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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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wisse Begriffe, die wir, wie Preßfreiheit, öffentliche und mündliche
Rechtspflege, Steuerbewilligungsrecht und Reichsstände, bisher nur als
Abstracta kannten, zur concreten Erscheinung unter uns bringen. Frei¬
lich kann man in Bezug auf alle diese Dinge nur Hoffnungen und
Vermuthungen hegen, und wer weiß, ob sie nicht alle getauscht wer¬
den, aber es ist doch schon erfreulich, hoffen zu können, während man
seit 1841 auch die Hoffnungen bereits aufgegeben hatte.

Der König, der, wie es heißt, im Staatsministerium auf bedeu¬
tenden Widerspruch stieß, soll das Verfassungsgesetz selbst ausgearbeitet
haben und dieses, wird hinzugefügt, soll den nächstens zusammentre¬
tender Provinziallandtagen vorgelegt werden. Auch der Prinz von
Preußen, der dem Throne zunächst steht, soll mit dem Verfassungs-
projcct nicht einverstanden sein; da der Prinz jedoch ein Ehrenmann
ist und seinem ganzen Charakter nach keine Aehnlichkeit mit einem
gewissen früheren Agnaten eines andern Königshauses hat, so ist auch
von ihm nicht zu besorgen, daß ec bei der Gelangung zum Throne
nur die eigenen Ansichten befragen und ein von seinem Bruder ertheil¬
tes Gesetz, das dem Lande lieb geworden, wieder aufheben werde.

Täuschen die hier verbreitern Gerüchte nicht, so sollen bereits im
Herbste dieses Jahres die ständischen Vertreter der Monarchie hier zu¬
sammenkommen. Wäre dies wirklich der Fall und würde durch die
neue Verfassung die bürgerliche Freiheit in Preußen zur vollen Wahr¬
heit, dann hätte wohl ganz Deutschland das Jahr 1845 als eine neue
Aera zu betrachten, als eine Aera, von welcher des deutschen Volkes
Gleichstellung mit den mächtigsten und freiesten Nationen Europas
datirte!


Justus.
2.

Probst Zöllner und dieCorrespondenten. --Die beiden Grimm. -- Pvlirischer Takt
der Berliner. -- Zweierlei Politiker. -- Volksstimmung. -- Jenny Linv,
Wilhelm Kunst und der Balletmeister Taglioni. -- Die orthographischen Feh¬
ler Friedrich'6 des Großen. --

Der Zweck dieser Briefe aus Berlin, die ich einer freundlichen
Aufforderung des Herrn Redacteurs zufolge, für die "Grenzboten"
beginne, soll keinesweges der sein: einen Total-Ueberblick für die Leser
auf berlinische Zustände und Ereignisse zu eröffnen, sondem im Ge¬
gentheil, ich will darin Nichts als bestrebt sein, einzelne Momente,
die mich interessiren und über die ich glaube im Stande zu sein, etwas
nicht ganz Unrichtiges zu sagen, beliebig herauszuheben und zum Ge¬
genstande meiner Besprechung zu machen. Meine Eorrespondenzcn wer¬
den auf diese Weise eigentlich Nichts anderes, als gesammelte Eindrücke
sein, die ich mich bemüht erweisen will, darin zu firiren.

Es darf daher Niemanden wundern, wenn er Dinge und Ereig-


wisse Begriffe, die wir, wie Preßfreiheit, öffentliche und mündliche
Rechtspflege, Steuerbewilligungsrecht und Reichsstände, bisher nur als
Abstracta kannten, zur concreten Erscheinung unter uns bringen. Frei¬
lich kann man in Bezug auf alle diese Dinge nur Hoffnungen und
Vermuthungen hegen, und wer weiß, ob sie nicht alle getauscht wer¬
den, aber es ist doch schon erfreulich, hoffen zu können, während man
seit 1841 auch die Hoffnungen bereits aufgegeben hatte.

Der König, der, wie es heißt, im Staatsministerium auf bedeu¬
tenden Widerspruch stieß, soll das Verfassungsgesetz selbst ausgearbeitet
haben und dieses, wird hinzugefügt, soll den nächstens zusammentre¬
tender Provinziallandtagen vorgelegt werden. Auch der Prinz von
Preußen, der dem Throne zunächst steht, soll mit dem Verfassungs-
projcct nicht einverstanden sein; da der Prinz jedoch ein Ehrenmann
ist und seinem ganzen Charakter nach keine Aehnlichkeit mit einem
gewissen früheren Agnaten eines andern Königshauses hat, so ist auch
von ihm nicht zu besorgen, daß ec bei der Gelangung zum Throne
nur die eigenen Ansichten befragen und ein von seinem Bruder ertheil¬
tes Gesetz, das dem Lande lieb geworden, wieder aufheben werde.

