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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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sie zusammen durch den Zauberstab meiner Erinnerungen. Ich sehe
sie wieder, wie sie damals waren, schön, jung, in ewigem Freuden¬
rausch cinhertaumelnd, während jetzt dieser glänzende äußere Schein
bei ihnen entweder verwischt oder zerstört ist. Dieser lebhafte Ein¬
druck ist in den Gemüthern Aller zurückgeblieben, welche Augenzeu¬
gen des Wiener Congresses waren. Kein Ereignis? hat sich wohl
je tiefer der Erinnerung eingeprägt, als diese sechs Monate, die
man so passend den Zwischenact zwischen zwei Tragödien
genannt hat.

Dieses Gemälde, das den Contrast der sorglosesten Feste mit
den ernsthaftesten Geschäften ringsumher darbot, hat nach meiner
Ansicht in unsrer modernen Literatur bisher noch gefehlt. Das
Wenige, was davon zur allgemeinen Kenntniß gekommen, bestand
aus verworrenen, unzusammenhängenden, farblosen Skizzen. Und
doch, gab eS je Scenen von ergreifenderen Interesse? Ich will hier
nicht einmal von dem politischen Interesse sprechen, obgleich die Re¬
sultate des Wiener Kongresses die Grundlage alles dessen bil¬
den, was seitdem in Europa bis auf unsere Tage vorgefallen
ist. Aber um so mehr will ich von dem Interesse sprechen, das ein
Rittergemälde aus dieser Zeit verdient. Alles, wonach man in den
Chroniken des Mittelalters, in den feenartigen Festen Ludwig'S XIV.
sucht, fand sich hier in dem Nahmen von sechs Monaten und
einer einzigen Hauptstadt eingeschlossen. Wie viel Liebeseide wur¬
den hier und zwar von den durch hohen Rang, durch glänzenden
Ruhm, durch Geist und Gemüth verführerischsten Personen geschwo¬
ren! Wie viel berühmte Männer haben hier die Geschicke Europas
in ihren Händen gehalten! Wie viele von jenen, denen damals ihre
hohe Sendung eine hervorragende Stellung verlieh, sind heute ein¬
fache, schlichte Unterthanen! Welch staunenswerther Zusammenfluß
endlich von Celebritäten aller Art, von den mächtigsten Monarchen
und den berühmtesten Staatsmännern an bis zu den geistreichsten
und schönsten Frauen! ....

Mitten unter den so verlockenden, unaufhörlichen Freuden des
Wiener Congresses war die Rolle Frankreichs eine sehr ernsthafte
und mußte eS auch sein. Als eine solche hatten sie auch, von einem
Gefühle feiner Schicklichkeit beseelt, seine Stellvertreter aufgefaßt.
Sie mischten sich wenig in den allgemeinen Taumel und hielten


sie zusammen durch den Zauberstab meiner Erinnerungen. Ich sehe
sie wieder, wie sie damals waren, schön, jung, in ewigem Freuden¬
rausch cinhertaumelnd, während jetzt dieser glänzende äußere Schein
bei ihnen entweder verwischt oder zerstört ist. Dieser lebhafte Ein¬
druck ist in den Gemüthern Aller zurückgeblieben, welche Augenzeu¬
gen des Wiener Congresses waren. Kein Ereignis? hat sich wohl
je tiefer der Erinnerung eingeprägt, als diese sechs Monate, die
man so passend den Zwischenact zwischen zwei Tragödien
genannt hat.

