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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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nicht in Cassel, aber doch an den übrigen deutschen Hofbühnm gege¬
ben werden, wo man für die Hebung des nationalen deutschen Dra¬
mas so bemüht ist. Wir können die Directionen im Voraus versi¬
chern, daß die Scene ungemeinen Effect machen, daß sie allein die
Casse füllen würde; sicherer, als die bekannte Scene in Kabale und
Liebe, welche ebenfalls auf dem romantischen Voden der tapferen Car¬
ien spielt; denn unser Volk hat seit Schiller's Tagen ungeheuere
Fortschritte gemacht, auch im Geschmack und Kunstsinn. Es sind uns
noch mehrere gemeinnützige Ideen eingefallen, als wir jene Zeitungs¬
nachricht lasen; doch theils haben wir sie vergessen, theils fehlen uns
Zeir und Raum, um sie hier vorzutragen. Nur so viel erinnern wir
uns, daß wir uns vornahmen, keine russischen Anekdoten mehr mit¬
zutheilen. Denn wir schämen uns.

-- In B. pflegte ein Redacteur seinen Censor, einen hypochon¬
drischen Gelehrten, eigenthümlich zu behandeln. Er bestach ihn. Mit
Champagner? Mit Dukaten? Mit Schmeicheleien? Umgekehrt. Vier¬
undzwanzig Stunden, ehe dem Censor ein Probebogen zukam, wur¬
den ihm stets einige Flaschen Selterwasser geschickt. Das wirkte.
Später durste der Redacteur nur das Wort: Selterwasser! auf den
Censurbogen schreiben, -- und stehe da, der Gelehrte hatte eine viel
freiere Weltanschauung. Er strich sehr wenig.

- Erklärung. Die Grenzboten (achtes Heft, II. Semester
1844) melden in einem Briefe aus Wien, daß der Verfasser der eben
in Leipzig (bei Liebeskind) erschienenen Dichtung: "Auf nach Nor¬
den!" mit der Gräfin Hahn-Hahn das traurige Schicksal werde thei¬
len müssen, in Folge einer Dieffenbach'schen Cur, der er sich vor ei¬
nigen Jahren unterzog, zu erblinden. Im Interesse der Wahrheit und
im Gefühl inniger Dankbarkeit gegen Dr. Dieffenbach fühle ich mich
verpflichtet, hier zu erklären, daß jene Angabe auf einem Irrthume be¬
ruht, da mein linkes Auge, welches wirklich während der Anwesenheit
des erwähnten Doctors in Wien wegen sehr starken Schielens von
ihm operirt wurde, vollständig in seine normale Lage zurückgekehrt ist
und ich seitdem meine Sehkraft, welcher auch nach dem Ausspruch
kompetenter 'Aerzte bei gehöriger Schonung durchaus keine Gefahr droht,
bedeutend erhöht finde.


Eginhard.


Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kurandc".
Druck von Friedrich Andrä.

nicht in Cassel, aber doch an den übrigen deutschen Hofbühnm gege¬
ben werden, wo man für die Hebung des nationalen deutschen Dra¬
mas so bemüht ist. Wir können die Directionen im Voraus versi¬
chern, daß die Scene ungemeinen Effect machen, daß sie allein die
Casse füllen würde; sicherer, als die bekannte Scene in Kabale und
Liebe, welche ebenfalls auf dem romantischen Voden der tapferen Car¬
ien spielt; denn unser Volk hat seit Schiller's Tagen ungeheuere
Fortschritte gemacht, auch im Geschmack und Kunstsinn. Es sind uns
noch mehrere gemeinnützige Ideen eingefallen, als wir jene Zeitungs¬
nachricht lasen; doch theils haben wir sie vergessen, theils fehlen uns
Zeir und Raum, um sie hier vorzutragen. Nur so viel erinnern wir
uns, daß wir uns vornahmen, keine russischen Anekdoten mehr mit¬
zutheilen. Denn wir schämen uns.

— In B. pflegte ein Redacteur seinen Censor, einen hypochon¬
drischen Gelehrten, eigenthümlich zu behandeln. Er bestach ihn. Mit
Champagner? Mit Dukaten? Mit Schmeicheleien? Umgekehrt. Vier¬
undzwanzig Stunden, ehe dem Censor ein Probebogen zukam, wur¬
den ihm stets einige Flaschen Selterwasser geschickt. Das wirkte.
Später durste der Redacteur nur das Wort: Selterwasser! auf den
Censurbogen schreiben, — und stehe da, der Gelehrte hatte eine viel
freiere Weltanschauung. Er strich sehr wenig.

