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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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wendig in den höhern Regionen einen Nachhall finden, und es ist
vielleicht mehr der Berücksichtigung dieser Stimmung, als dem guten
Willen und dem glücklichen Ungefähr zuzuschreiben, wenn gerade um
diese Zeit ein Staatsmann angestellt wurde, von dessen Popularität
und Energie die öffentliche Meinung so Vielfaches erwartete. Es
kann Niemand befremden, wenn die Bewegung der Reform gleich
anfangs die Richtung nach dem Materiellen des Staatslebens nahm
und früher Handel und Industrie, Geldwesen und Besteuerung ins
Auge faßte, als die höheren Interessen der Wissenschaft und des
Geistes überhaupt, da solches im Charakter des letzten Decenniums
liegt und alle Regierungen zumal jede Aufregung durch Prinzipfra¬
gen niederzuhalten suchen.

Die Entstehung der österreichischen Industrie datirt eigentlich erst
von der Regierung des unvergeßlichen Kaisers Joseph II., der aus¬
ländische Fabrikherren ins Land rief, besonders vom Rhein und den
Niederlanden, und ihnen gleichsam als Privilegium das Prohibitiv-
system einführte. Einzelne frühere künstliche Anfänge des österreichi¬
schen Gewerbsfleißes, welche zum Theil vom Staate selbst ausgingen,
reichen bis in die Regierungsperiode Leopold I. hinauf, der die noch
jetzt bestehende Teppichfabrik zu Linz gründete; doch galten diese blos
als Versuche und wurzelten keineswegs im eigentlichen Volke, das
erst in den achtziger Jahren deS vorigen Jahrhunderts dnrch fremde
Einwanderer zur industriellen Thätigkeit erwachte. Das Prohibitiv-
system war dem Stande der Wissenschaft und den allgemeinen indu¬
striellen Zuständen damals vollkommen entsprechend, denn es regte
sich gerade das nationale Bestreben, die eigenen Bedürfnisse selbst zu
erzeugen, und die höchste Finanzwcisheit bestand darin, so wenig Geld
als möglich außer Land gehen zu lassen. War dieses Zollsystem schon
für ein im Kunstfleiß so weit fortgeschrittenes Land angemessen, wie
Frankreich, mit desto besserem Recht mochte es auf Oesterreich passen
das eben erst anfangen sollte, und dem auswärtige Talente und
Capitalien nur dann zufließen konnten, sobald die fremde Concurrenz
abgehalten wurde und ihnen die Monarchie als Markt gesichert blieb.
Es war dies ein ähnliches Verhältniß, wie heutzutage den Eisenbahn-
gesellschaften zur Aufmunterung Zinsengarantien bewilligt werden.

Doch das in dem Prohibitivsvstcm enthaltene Privilegium für
die Fabrikherren mußte nothwendig ein zeitliches Ende haben, wie


wendig in den höhern Regionen einen Nachhall finden, und es ist
vielleicht mehr der Berücksichtigung dieser Stimmung, als dem guten
Willen und dem glücklichen Ungefähr zuzuschreiben, wenn gerade um
diese Zeit ein Staatsmann angestellt wurde, von dessen Popularität
und Energie die öffentliche Meinung so Vielfaches erwartete. Es
kann Niemand befremden, wenn die Bewegung der Reform gleich
anfangs die Richtung nach dem Materiellen des Staatslebens nahm
und früher Handel und Industrie, Geldwesen und Besteuerung ins
Auge faßte, als die höheren Interessen der Wissenschaft und des
Geistes überhaupt, da solches im Charakter des letzten Decenniums
liegt und alle Regierungen zumal jede Aufregung durch Prinzipfra¬
gen niederzuhalten suchen.