Dieses Gemälde, das den Contrast der sorglosesten Feste mit
den ernsthaftesten Geschäften ringsumher darbot, hat nach meiner
Ansicht in unsrer modernen Literatur bisher noch gefehlt. Das
Wenige, was davon zur allgemeinen Kenntniß gekommen, bestand
aus verworrenen, unzusammenhängenden, farblosen Skizzen. Und
doch, gab eS je Scenen von ergreifenderen Interesse? Ich will hier
nicht einmal von dem politischen Interesse sprechen, obgleich die Re¬
sultate des Wiener Kongresses die Grundlage alles dessen bil¬
den, was seitdem in Europa bis auf unsere Tage vorgefallen
ist. Aber um so mehr will ich von dem Interesse sprechen, das ein
Rittergemälde aus dieser Zeit verdient. Alles, wonach man in den
Chroniken des Mittelalters, in den feenartigen Festen Ludwig'S XIV.
sucht, fand sich hier in dem Nahmen von sechs Monaten und
einer einzigen Hauptstadt eingeschlossen. Wie viel Liebeseide wur¬
den hier und zwar von den durch hohen Rang, durch glänzenden
Ruhm, durch Geist und Gemüth verführerischsten Personen geschwo¬
ren! Wie viel berühmte Männer haben hier die Geschicke Europas
in ihren Händen gehalten! Wie viele von jenen, denen damals ihre
hohe Sendung eine hervorragende Stellung verlieh, sind heute ein¬
fache, schlichte Unterthanen! Welch staunenswerther Zusammenfluß
endlich von Celebritäten aller Art, von den mächtigsten Monarchen
und den berühmtesten Staatsmännern an bis zu den geistreichsten
und schönsten Frauen! ....

Mitten unter den so verlockenden, unaufhörlichen Freuden des
Wiener Congresses war die Rolle Frankreichs eine sehr ernsthafte
und mußte eS auch sein. Als eine solche hatten sie auch, von einem
Gefühle feiner Schicklichkeit beseelt, seine Stellvertreter aufgefaßt.
Sie mischten sich wenig in den allgemeinen Taumel und hielten


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[0518] sie zusammen durch den Zauberstab meiner Erinnerungen. Ich sehe sie wieder, wie sie damals waren, schön, jung, in ewigem Freuden¬ rausch cinhertaumelnd, während jetzt dieser glänzende äußere Schein bei ihnen entweder verwischt oder zerstört ist. Dieser lebhafte Ein¬ druck ist in den Gemüthern Aller zurückgeblieben, welche Augenzeu¬ gen des Wiener Congresses waren. Kein Ereignis? hat sich wohl je tiefer der Erinnerung eingeprägt, als diese sechs Monate, die man so passend den Zwischenact zwischen zwei Tragödien genannt hat. Dieses Gemälde, das den Contrast der sorglosesten Feste mit den ernsthaftesten Geschäften ringsumher darbot, hat nach meiner Ansicht in unsrer modernen Literatur bisher noch gefehlt. Das Wenige, was davon zur allgemeinen Kenntniß gekommen, bestand aus verworrenen, unzusammenhängenden, farblosen Skizzen. Und doch, gab eS je Scenen von ergreifenderen Interesse? Ich will hier nicht einmal von dem politischen Interesse sprechen, obgleich die Re¬ sultate des Wiener Kongresses die Grundlage alles dessen bil¬ den, was seitdem in Europa bis auf unsere Tage vorgefallen ist. Aber um so mehr will ich von dem Interesse sprechen, das ein Rittergemälde aus dieser Zeit verdient. Alles, wonach man in den Chroniken des Mittelalters, in den feenartigen Festen Ludwig'S XIV. sucht, fand sich hier in dem Nahmen von sechs Monaten und einer einzigen Hauptstadt eingeschlossen. Wie viel Liebeseide wur¬ den hier und zwar von den durch hohen Rang, durch glänzenden Ruhm, durch Geist und Gemüth verführerischsten Personen geschwo¬ ren! Wie viel berühmte Männer haben hier die Geschicke Europas in ihren Händen gehalten! Wie viele von jenen, denen damals ihre hohe Sendung eine hervorragende Stellung verlieh, sind heute ein¬ fache, schlichte Unterthanen! Welch staunenswerther Zusammenfluß endlich von Celebritäten aller Art, von den mächtigsten Monarchen und den berühmtesten Staatsmännern an bis zu den geistreichsten und schönsten Frauen! .... Mitten unter den so verlockenden, unaufhörlichen Freuden des Wiener Congresses war die Rolle Frankreichs eine sehr ernsthafte und mußte eS auch sein. Als eine solche hatten sie auch, von einem Gefühle feiner Schicklichkeit beseelt, seine Stellvertreter aufgefaßt. Sie mischten sich wenig in den allgemeinen Taumel und hielten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/518>, abgerufen am 21.05.2024.