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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Philosophische Regungen in Oesterreich. )



Das Licht vom Himmel läßt sich nicht versprengen/'
Noch läßt der Sonnenaufgang sich verhängen
Mit Purpurmänteln oder dunkeln Kutten.

Oesterreich und Philosophie -- fast scheint in diesen extremen
Polen der Gegensatz ein unendlicher zu sein. Oesterreich mit seinem
mehr als ruhigen, unverrückter Blicke auf das Positive, Bestehende,
mit seiner Achtung des Gewordenen, mit seiner starren Logik der
Thatsachen, mit seiner krankhaften Scheu vor jeder frischen Luftver¬
änderung, mit seinem zaghaften Bangen vor dem Werdenden, -- und
die Philosophie mit ihrem ewigen Flusse, ihrer rastlosen Bewegung,
ihrer consequenten Vernichtung des Abgelebten, mit ihrer immerwäh¬
renden Zukunft ohne stabile Gegenwart, -- nein, Oesterreich kann
die Philosophie nicht wollen, schon der Philosophie wegen können
wir uns nicht an den Zollverein anschließen. Oesterreich muß sich
gegen ihre Einfuhr durch hohe Schutzzölle verwahren. Philosophie
ist ja ein Luxusartikel und verträgt daher eine schwere Belastung.
Zwar die einsam philosophirende christliche Dogmatik eines Günther,



*) Wir "eben diesen kleinen Aufsatz, der weder sei" Thema erschöpft, noch
in seiner Polemik gegen den verdienstvollen Erner durchaus gerecht ist, nur
deshalb, weil es überhaupt Zeit ist, daß der Gegenstand einmal zur Sprache
gebracht werde. Sonst pflegen die Oesterreicher als Arrieregarde das La¬
ger zu beziehen, wenn die Avantgarde es bereits verlassen hat. --
Ein Hegelianer, nicht etwa einer aus der Schule der "deutschen
Jahrbücher", sondern ein orthodoxer, ehrlicher Althegelianer ist in Oesterreich
ein fürchterlicher Revolutionär. Auf derlei subtile Unterscheidungen wie Alt¬
hegel und Junghegel läßt sich die Wiener Gedankenpolizei, die weder von dem
einen, noch von dem andern etwas versteht, nicht ein. Es ist charakteristisch,
daß man noch heute bei den österreichischen Behörden von jedem jüngeren
Schriftsteller, der ein Bischen freisinnig denkt, ganz ernsthaft sagt: "Er gehört
zum jungen Deutschland." In Oesterreich nämlich sieht man die Gsnster
epe
Die Red. zwölf Stunden n a es Mitternacht.
Ärcnzbvten 1844. II.
Philosophische Regungen in Oesterreich. )



Das Licht vom Himmel läßt sich nicht versprengen/'
Noch läßt der Sonnenaufgang sich verhängen
Mit Purpurmänteln oder dunkeln Kutten.

Oesterreich und Philosophie — fast scheint in diesen extremen
Polen der Gegensatz ein unendlicher zu sein. Oesterreich mit seinem
mehr als ruhigen, unverrückter Blicke auf das Positive, Bestehende,
mit seiner Achtung des Gewordenen, mit seiner starren Logik der
Thatsachen, mit seiner krankhaften Scheu vor jeder frischen Luftver¬
änderung, mit seinem zaghaften Bangen vor dem Werdenden, — und
die Philosophie mit ihrem ewigen Flusse, ihrer rastlosen Bewegung,
ihrer consequenten Vernichtung des Abgelebten, mit ihrer immerwäh¬
renden Zukunft ohne stabile Gegenwart, — nein, Oesterreich kann
die Philosophie nicht wollen, schon der Philosophie wegen können
wir uns nicht an den Zollverein anschließen. Oesterreich muß sich
gegen ihre Einfuhr durch hohe Schutzzölle verwahren. Philosophie
ist ja ein Luxusartikel und verträgt daher eine schwere Belastung.
Zwar die einsam philosophirende christliche Dogmatik eines Günther,



