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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Skizzen aus der innern Verwaltung Oesterreichs



i.
Wie Zollfrage in Oesterreich. )

Es gab in Oesterreich eine Zeit, und sie ist noch nicht gar so lange
Vorüber, als man jenem gedankenlosen Patriotismus huldigte, der
das Schlechte schützt, blos weil es einheimisch ist, und das Gute
haßt, blos weil es secat ist; das war die Zeit kindlicher Zuver¬
sicht, die von Oben begünstigt wurde und von welcher Manche be¬
dauern, daß sie bereits verschwunden. Mit der materiellen Behäbig¬
keit hat auch dieses patriotische Gottvertrauen bedeutend abgenommen,
und wir sind dermalen in eine Entwicklungsphase getreten, die
der des aufstrebenden Jünglings gleicht, welcher nur allzuhäufig in
den entgegengesetzten Fehler fällt und das Gute und Schöne in der
Ferne sucht, indeß sich das hilfsbedürftige Kind am Besten im engen
Vaterhause befindet. In der That, der Oesterreicher, der vormals
sich so viel auf alles Vaterländische zu Gute that und. namentlich
das fleißigere deutsche Ausland, aus dem ihm zahlreiche Einwanderer
zuströmten, mit spottenden Mitleiden Hungerhöhlen nannte, ist jetzt
etwas kleinlaut und nacheifernd geworden und horcht sehr gern auf
die Erzählung des Fremden, der die Einrichtungen und Zustände
seiner eigenen Heimath schildert, ja häufig kommt er den, Ausländer
gleich mit dem Geständnisse entgegen: Ich weiß wohl, daß wir noch
weit zurück sind !

Diese sehr beachtenswerthe Bescheidenheit läßt sich am leichtesten
in den Volkstheatern bemerken, wo ehedem das plumpste Selbstlob und
die lächerlichste Selbstvergötterung den rauschenden Beifall der Menge
erntete, während jetzt derlei Stellen prunkender Selbstschmeichelei sich nur
höchst selten zeigen und da, wo sie zum Vorschein kommen, ent¬
weder stillschweigend oder mit Zeichen des Mißfallens hingenommen
werden. Eine solche Verwandlung der Volksstimmung mußte noth-


Die Red.

*) Von einem österreichischen Staatsbeamten.
Grenzboten 1S4S. l. "s
Skizzen aus der innern Verwaltung Oesterreichs



i.
Wie Zollfrage in Oesterreich. )

Es gab in Oesterreich eine Zeit, und sie ist noch nicht gar so lange
Vorüber, als man jenem gedankenlosen Patriotismus huldigte, der
das Schlechte schützt, blos weil es einheimisch ist, und das Gute
haßt, blos weil es secat ist; das war die Zeit kindlicher Zuver¬
sicht, die von Oben begünstigt wurde und von welcher Manche be¬
dauern, daß sie bereits verschwunden. Mit der materiellen Behäbig¬
keit hat auch dieses patriotische Gottvertrauen bedeutend abgenommen,
und wir sind dermalen in eine Entwicklungsphase getreten, die
der des aufstrebenden Jünglings gleicht, welcher nur allzuhäufig in
den entgegengesetzten Fehler fällt und das Gute und Schöne in der
Ferne sucht, indeß sich das hilfsbedürftige Kind am Besten im engen
Vaterhause befindet. In der That, der Oesterreicher, der vormals
sich so viel auf alles Vaterländische zu Gute that und. namentlich
das fleißigere deutsche Ausland, aus dem ihm zahlreiche Einwanderer
zuströmten, mit spottenden Mitleiden Hungerhöhlen nannte, ist jetzt
etwas kleinlaut und nacheifernd geworden und horcht sehr gern auf
die Erzählung des Fremden, der die Einrichtungen und Zustände
seiner eigenen Heimath schildert, ja häufig kommt er den, Ausländer
gleich mit dem Geständnisse entgegen: Ich weiß wohl, daß wir noch
weit zurück sind !

Diese sehr beachtenswerthe Bescheidenheit läßt sich am leichtesten
in den Volkstheatern bemerken, wo ehedem das plumpste Selbstlob und
die lächerlichste Selbstvergötterung den rauschenden Beifall der Menge
erntete, während jetzt derlei Stellen prunkender Selbstschmeichelei sich nur
höchst selten zeigen und da, wo sie zum Vorschein kommen, ent¬
weder stillschweigend oder mit Zeichen des Mißfallens hingenommen
werden. Eine solche Verwandlung der Volksstimmung mußte noth-


Die Red.

*) Von einem österreichischen Staatsbeamten.
Grenzboten 1S4S. l. »s
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[0023] Skizzen aus der innern Verwaltung Oesterreichs i. Wie Zollfrage in Oesterreich. ) Es gab in Oesterreich eine Zeit, und sie ist noch nicht gar so lange Vorüber, als man jenem gedankenlosen Patriotismus huldigte, der das Schlechte schützt, blos weil es einheimisch ist, und das Gute haßt, blos weil es secat ist; das war die Zeit kindlicher Zuver¬ sicht, die von Oben begünstigt wurde und von welcher Manche be¬ dauern, daß sie bereits verschwunden. Mit der materiellen Behäbig¬ keit hat auch dieses patriotische Gottvertrauen bedeutend abgenommen, und wir sind dermalen in eine Entwicklungsphase getreten, die der des aufstrebenden Jünglings gleicht, welcher nur allzuhäufig in den entgegengesetzten Fehler fällt und das Gute und Schöne in der Ferne sucht, indeß sich das hilfsbedürftige Kind am Besten im engen Vaterhause befindet. In der That, der Oesterreicher, der vormals sich so viel auf alles Vaterländische zu Gute that und. namentlich das fleißigere deutsche Ausland, aus dem ihm zahlreiche Einwanderer zuströmten, mit spottenden Mitleiden Hungerhöhlen nannte, ist jetzt etwas kleinlaut und nacheifernd geworden und horcht sehr gern auf die Erzählung des Fremden, der die Einrichtungen und Zustände seiner eigenen Heimath schildert, ja häufig kommt er den, Ausländer gleich mit dem Geständnisse entgegen: Ich weiß wohl, daß wir noch weit zurück sind ! Diese sehr beachtenswerthe Bescheidenheit läßt sich am leichtesten in den Volkstheatern bemerken, wo ehedem das plumpste Selbstlob und die lächerlichste Selbstvergötterung den rauschenden Beifall der Menge erntete, während jetzt derlei Stellen prunkender Selbstschmeichelei sich nur höchst selten zeigen und da, wo sie zum Vorschein kommen, ent¬ weder stillschweigend oder mit Zeichen des Mißfallens hingenommen werden. Eine solche Verwandlung der Volksstimmung mußte noth- Die Red. *) Von einem österreichischen Staatsbeamten. Grenzboten 1S4S. l. »s

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/23>, abgerufen am 05.05.2024.