- Erklärung. Die Grenzboten (achtes Heft, II. Semester
1844) melden in einem Briefe aus Wien, daß der Verfasser der eben
in Leipzig (bei Liebeskind) erschienenen Dichtung: „Auf nach Nor¬
den!" mit der Gräfin Hahn-Hahn das traurige Schicksal werde thei¬
len müssen, in Folge einer Dieffenbach'schen Cur, der er sich vor ei¬
nigen Jahren unterzog, zu erblinden. Im Interesse der Wahrheit und
im Gefühl inniger Dankbarkeit gegen Dr. Dieffenbach fühle ich mich
verpflichtet, hier zu erklären, daß jene Angabe auf einem Irrthume be¬
ruht, da mein linkes Auge, welches wirklich während der Anwesenheit
des erwähnten Doctors in Wien wegen sehr starken Schielens von
ihm operirt wurde, vollständig in seine normale Lage zurückgekehrt ist
und ich seitdem meine Sehkraft, welcher auch nach dem Ausspruch
kompetenter 'Aerzte bei gehöriger Schonung durchaus keine Gefahr droht,
bedeutend erhöht finde.


Eginhard.


Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kurandc».
Druck von Friedrich Andrä.
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[0436] nicht in Cassel, aber doch an den übrigen deutschen Hofbühnm gege¬ ben werden, wo man für die Hebung des nationalen deutschen Dra¬ mas so bemüht ist. Wir können die Directionen im Voraus versi¬ chern, daß die Scene ungemeinen Effect machen, daß sie allein die Casse füllen würde; sicherer, als die bekannte Scene in Kabale und Liebe, welche ebenfalls auf dem romantischen Voden der tapferen Car¬ ien spielt; denn unser Volk hat seit Schiller's Tagen ungeheuere Fortschritte gemacht, auch im Geschmack und Kunstsinn. Es sind uns noch mehrere gemeinnützige Ideen eingefallen, als wir jene Zeitungs¬ nachricht lasen; doch theils haben wir sie vergessen, theils fehlen uns Zeir und Raum, um sie hier vorzutragen. Nur so viel erinnern wir uns, daß wir uns vornahmen, keine russischen Anekdoten mehr mit¬ zutheilen. Denn wir schämen uns. — In B. pflegte ein Redacteur seinen Censor, einen hypochon¬ drischen Gelehrten, eigenthümlich zu behandeln. Er bestach ihn. Mit Champagner? Mit Dukaten? Mit Schmeicheleien? Umgekehrt. Vier¬ undzwanzig Stunden, ehe dem Censor ein Probebogen zukam, wur¬ den ihm stets einige Flaschen Selterwasser geschickt. Das wirkte. Später durste der Redacteur nur das Wort: Selterwasser! auf den Censurbogen schreiben, — und stehe da, der Gelehrte hatte eine viel freiere Weltanschauung. Er strich sehr wenig. - Erklärung. Die Grenzboten (achtes Heft, II. Semester 1844) melden in einem Briefe aus Wien, daß der Verfasser der eben in Leipzig (bei Liebeskind) erschienenen Dichtung: „Auf nach Nor¬ den!" mit der Gräfin Hahn-Hahn das traurige Schicksal werde thei¬ len müssen, in Folge einer Dieffenbach'schen Cur, der er sich vor ei¬ nigen Jahren unterzog, zu erblinden. Im Interesse der Wahrheit und im Gefühl inniger Dankbarkeit gegen Dr. Dieffenbach fühle ich mich verpflichtet, hier zu erklären, daß jene Angabe auf einem Irrthume be¬ ruht, da mein linkes Auge, welches wirklich während der Anwesenheit des erwähnten Doctors in Wien wegen sehr starken Schielens von ihm operirt wurde, vollständig in seine normale Lage zurückgekehrt ist und ich seitdem meine Sehkraft, welcher auch nach dem Ausspruch kompetenter 'Aerzte bei gehöriger Schonung durchaus keine Gefahr droht, bedeutend erhöht finde. Eginhard. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kurandc». Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/436>, abgerufen am 15.05.2024.