Täuschen die hier verbreitern Gerüchte nicht, so sollen bereits im
Herbste dieses Jahres die ständischen Vertreter der Monarchie hier zu¬
sammenkommen. Wäre dies wirklich der Fall und würde durch die
neue Verfassung die bürgerliche Freiheit in Preußen zur vollen Wahr¬
heit, dann hätte wohl ganz Deutschland das Jahr 1845 als eine neue
Aera zu betrachten, als eine Aera, von welcher des deutschen Volkes
Gleichstellung mit den mächtigsten und freiesten Nationen Europas
datirte!


Justus.
2.

Probst Zöllner und dieCorrespondenten. —Die beiden Grimm. — Pvlirischer Takt
der Berliner. — Zweierlei Politiker. — Volksstimmung. — Jenny Linv,
Wilhelm Kunst und der Balletmeister Taglioni. — Die orthographischen Feh¬
ler Friedrich'6 des Großen. —

Der Zweck dieser Briefe aus Berlin, die ich einer freundlichen
Aufforderung des Herrn Redacteurs zufolge, für die „Grenzboten"
beginne, soll keinesweges der sein: einen Total-Ueberblick für die Leser
auf berlinische Zustände und Ereignisse zu eröffnen, sondem im Ge¬
gentheil, ich will darin Nichts als bestrebt sein, einzelne Momente,
die mich interessiren und über die ich glaube im Stande zu sein, etwas
nicht ganz Unrichtiges zu sagen, beliebig herauszuheben und zum Ge¬
genstande meiner Besprechung zu machen. Meine Eorrespondenzcn wer¬
den auf diese Weise eigentlich Nichts anderes, als gesammelte Eindrücke
sein, die ich mich bemüht erweisen will, darin zu firiren.

Es darf daher Niemanden wundern, wenn er Dinge und Ereig-


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[0337] wisse Begriffe, die wir, wie Preßfreiheit, öffentliche und mündliche Rechtspflege, Steuerbewilligungsrecht und Reichsstände, bisher nur als Abstracta kannten, zur concreten Erscheinung unter uns bringen. Frei¬ lich kann man in Bezug auf alle diese Dinge nur Hoffnungen und Vermuthungen hegen, und wer weiß, ob sie nicht alle getauscht wer¬ den, aber es ist doch schon erfreulich, hoffen zu können, während man seit 1841 auch die Hoffnungen bereits aufgegeben hatte. Der König, der, wie es heißt, im Staatsministerium auf bedeu¬ tenden Widerspruch stieß, soll das Verfassungsgesetz selbst ausgearbeitet haben und dieses, wird hinzugefügt, soll den nächstens zusammentre¬ tender Provinziallandtagen vorgelegt werden. Auch der Prinz von Preußen, der dem Throne zunächst steht, soll mit dem Verfassungs- projcct nicht einverstanden sein; da der Prinz jedoch ein Ehrenmann ist und seinem ganzen Charakter nach keine Aehnlichkeit mit einem gewissen früheren Agnaten eines andern Königshauses hat, so ist auch von ihm nicht zu besorgen, daß ec bei der Gelangung zum Throne nur die eigenen Ansichten befragen und ein von seinem Bruder ertheil¬ tes Gesetz, das dem Lande lieb geworden, wieder aufheben werde. Täuschen die hier verbreitern Gerüchte nicht, so sollen bereits im Herbste dieses Jahres die ständischen Vertreter der Monarchie hier zu¬ sammenkommen. Wäre dies wirklich der Fall und würde durch die neue Verfassung die bürgerliche Freiheit in Preußen zur vollen Wahr¬ heit, dann hätte wohl ganz Deutschland das Jahr 1845 als eine neue Aera zu betrachten, als eine Aera, von welcher des deutschen Volkes Gleichstellung mit den mächtigsten und freiesten Nationen Europas datirte! Justus. 2. Probst Zöllner und dieCorrespondenten. —Die beiden Grimm. — Pvlirischer Takt der Berliner. — Zweierlei Politiker. — Volksstimmung. — Jenny Linv, Wilhelm Kunst und der Balletmeister Taglioni. — Die orthographischen Feh¬ ler Friedrich'6 des Großen. — Der Zweck dieser Briefe aus Berlin, die ich einer freundlichen Aufforderung des Herrn Redacteurs zufolge, für die „Grenzboten" beginne, soll keinesweges der sein: einen Total-Ueberblick für die Leser auf berlinische Zustände und Ereignisse zu eröffnen, sondem im Ge¬ gentheil, ich will darin Nichts als bestrebt sein, einzelne Momente, die mich interessiren und über die ich glaube im Stande zu sein, etwas nicht ganz Unrichtiges zu sagen, beliebig herauszuheben und zum Ge¬ genstande meiner Besprechung zu machen. Meine Eorrespondenzcn wer¬ den auf diese Weise eigentlich Nichts anderes, als gesammelte Eindrücke sein, die ich mich bemüht erweisen will, darin zu firiren. Es darf daher Niemanden wundern, wenn er Dinge und Ereig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/337>, abgerufen am 06.05.2024.