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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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O, wenn ich doch im Stande wäre, vermittelst der menschlichen
Sprache meinen irdischen Brüdern alle die Empfindungen mitzuthei¬
len, die bet Anschauung dieser poetischen Herrlichkeiten der allmäch¬
tigen Natur in mir wach wurden! Aber ich fühle es nur zu sehr,
wie unmöglich ein solches Beginnen ist. Auf der Leinwand würde
es mir vielleicht gelingen, einen schwachen Abglanz des Gemäldes
hervorzubringen, das ich hier mit unzureichenden Worten in dürftigen
Umrissen meinen Lesern vorzuführen gesucht.




Jeder Maler sieht die Gegenstände in Bezug auf ihre Farbe auf eine
ihm eigene Weise.

Wenn vier Maler eine Reise außer ihrem Vaterlande unter¬
nehmen, behufs einer Vervollkommnung in ihrer Kunst, so ist es na¬
türlich, daß sie selbst in ihren Mußestunden sich noch mit dem Gegenstand
ihrer Studien beschäftigen, daß sie ihre Meinungen und Ansichten
hierüber austauschen, daß sie ohne leidenschaftliche Aufregung hier¬
über streiten, daß sie eine Menge wichtiger Fragen von allen Ge¬
sichtspunkten aus beleuchten, um zu einer gründlicheren, ausgedehn¬
teren Kenntniß ihrer Kunst zu gelangen. Ich glaube nichts Unnützes
zu thun, wenn ich hier ein Fragment einer Unterhaltung über die
verschiedenen Arten, wie die Maler die Gegenstände in Bezug auf
ihre Farbe betrachten, mittheile.

Herr manu. "Sieh einmal, Rudolph, diese blau-violett gefärbte
° Fernsicht."

Rudolph. "Eine blau-violette Fernsicht, Du spaßest wohl! Man
sagt, daß die Art und Weise, wie die Menschen eine Sache se¬
hen, eben so verschieden ist, als ihre Art, etwas zu beurthei¬
len. Und in der That kann es wohl auch nicht gut anders
sein; denn Letzteres ist ja nur die Folge des Ersteren. Ich
kann Dich versichern, Herrmann, daß ich nichts Violettes in
dieser Fernsicht erblicke, dagegen bemerke ich, daß ein sehr denk--
lich ausgesprochener grün-blauer Ton darin herrscht."

Herrmann. "Ist das möglichI Ein grün-blauer Ton, sagst
Du? In Wahrheit, armer Junge, mir scheint, der Bleichart
von gestern Abend spukt Dir noch im Kopfe und trübt Dein
Auge."


O, wenn ich doch im Stande wäre, vermittelst der menschlichen
Sprache meinen irdischen Brüdern alle die Empfindungen mitzuthei¬
len, die bet Anschauung dieser poetischen Herrlichkeiten der allmäch¬
tigen Natur in mir wach wurden! Aber ich fühle es nur zu sehr,
wie unmöglich ein solches Beginnen ist. Auf der Leinwand würde
es mir vielleicht gelingen, einen schwachen Abglanz des Gemäldes
hervorzubringen, das ich hier mit unzureichenden Worten in dürftigen
Umrissen meinen Lesern vorzuführen gesucht.




Jeder Maler sieht die Gegenstände in Bezug auf ihre Farbe auf eine
ihm eigene Weise.

Wenn vier Maler eine Reise außer ihrem Vaterlande unter¬
nehmen, behufs einer Vervollkommnung in ihrer Kunst, so ist es na¬
türlich, daß sie selbst in ihren Mußestunden sich noch mit dem Gegenstand
ihrer Studien beschäftigen, daß sie ihre Meinungen und Ansichten
hierüber austauschen, daß sie ohne leidenschaftliche Aufregung hier¬
über streiten, daß sie eine Menge wichtiger Fragen von allen Ge¬
sichtspunkten aus beleuchten, um zu einer gründlicheren, ausgedehn¬
teren Kenntniß ihrer Kunst zu gelangen. Ich glaube nichts Unnützes
zu thun, wenn ich hier ein Fragment einer Unterhaltung über die
verschiedenen Arten, wie die Maler die Gegenstände in Bezug auf
ihre Farbe betrachten, mittheile.

