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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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keinen Kunstliebhaber ein Bild malen, der mir nicht die vollkommene
Freiheit ließe, meine Gemälde auf eine Ausstellung zu senden."

Ich. "Das Ware um so schwieriger durchzuführen, da nicht
alle bestellten Gemälde für eine Ausstellung passen."

Die Unterhaltung würde sich über diesen Stoff wohl noch in'S
Weite gesponnen haben, hätte nicht unser junger Freund Karl Alles
verdorben, indem er mich beim Namen rief.




Kapitel V.
Aufenthalt in Ahrweiler.
Rathschläge an junge Maler über das Studium der Natur.



Der Unterricht im eigentlichen Sinne des Wortes ist in der
Kunst nur eine nothwendige Einleitung zum großen Werke. Was
hilft dem Maler eine regelrechte Ausführung, eine tadelfreie Per¬
spektive, wenn das Gemälde selbst kalt und leblos ist? -- --

Es giebt in der Natur nicht zwei Gegenstände, die einander
völlig gleichen, die Mannigfaltigkeit scheint die Grundlage der Schöpf¬
ung zu sein. Sodann nach der Mannigfaltigkeit der verschiedenen
Kreaturen unter einander kommt ihre Verschiedenheit in Bezug auf
sich selbst; für lebendige Wesen ist dies die Bewegung der Leiden¬
schaften und der Handlungen, für leblose Dinge sind dies die Ver¬
änderungen, welchen sie durch die Gewalt der äußeren Einflüsse,
durch Licht und Wärme, durch Kälte, Regen, Wind und aus lau^
send andren Ursachen unterworfen sind. Sodann kommt die Ver¬
schiedenheit der Landschaften, der Gebirge, der Ströme, des Bodens,
der Bäume und Pflanzen, sodann kommen die der Luft, des Lichts,
des Hellen und Dunkeln, welche unerschöpfliche Quelle von Beobacht¬
ungen und Studien für einen Maler! --

Wo will man den Naturforscher finden, der zu diesen zahllosen
Abwechselungen den Schlüssel giebt? Der Mann der Wissenschaft
vermag uns wohl das Brechen der Lichtstrahlen darzustellen; aber
die Wirkungen, welche dadurch auf die Farben der Körper hervor¬
gebracht werden, muß der Maler selbst beobachten.


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keinen Kunstliebhaber ein Bild malen, der mir nicht die vollkommene
Freiheit ließe, meine Gemälde auf eine Ausstellung zu senden."

Ich. „Das Ware um so schwieriger durchzuführen, da nicht
alle bestellten Gemälde für eine Ausstellung passen."

Die Unterhaltung würde sich über diesen Stoff wohl noch in'S
Weite gesponnen haben, hätte nicht unser junger Freund Karl Alles
verdorben, indem er mich beim Namen rief.




Kapitel V.
Aufenthalt in Ahrweiler.
Rathschläge an junge Maler über das Studium der Natur.



Der Unterricht im eigentlichen Sinne des Wortes ist in der
Kunst nur eine nothwendige Einleitung zum großen Werke. Was
hilft dem Maler eine regelrechte Ausführung, eine tadelfreie Per¬
spektive, wenn das Gemälde selbst kalt und leblos ist? — —

Es giebt in der Natur nicht zwei Gegenstände, die einander
völlig gleichen, die Mannigfaltigkeit scheint die Grundlage der Schöpf¬
ung zu sein. Sodann nach der Mannigfaltigkeit der verschiedenen
Kreaturen unter einander kommt ihre Verschiedenheit in Bezug auf
sich selbst; für lebendige Wesen ist dies die Bewegung der Leiden¬
schaften und der Handlungen, für leblose Dinge sind dies die Ver¬
änderungen, welchen sie durch die Gewalt der äußeren Einflüsse,
durch Licht und Wärme, durch Kälte, Regen, Wind und aus lau^
send andren Ursachen unterworfen sind. Sodann kommt die Ver¬
schiedenheit der Landschaften, der Gebirge, der Ströme, des Bodens,
der Bäume und Pflanzen, sodann kommen die der Luft, des Lichts,
des Hellen und Dunkeln, welche unerschöpfliche Quelle von Beobacht¬
ungen und Studien für einen Maler! —

Wo will man den Naturforscher finden, der zu diesen zahllosen
Abwechselungen den Schlüssel giebt? Der Mann der Wissenschaft
vermag uns wohl das Brechen der Lichtstrahlen darzustellen; aber
die Wirkungen, welche dadurch auf die Farben der Körper hervor¬
gebracht werden, muß der Maler selbst beobachten.


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[0377] keinen Kunstliebhaber ein Bild malen, der mir nicht die vollkommene Freiheit ließe, meine Gemälde auf eine Ausstellung zu senden." Ich. „Das Ware um so schwieriger durchzuführen, da nicht alle bestellten Gemälde für eine Ausstellung passen." Die Unterhaltung würde sich über diesen Stoff wohl noch in'S Weite gesponnen haben, hätte nicht unser junger Freund Karl Alles verdorben, indem er mich beim Namen rief. Kapitel V. Aufenthalt in Ahrweiler. Rathschläge an junge Maler über das Studium der Natur. Der Unterricht im eigentlichen Sinne des Wortes ist in der Kunst nur eine nothwendige Einleitung zum großen Werke. Was hilft dem Maler eine regelrechte Ausführung, eine tadelfreie Per¬ spektive, wenn das Gemälde selbst kalt und leblos ist? — — Es giebt in der Natur nicht zwei Gegenstände, die einander völlig gleichen, die Mannigfaltigkeit scheint die Grundlage der Schöpf¬ ung zu sein. Sodann nach der Mannigfaltigkeit der verschiedenen Kreaturen unter einander kommt ihre Verschiedenheit in Bezug auf sich selbst; für lebendige Wesen ist dies die Bewegung der Leiden¬ schaften und der Handlungen, für leblose Dinge sind dies die Ver¬ änderungen, welchen sie durch die Gewalt der äußeren Einflüsse, durch Licht und Wärme, durch Kälte, Regen, Wind und aus lau^ send andren Ursachen unterworfen sind. Sodann kommt die Ver¬ schiedenheit der Landschaften, der Gebirge, der Ströme, des Bodens, der Bäume und Pflanzen, sodann kommen die der Luft, des Lichts, des Hellen und Dunkeln, welche unerschöpfliche Quelle von Beobacht¬ ungen und Studien für einen Maler! — Wo will man den Naturforscher finden, der zu diesen zahllosen Abwechselungen den Schlüssel giebt? Der Mann der Wissenschaft vermag uns wohl das Brechen der Lichtstrahlen darzustellen; aber die Wirkungen, welche dadurch auf die Farben der Körper hervor¬ gebracht werden, muß der Maler selbst beobachten. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/377>, abgerufen am 03.05.2024.