnlichkeit mit dem bekannten:
,,Nach Sonnenuntergang." Die Rachel spielt in London vor leeren Häusern:
ihre Feinde frohlocken. Sie wird jedoch erst im September wieder zurück¬
kehren, da sie in Brüssel gastiren soll. Ein Vaudeville ist eingereicht worden,
das Talma zum Helden hat; ein andres führt den Titel-'Spinoza. --
Spinoza im Vaudeville! Da haben die Deutschen doch wenigstens einen Ro¬
man aus ihm gemacht. Ob wohl der französische Theaterdichter B. Auer.
bach's Buch gelesen hat?




Druck von Friedrich Andrä in Leipzig.

und sich überstürzend; endlich der Liebling Oestreichs «ut Preußens, Herr v.
Blittersdorf, ein feiner Kopf und lebhafter Redner, der gefährlichste Gegner,
den die Opposition zu bekämpfen hat. Die Talente der ministeriellen Partei
sind sparsam ausgesäet; Tresurt ist der bedeutendste unter ihnen. Das Centrum
hat zu seine» Führern Bekk, Bader, Martin, Posselt, Mordes, die abwccl>
seind bald mit der Linken, bald mit den Ministeriellen stimmen. Die Linke
wird von v. Itzstein, Sander und Welcker geleitet. Itzstein ist ein Siebenziger,
aber mit jugendlicher Frische begabt: er spricht gelassen, aber mit schneidender
Ironie; es ist der einflußreichste Mann der Kammer. Welcker steht häufig
isolirt, ein guter, aber maßloser Redner, der oft ermüdend wird. Sander ist
ein vortrefflicher Jmprovisator, reich ein Einfällen, den Effect verstehend.
Einige jüngere Talente gewann die Kammer an den Abgeordneten Bassermann
und Gottschall, welche sich zur Opposition geschlagen haben.




— Die Religion in Deutschland.--

Während die Berliner und Königsberger Blätter über den Verein der
Freien berichten, die sich von allem Glauben lossagen, meldet die A. A. A-,
daß der Jubiläums-Ablaß, den der Pabst angeordnet, die Kirchen mit An«
dächtigen füllt, so daß in einer einzigen Stunde, und in ein und derselben
Kirche über MO Personen zur Beichte gehen. Auf der andern Seite treten
in Berlin 500 Protestanten zusammen, die das heilige Grab erobern wollen,
während mehrere I'udenfamilien aus den Rheinprovinzen in Paris und Brüssel
Erkundigungen einziehen und Unterhandlungen einleiten, um im Falle, daß das
preußische Edict, das sie vom Militärdienste lossprechen soll, wirklich publi-
cirt würde, in jene Städte übersiedeln zu können,




— Pariser Theater. —

Im Theater Se. Martin macht eine Schauspielerin, welche die Tochter
eines Deutschen ist und das Deutsche auch sehr gut spricht, Furore., Ihr
Name ist Demoiselle Klotz. Dieser Klotz scheint sehr bildsam gewesen zu
sein.--Rubini wird wieder austreten: er hat jedoch die Decorirung
init dem Kreuze der Ehrenlegion zur «on,Ali», sin« qua non gemacht. Ein
neues Lustspiel in 5 Acten: „Paris in der Nacht" wird ein fetter Bissen für
deutsche Uebersetzer sein. Die Anlage hat Ähnlichkeit mit dem bekannten:
,,Nach Sonnenuntergang." Die Rachel spielt in London vor leeren Häusern:
ihre Feinde frohlocken. Sie wird jedoch erst im September wieder zurück¬
kehren, da sie in Brüssel gastiren soll. Ein Vaudeville ist eingereicht worden,
das Talma zum Helden hat; ein andres führt den Titel-'Spinoza. —
Spinoza im Vaudeville! Da haben die Deutschen doch wenigstens einen Ro¬
man aus ihm gemacht. Ob wohl der französische Theaterdichter B. Auer.
bach's Buch gelesen hat?




Druck von Friedrich Andrä in Leipzig.
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[0104] und sich überstürzend; endlich der Liebling Oestreichs «ut Preußens, Herr v. Blittersdorf, ein feiner Kopf und lebhafter Redner, der gefährlichste Gegner, den die Opposition zu bekämpfen hat. Die Talente der ministeriellen Partei sind sparsam ausgesäet; Tresurt ist der bedeutendste unter ihnen. Das Centrum hat zu seine» Führern Bekk, Bader, Martin, Posselt, Mordes, die abwccl> seind bald mit der Linken, bald mit den Ministeriellen stimmen. Die Linke wird von v. Itzstein, Sander und Welcker geleitet. Itzstein ist ein Siebenziger, aber mit jugendlicher Frische begabt: er spricht gelassen, aber mit schneidender Ironie; es ist der einflußreichste Mann der Kammer. Welcker steht häufig isolirt, ein guter, aber maßloser Redner, der oft ermüdend wird. Sander ist ein vortrefflicher Jmprovisator, reich ein Einfällen, den Effect verstehend. Einige jüngere Talente gewann die Kammer an den Abgeordneten Bassermann und Gottschall, welche sich zur Opposition geschlagen haben. — Die Religion in Deutschland.-- Während die Berliner und Königsberger Blätter über den Verein der Freien berichten, die sich von allem Glauben lossagen, meldet die A. A. A-, daß der Jubiläums-Ablaß, den der Pabst angeordnet, die Kirchen mit An« dächtigen füllt, so daß in einer einzigen Stunde, und in ein und derselben Kirche über MO Personen zur Beichte gehen. Auf der andern Seite treten in Berlin 500 Protestanten zusammen, die das heilige Grab erobern wollen, während mehrere I'udenfamilien aus den Rheinprovinzen in Paris und Brüssel Erkundigungen einziehen und Unterhandlungen einleiten, um im Falle, daß das preußische Edict, das sie vom Militärdienste lossprechen soll, wirklich publi- cirt würde, in jene Städte übersiedeln zu können, — Pariser Theater. — Im Theater Se. Martin macht eine Schauspielerin, welche die Tochter eines Deutschen ist und das Deutsche auch sehr gut spricht, Furore., Ihr Name ist Demoiselle Klotz. Dieser Klotz scheint sehr bildsam gewesen zu sein.--Rubini wird wieder austreten: er hat jedoch die Decorirung init dem Kreuze der Ehrenlegion zur «on,Ali», sin« qua non gemacht. Ein neues Lustspiel in 5 Acten: „Paris in der Nacht" wird ein fetter Bissen für deutsche Uebersetzer sein. Die Anlage hat Ähnlichkeit mit dem bekannten: ,,Nach Sonnenuntergang." Die Rachel spielt in London vor leeren Häusern: ihre Feinde frohlocken. Sie wird jedoch erst im September wieder zurück¬ kehren, da sie in Brüssel gastiren soll. Ein Vaudeville ist eingereicht worden, das Talma zum Helden hat; ein andres führt den Titel-'Spinoza. — Spinoza im Vaudeville! Da haben die Deutschen doch wenigstens einen Ro¬ man aus ihm gemacht. Ob wohl der französische Theaterdichter B. Auer. bach's Buch gelesen hat? Druck von Friedrich Andrä in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/104>, abgerufen am 03.05.2024.