Herr manu. „Sieh einmal, Rudolph, diese blau-violett gefärbte
° Fernsicht."

Rudolph. „Eine blau-violette Fernsicht, Du spaßest wohl! Man
sagt, daß die Art und Weise, wie die Menschen eine Sache se¬
hen, eben so verschieden ist, als ihre Art, etwas zu beurthei¬
len. Und in der That kann es wohl auch nicht gut anders
sein; denn Letzteres ist ja nur die Folge des Ersteren. Ich
kann Dich versichern, Herrmann, daß ich nichts Violettes in
dieser Fernsicht erblicke, dagegen bemerke ich, daß ein sehr denk--
lich ausgesprochener grün-blauer Ton darin herrscht."

Herrmann. „Ist das möglichI Ein grün-blauer Ton, sagst
Du? In Wahrheit, armer Junge, mir scheint, der Bleichart
von gestern Abend spukt Dir noch im Kopfe und trübt Dein
Auge."


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[0365] O, wenn ich doch im Stande wäre, vermittelst der menschlichen Sprache meinen irdischen Brüdern alle die Empfindungen mitzuthei¬ len, die bet Anschauung dieser poetischen Herrlichkeiten der allmäch¬ tigen Natur in mir wach wurden! Aber ich fühle es nur zu sehr, wie unmöglich ein solches Beginnen ist. Auf der Leinwand würde es mir vielleicht gelingen, einen schwachen Abglanz des Gemäldes hervorzubringen, das ich hier mit unzureichenden Worten in dürftigen Umrissen meinen Lesern vorzuführen gesucht. Jeder Maler sieht die Gegenstände in Bezug auf ihre Farbe auf eine ihm eigene Weise. Wenn vier Maler eine Reise außer ihrem Vaterlande unter¬ nehmen, behufs einer Vervollkommnung in ihrer Kunst, so ist es na¬ türlich, daß sie selbst in ihren Mußestunden sich noch mit dem Gegenstand ihrer Studien beschäftigen, daß sie ihre Meinungen und Ansichten hierüber austauschen, daß sie ohne leidenschaftliche Aufregung hier¬ über streiten, daß sie eine Menge wichtiger Fragen von allen Ge¬ sichtspunkten aus beleuchten, um zu einer gründlicheren, ausgedehn¬ teren Kenntniß ihrer Kunst zu gelangen. Ich glaube nichts Unnützes zu thun, wenn ich hier ein Fragment einer Unterhaltung über die verschiedenen Arten, wie die Maler die Gegenstände in Bezug auf ihre Farbe betrachten, mittheile. Herr manu. „Sieh einmal, Rudolph, diese blau-violett gefärbte ° Fernsicht." Rudolph. „Eine blau-violette Fernsicht, Du spaßest wohl! Man sagt, daß die Art und Weise, wie die Menschen eine Sache se¬ hen, eben so verschieden ist, als ihre Art, etwas zu beurthei¬ len. Und in der That kann es wohl auch nicht gut anders sein; denn Letzteres ist ja nur die Folge des Ersteren. Ich kann Dich versichern, Herrmann, daß ich nichts Violettes in dieser Fernsicht erblicke, dagegen bemerke ich, daß ein sehr denk-- lich ausgesprochener grün-blauer Ton darin herrscht." Herrmann. „Ist das möglichI Ein grün-blauer Ton, sagst Du? In Wahrheit, armer Junge, mir scheint, der Bleichart von gestern Abend spukt Dir noch im Kopfe und trübt Dein Auge."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/365>, abgerufen am 03.05.2024.