Die Entstehung der österreichischen Industrie datirt eigentlich erst
von der Regierung des unvergeßlichen Kaisers Joseph II., der aus¬
ländische Fabrikherren ins Land rief, besonders vom Rhein und den
Niederlanden, und ihnen gleichsam als Privilegium das Prohibitiv-
system einführte. Einzelne frühere künstliche Anfänge des österreichi¬
schen Gewerbsfleißes, welche zum Theil vom Staate selbst ausgingen,
reichen bis in die Regierungsperiode Leopold I. hinauf, der die noch
jetzt bestehende Teppichfabrik zu Linz gründete; doch galten diese blos
als Versuche und wurzelten keineswegs im eigentlichen Volke, das
erst in den achtziger Jahren deS vorigen Jahrhunderts dnrch fremde
Einwanderer zur industriellen Thätigkeit erwachte. Das Prohibitiv-
system war dem Stande der Wissenschaft und den allgemeinen indu¬
striellen Zuständen damals vollkommen entsprechend, denn es regte
sich gerade das nationale Bestreben, die eigenen Bedürfnisse selbst zu
erzeugen, und die höchste Finanzwcisheit bestand darin, so wenig Geld
als möglich außer Land gehen zu lassen. War dieses Zollsystem schon
für ein im Kunstfleiß so weit fortgeschrittenes Land angemessen, wie
Frankreich, mit desto besserem Recht mochte es auf Oesterreich passen
das eben erst anfangen sollte, und dem auswärtige Talente und
Capitalien nur dann zufließen konnten, sobald die fremde Concurrenz
abgehalten wurde und ihnen die Monarchie als Markt gesichert blieb.
Es war dies ein ähnliches Verhältniß, wie heutzutage den Eisenbahn-
gesellschaften zur Aufmunterung Zinsengarantien bewilligt werden.

Doch das in dem Prohibitivsvstcm enthaltene Privilegium für
die Fabrikherren mußte nothwendig ein zeitliches Ende haben, wie


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[0024] wendig in den höhern Regionen einen Nachhall finden, und es ist vielleicht mehr der Berücksichtigung dieser Stimmung, als dem guten Willen und dem glücklichen Ungefähr zuzuschreiben, wenn gerade um diese Zeit ein Staatsmann angestellt wurde, von dessen Popularität und Energie die öffentliche Meinung so Vielfaches erwartete. Es kann Niemand befremden, wenn die Bewegung der Reform gleich anfangs die Richtung nach dem Materiellen des Staatslebens nahm und früher Handel und Industrie, Geldwesen und Besteuerung ins Auge faßte, als die höheren Interessen der Wissenschaft und des Geistes überhaupt, da solches im Charakter des letzten Decenniums liegt und alle Regierungen zumal jede Aufregung durch Prinzipfra¬ gen niederzuhalten suchen. Die Entstehung der österreichischen Industrie datirt eigentlich erst von der Regierung des unvergeßlichen Kaisers Joseph II., der aus¬ ländische Fabrikherren ins Land rief, besonders vom Rhein und den Niederlanden, und ihnen gleichsam als Privilegium das Prohibitiv- system einführte. Einzelne frühere künstliche Anfänge des österreichi¬ schen Gewerbsfleißes, welche zum Theil vom Staate selbst ausgingen, reichen bis in die Regierungsperiode Leopold I. hinauf, der die noch jetzt bestehende Teppichfabrik zu Linz gründete; doch galten diese blos als Versuche und wurzelten keineswegs im eigentlichen Volke, das erst in den achtziger Jahren deS vorigen Jahrhunderts dnrch fremde Einwanderer zur industriellen Thätigkeit erwachte. Das Prohibitiv- system war dem Stande der Wissenschaft und den allgemeinen indu¬ striellen Zuständen damals vollkommen entsprechend, denn es regte sich gerade das nationale Bestreben, die eigenen Bedürfnisse selbst zu erzeugen, und die höchste Finanzwcisheit bestand darin, so wenig Geld als möglich außer Land gehen zu lassen. War dieses Zollsystem schon für ein im Kunstfleiß so weit fortgeschrittenes Land angemessen, wie Frankreich, mit desto besserem Recht mochte es auf Oesterreich passen das eben erst anfangen sollte, und dem auswärtige Talente und Capitalien nur dann zufließen konnten, sobald die fremde Concurrenz abgehalten wurde und ihnen die Monarchie als Markt gesichert blieb. Es war dies ein ähnliches Verhältniß, wie heutzutage den Eisenbahn- gesellschaften zur Aufmunterung Zinsengarantien bewilligt werden. Doch das in dem Prohibitivsvstcm enthaltene Privilegium für die Fabrikherren mußte nothwendig ein zeitliches Ende haben, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/24>, abgerufen am 26.05.2024.