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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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stehen, gewinnen in solchen geschichtlichen Werken ein sehr sicheres
Moment zur Charakterisierung und Beurtheilung der Richtung, wel¬
cher der Historiker angehört; denn die entfernte Geschichtsepoche
wird zum Medium, durch welches hindurch die Gesinnungen der
Parteien sich deutlich und klar abspiegeln zu einem Bilde, das nicht
getrübt ist von der Hitze des TageökampfeS, noch falsch gefärbt durch
künstlich Angeeignetes, womit die Parteien in den Streitigkeiten der
Gegenwart häufig ihre Kräfte zu verstärken suchen.




I.
Philipp it.

"Wenn man in den meisten belgischen Schriftstellern die Ge¬
schichte der Umwälzungen des 16. Jahrhunderts liest, meint man
protestantische und holländische Schriftsteller zu hören. Alle Lobes¬
erhebungen sind für die Insurgenten; sie allein haben die Rechte
deö Volks und seine Freiheiten vertheidigt. Nur deö Fürsten von
Nassau erhabene Vaterlandsliebe und Uneigennützigkeit sind bewund-
rungswerth. Die Bilderstürmer, selbst die Gueusen haben bei uns
Lobredner, Geschichtschreiber, Dichter und Romanschreiber gefunden.
Man betrachtet als eine schmachvolle Feigheit den Vertrag, durch
welchen endlich ein Theil der Niederlande wieder unter die Herr¬
schaft eines katholischen Königs kam, und doch würde es ohne die¬
sen Vertrag seit der Reformation kein Belgien mehr geben. Diejeni¬
gen unsrer Schriftsteller, welche diese Meinungen nicht theilen, haben
es nicht gewagt, ihnen offen zu widersprechen, aus Furcht, als
Helfershelfer d er Inquisition und des Despotismus
behandelt zu werden; denn heutzutage übt die unduldsame Presse,
die voll unwissender Vorurtheile ist, einen Einfluß aus, gegen den
sich zu erheben, nur sehr wenig Männer Muth genug besitzen. So
hat diese einseitige Darstellung drei Jahrhunderte hindurch bis auf
unsere Zeit herab sich fortpflanzen und behaupten können."

"Was mir den Muth verleiht, einige Betrachtungen über diese
so wichtige Epoche unsrer Geschichte hier niederzulegen, das sind die
neuen bei uns und im Auslande hierüber veröffentlichten Werke ;


stehen, gewinnen in solchen geschichtlichen Werken ein sehr sicheres
Moment zur Charakterisierung und Beurtheilung der Richtung, wel¬
cher der Historiker angehört; denn die entfernte Geschichtsepoche
wird zum Medium, durch welches hindurch die Gesinnungen der
Parteien sich deutlich und klar abspiegeln zu einem Bilde, das nicht
getrübt ist von der Hitze des TageökampfeS, noch falsch gefärbt durch
künstlich Angeeignetes, womit die Parteien in den Streitigkeiten der
Gegenwart häufig ihre Kräfte zu verstärken suchen.




I.
Philipp it.

„Wenn man in den meisten belgischen Schriftstellern die Ge¬
schichte der Umwälzungen des 16. Jahrhunderts liest, meint man
protestantische und holländische Schriftsteller zu hören. Alle Lobes¬
erhebungen sind für die Insurgenten; sie allein haben die Rechte
deö Volks und seine Freiheiten vertheidigt. Nur deö Fürsten von
Nassau erhabene Vaterlandsliebe und Uneigennützigkeit sind bewund-
rungswerth. Die Bilderstürmer, selbst die Gueusen haben bei uns
Lobredner, Geschichtschreiber, Dichter und Romanschreiber gefunden.
Man betrachtet als eine schmachvolle Feigheit den Vertrag, durch
welchen endlich ein Theil der Niederlande wieder unter die Herr¬
schaft eines katholischen Königs kam, und doch würde es ohne die¬
sen Vertrag seit der Reformation kein Belgien mehr geben. Diejeni¬
gen unsrer Schriftsteller, welche diese Meinungen nicht theilen, haben
es nicht gewagt, ihnen offen zu widersprechen, aus Furcht, als
Helfershelfer d er Inquisition und des Despotismus
behandelt zu werden; denn heutzutage übt die unduldsame Presse,
die voll unwissender Vorurtheile ist, einen Einfluß aus, gegen den
sich zu erheben, nur sehr wenig Männer Muth genug besitzen. So
hat diese einseitige Darstellung drei Jahrhunderte hindurch bis auf
unsere Zeit herab sich fortpflanzen und behaupten können."

„Was mir den Muth verleiht, einige Betrachtungen über diese
so wichtige Epoche unsrer Geschichte hier niederzulegen, das sind die
neuen bei uns und im Auslande hierüber veröffentlichten Werke ;


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[0136] stehen, gewinnen in solchen geschichtlichen Werken ein sehr sicheres Moment zur Charakterisierung und Beurtheilung der Richtung, wel¬ cher der Historiker angehört; denn die entfernte Geschichtsepoche wird zum Medium, durch welches hindurch die Gesinnungen der Parteien sich deutlich und klar abspiegeln zu einem Bilde, das nicht getrübt ist von der Hitze des TageökampfeS, noch falsch gefärbt durch künstlich Angeeignetes, womit die Parteien in den Streitigkeiten der Gegenwart häufig ihre Kräfte zu verstärken suchen. I. Philipp it. „Wenn man in den meisten belgischen Schriftstellern die Ge¬ schichte der Umwälzungen des 16. Jahrhunderts liest, meint man protestantische und holländische Schriftsteller zu hören. Alle Lobes¬ erhebungen sind für die Insurgenten; sie allein haben die Rechte deö Volks und seine Freiheiten vertheidigt. Nur deö Fürsten von Nassau erhabene Vaterlandsliebe und Uneigennützigkeit sind bewund- rungswerth. Die Bilderstürmer, selbst die Gueusen haben bei uns Lobredner, Geschichtschreiber, Dichter und Romanschreiber gefunden. Man betrachtet als eine schmachvolle Feigheit den Vertrag, durch welchen endlich ein Theil der Niederlande wieder unter die Herr¬ schaft eines katholischen Königs kam, und doch würde es ohne die¬ sen Vertrag seit der Reformation kein Belgien mehr geben. Diejeni¬ gen unsrer Schriftsteller, welche diese Meinungen nicht theilen, haben es nicht gewagt, ihnen offen zu widersprechen, aus Furcht, als Helfershelfer d er Inquisition und des Despotismus behandelt zu werden; denn heutzutage übt die unduldsame Presse, die voll unwissender Vorurtheile ist, einen Einfluß aus, gegen den sich zu erheben, nur sehr wenig Männer Muth genug besitzen. So hat diese einseitige Darstellung drei Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Zeit herab sich fortpflanzen und behaupten können." „Was mir den Muth verleiht, einige Betrachtungen über diese so wichtige Epoche unsrer Geschichte hier niederzulegen, das sind die neuen bei uns und im Auslande hierüber veröffentlichten Werke ;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/136>, abgerufen am 03.05.2024.