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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Erinnerungen an den Wiener Congreß.



In dem Augenblicke, wo an dem Congreß von Verona ein
sonst bedeutendes deutsches Talent Schiffbruch gelitten hat, ist es
interessant, einem ähnlichen Stoff in anderen Bearbeitungen zu fol¬
gen. Der Graf de la Garde ist ein poetischer Intuition gewiß
unsrem Julius Mosen untergeordnet. Und doch, wie ganz anders
weiß er seines Stoffes Herr zu werden! Da ist Nichts von der
Uebertreibung eines deutschen Stubengelehrten, bei dem die diploma¬
tischen Figuren zu Fratzen und Ungeheuern anschwellen; vielmehr
sind die Portraits mit geschickter Hand geschnitten, die Medaillons
sind lebensähnlich, die Situationen glücklich belauscht und mit fei¬
nem Tacte niedergezeichnet. Die "Europa" hat vor einigen Wo¬
chen einige Bruchstücke dieser Erinnerungen mitgetheilt; wir glau¬
ben, ein zweites Bruchstück wird unsern Lesern ebenso interessant sein.




Es scheint, als ob durch eine Art Gabe der Rückwärtsschau,
mit der Entfernung selbst das Gedächtniß an Fruchtbarkeit gewinnt.
Was mich betrifft, so habe ich dies schon oft empfunden und em¬
pfinde es täglich mehr bei Aufzeichnung dieser Scenen, die mit vol¬
lem Recht ein Eigenthum der Geschichte geworden sind. Ich wohne
ihnen von Neuem bei; alle die Personen, die in ihnen eine Rolle
spielen und von denen die meisten jetzt Nichts als Staub und Asche
sind, beschwöre ich aus der Nacht des Grabes empor und zwinge


Erinnerungen an den Wiener Congreß.



In dem Augenblicke, wo an dem Congreß von Verona ein
sonst bedeutendes deutsches Talent Schiffbruch gelitten hat, ist es
interessant, einem ähnlichen Stoff in anderen Bearbeitungen zu fol¬
gen. Der Graf de la Garde ist ein poetischer Intuition gewiß
unsrem Julius Mosen untergeordnet. Und doch, wie ganz anders
weiß er seines Stoffes Herr zu werden! Da ist Nichts von der
Uebertreibung eines deutschen Stubengelehrten, bei dem die diploma¬
tischen Figuren zu Fratzen und Ungeheuern anschwellen; vielmehr
sind die Portraits mit geschickter Hand geschnitten, die Medaillons
sind lebensähnlich, die Situationen glücklich belauscht und mit fei¬
nem Tacte niedergezeichnet. Die „Europa" hat vor einigen Wo¬
chen einige Bruchstücke dieser Erinnerungen mitgetheilt; wir glau¬
ben, ein zweites Bruchstück wird unsern Lesern ebenso interessant sein.




Es scheint, als ob durch eine Art Gabe der Rückwärtsschau,
mit der Entfernung selbst das Gedächtniß an Fruchtbarkeit gewinnt.
Was mich betrifft, so habe ich dies schon oft empfunden und em¬
pfinde es täglich mehr bei Aufzeichnung dieser Scenen, die mit vol¬
lem Recht ein Eigenthum der Geschichte geworden sind. Ich wohne
ihnen von Neuem bei; alle die Personen, die in ihnen eine Rolle
spielen und von denen die meisten jetzt Nichts als Staub und Asche
sind, beschwöre ich aus der Nacht des Grabes empor und zwinge


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[0517] Erinnerungen an den Wiener Congreß. In dem Augenblicke, wo an dem Congreß von Verona ein sonst bedeutendes deutsches Talent Schiffbruch gelitten hat, ist es interessant, einem ähnlichen Stoff in anderen Bearbeitungen zu fol¬ gen. Der Graf de la Garde ist ein poetischer Intuition gewiß unsrem Julius Mosen untergeordnet. Und doch, wie ganz anders weiß er seines Stoffes Herr zu werden! Da ist Nichts von der Uebertreibung eines deutschen Stubengelehrten, bei dem die diploma¬ tischen Figuren zu Fratzen und Ungeheuern anschwellen; vielmehr sind die Portraits mit geschickter Hand geschnitten, die Medaillons sind lebensähnlich, die Situationen glücklich belauscht und mit fei¬ nem Tacte niedergezeichnet. Die „Europa" hat vor einigen Wo¬ chen einige Bruchstücke dieser Erinnerungen mitgetheilt; wir glau¬ ben, ein zweites Bruchstück wird unsern Lesern ebenso interessant sein. Es scheint, als ob durch eine Art Gabe der Rückwärtsschau, mit der Entfernung selbst das Gedächtniß an Fruchtbarkeit gewinnt. Was mich betrifft, so habe ich dies schon oft empfunden und em¬ pfinde es täglich mehr bei Aufzeichnung dieser Scenen, die mit vol¬ lem Recht ein Eigenthum der Geschichte geworden sind. Ich wohne ihnen von Neuem bei; alle die Personen, die in ihnen eine Rolle spielen und von denen die meisten jetzt Nichts als Staub und Asche sind, beschwöre ich aus der Nacht des Grabes empor und zwinge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/517>, abgerufen am 03.05.2024.