*) Wir »eben diesen kleinen Aufsatz, der weder sei» Thema erschöpft, noch
in seiner Polemik gegen den verdienstvollen Erner durchaus gerecht ist, nur
deshalb, weil es überhaupt Zeit ist, daß der Gegenstand einmal zur Sprache
gebracht werde. Sonst pflegen die Oesterreicher als Arrieregarde das La¬
ger zu beziehen, wenn die Avantgarde es bereits verlassen hat. —
Ein Hegelianer, nicht etwa einer aus der Schule der „deutschen
Jahrbücher", sondern ein orthodoxer, ehrlicher Althegelianer ist in Oesterreich
ein fürchterlicher Revolutionär. Auf derlei subtile Unterscheidungen wie Alt¬
hegel und Junghegel läßt sich die Wiener Gedankenpolizei, die weder von dem
einen, noch von dem andern etwas versteht, nicht ein. Es ist charakteristisch,
daß man noch heute bei den österreichischen Behörden von jedem jüngeren
Schriftsteller, der ein Bischen freisinnig denkt, ganz ernsthaft sagt: „Er gehört
zum jungen Deutschland." In Oesterreich nämlich sieht man die Gsnster
epe
Die Red. zwölf Stunden n a es Mitternacht.
Ärcnzbvten 1844. II.
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[0437] Philosophische Regungen in Oesterreich. ) Das Licht vom Himmel läßt sich nicht versprengen/' Noch läßt der Sonnenaufgang sich verhängen Mit Purpurmänteln oder dunkeln Kutten. Oesterreich und Philosophie — fast scheint in diesen extremen Polen der Gegensatz ein unendlicher zu sein. Oesterreich mit seinem mehr als ruhigen, unverrückter Blicke auf das Positive, Bestehende, mit seiner Achtung des Gewordenen, mit seiner starren Logik der Thatsachen, mit seiner krankhaften Scheu vor jeder frischen Luftver¬ änderung, mit seinem zaghaften Bangen vor dem Werdenden, — und die Philosophie mit ihrem ewigen Flusse, ihrer rastlosen Bewegung, ihrer consequenten Vernichtung des Abgelebten, mit ihrer immerwäh¬ renden Zukunft ohne stabile Gegenwart, — nein, Oesterreich kann die Philosophie nicht wollen, schon der Philosophie wegen können wir uns nicht an den Zollverein anschließen. Oesterreich muß sich gegen ihre Einfuhr durch hohe Schutzzölle verwahren. Philosophie ist ja ein Luxusartikel und verträgt daher eine schwere Belastung. Zwar die einsam philosophirende christliche Dogmatik eines Günther, *) Wir »eben diesen kleinen Aufsatz, der weder sei» Thema erschöpft, noch in seiner Polemik gegen den verdienstvollen Erner durchaus gerecht ist, nur deshalb, weil es überhaupt Zeit ist, daß der Gegenstand einmal zur Sprache gebracht werde. Sonst pflegen die Oesterreicher als Arrieregarde das La¬ ger zu beziehen, wenn die Avantgarde es bereits verlassen hat. — Ein Hegelianer, nicht etwa einer aus der Schule der „deutschen Jahrbücher", sondern ein orthodoxer, ehrlicher Althegelianer ist in Oesterreich ein fürchterlicher Revolutionär. Auf derlei subtile Unterscheidungen wie Alt¬ hegel und Junghegel läßt sich die Wiener Gedankenpolizei, die weder von dem einen, noch von dem andern etwas versteht, nicht ein. Es ist charakteristisch, daß man noch heute bei den österreichischen Behörden von jedem jüngeren Schriftsteller, der ein Bischen freisinnig denkt, ganz ernsthaft sagt: „Er gehört zum jungen Deutschland." In Oesterreich nämlich sieht man die Gsnster epe Die Red. zwölf Stunden n a es Mitternacht. Ärcnzbvten 1844. II.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/437>, abgerufen am 01.05.2024.