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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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im Odeon gesehen und welches den Titel führt: s " I>mi"in"-t Ni-
livi-o. Es ist sehr amüsant Molivre's Water will seinen Sohn
von der Theaterlaufbahn abhalten, was ihm jedoch mißlingt; hübsche
Scenen und piquanter Dialog. Der Verfasser heißt Commerson und
man erzählt von ihm selbst folgende faktische Anekdote. Commerson
-- bereits ein ältlicher Mann -- war zur Zeit der Restauration
Professor an der Universität, wurde aber wegen antijcsuitischer Vorträge
abgesetzt. Am andern Tage nach seiner Absetzung fand man ihn mit
einer Schürze um den Leib und einer Bürste in der Hand vor dem Ein¬
gang des Universitätssaales, um, brodlos wie er geworden -- sagte er --
jetzt die Stiefel den Studenten zu wichsen, die er gestern in der Wis¬
senschaft unterrichtet. Dieser trotzige Scandal veranlaßte die Regierung,
ihm eine andere Stelle zu geben.


II.
'Aus B cru u.
I.
Neue Gerüchte von einem preußischen Constitutioiisprojcct,

ES ist entschieden: wir bekommen eine Verfassung! Und so
wollen auch wir denn bekennen, daß wir, als wir noch vor einigen
Wochen in diesen Blattern die in französischen Zeitungen enthaltene
Nachricht von der den preußischen Landen bevorstehenden Constitution
für eine Fabel erklärten, in einem Irrthume uns befanden, den frei¬
lich alle Welt hier mit uns getheilt hat. Ja, nicht blos in Paris,
fondern auch in Madrid war man früher davon unterrichtet als hier!
Sind doch hier Briefe vom Grafen Bresson, dem jetzigen Botschafter
Frankreichs bei der Königin Jsabella, eingegangen, worin dieser dem
Lande, in welchem er seinen Souverain früher vertrat, Glück dazu
wünscht, d.-.ß es enolich auch in politischer Hinsicht den Fortschritts-
staatcn Europas sich anschließe. Aber was werden die beiden alten
grämlichen Frau Basen dazu sagen, deren Liebe und Freundschaft der
verstorbene Landesvater in seinem Testamentuns empfohlen hat? Nun,
hoffentlich werden sie uns nachfolgen, oder wenn es ihnen in un¬
serer Gesellschaft nicht mehr gefallt, -- was wir jedoch von Seite der
ehrlichen deutschen Base weder hoffen noch wünschen -- sich ganz und
gar dem Osten zuwenden, dem sie mit ihren Institutionen und Stre-
bungen ohnedies mehr angehören, als dem von der Sonne des 19.
Jahrhunderts erleuchteten Occident.

Also eine Verfassung, und zwar keine solche, von der das Pari¬
ser Eharivari sagte, Meyerbeer sollte sie componiren, Tieck den Text
dazu schreiben und da Beide es ablehnten, so habe endlich Schilling
die Constitution geliefert, deren erster Paragraph also lautete: ez. I.
"Das Concrete ist abgeschafft." Wir hoffen vielmehr, sie werde ge-


im Odeon gesehen und welches den Titel führt: s » I>mi«in«-t Ni-
livi-o. Es ist sehr amüsant Molivre's Water will seinen Sohn
von der Theaterlaufbahn abhalten, was ihm jedoch mißlingt; hübsche
Scenen und piquanter Dialog. Der Verfasser heißt Commerson und
man erzählt von ihm selbst folgende faktische Anekdote. Commerson
— bereits ein ältlicher Mann — war zur Zeit der Restauration
Professor an der Universität, wurde aber wegen antijcsuitischer Vorträge
abgesetzt. Am andern Tage nach seiner Absetzung fand man ihn mit
einer Schürze um den Leib und einer Bürste in der Hand vor dem Ein¬
gang des Universitätssaales, um, brodlos wie er geworden — sagte er —
jetzt die Stiefel den Studenten zu wichsen, die er gestern in der Wis¬
senschaft unterrichtet. Dieser trotzige Scandal veranlaßte die Regierung,
ihm eine andere Stelle zu geben.


II.
'Aus B cru u.
I.
Neue Gerüchte von einem preußischen Constitutioiisprojcct,

ES ist entschieden: wir bekommen eine Verfassung! Und so
wollen auch wir denn bekennen, daß wir, als wir noch vor einigen
Wochen in diesen Blattern die in französischen Zeitungen enthaltene
Nachricht von der den preußischen Landen bevorstehenden Constitution
für eine Fabel erklärten, in einem Irrthume uns befanden, den frei¬
lich alle Welt hier mit uns getheilt hat. Ja, nicht blos in Paris,
fondern auch in Madrid war man früher davon unterrichtet als hier!
Sind doch hier Briefe vom Grafen Bresson, dem jetzigen Botschafter
Frankreichs bei der Königin Jsabella, eingegangen, worin dieser dem
Lande, in welchem er seinen Souverain früher vertrat, Glück dazu
wünscht, d.-.ß es enolich auch in politischer Hinsicht den Fortschritts-
staatcn Europas sich anschließe. Aber was werden die beiden alten
grämlichen Frau Basen dazu sagen, deren Liebe und Freundschaft der
verstorbene Landesvater in seinem Testamentuns empfohlen hat? Nun,
hoffentlich werden sie uns nachfolgen, oder wenn es ihnen in un¬
serer Gesellschaft nicht mehr gefallt, — was wir jedoch von Seite der
ehrlichen deutschen Base weder hoffen noch wünschen — sich ganz und
gar dem Osten zuwenden, dem sie mit ihren Institutionen und Stre-
bungen ohnedies mehr angehören, als dem von der Sonne des 19.
Jahrhunderts erleuchteten Occident.

Also eine Verfassung, und zwar keine solche, von der das Pari¬
ser Eharivari sagte, Meyerbeer sollte sie componiren, Tieck den Text
dazu schreiben und da Beide es ablehnten, so habe endlich Schilling
die Constitution geliefert, deren erster Paragraph also lautete: ez. I.
„Das Concrete ist abgeschafft." Wir hoffen vielmehr, sie werde ge-


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[0336] im Odeon gesehen und welches den Titel führt: s » I>mi«in«-t Ni- livi-o. Es ist sehr amüsant Molivre's Water will seinen Sohn von der Theaterlaufbahn abhalten, was ihm jedoch mißlingt; hübsche Scenen und piquanter Dialog. Der Verfasser heißt Commerson und man erzählt von ihm selbst folgende faktische Anekdote. Commerson — bereits ein ältlicher Mann — war zur Zeit der Restauration Professor an der Universität, wurde aber wegen antijcsuitischer Vorträge abgesetzt. Am andern Tage nach seiner Absetzung fand man ihn mit einer Schürze um den Leib und einer Bürste in der Hand vor dem Ein¬ gang des Universitätssaales, um, brodlos wie er geworden — sagte er — jetzt die Stiefel den Studenten zu wichsen, die er gestern in der Wis¬ senschaft unterrichtet. Dieser trotzige Scandal veranlaßte die Regierung, ihm eine andere Stelle zu geben. II. 'Aus B cru u. I. Neue Gerüchte von einem preußischen Constitutioiisprojcct, ES ist entschieden: wir bekommen eine Verfassung! Und so wollen auch wir denn bekennen, daß wir, als wir noch vor einigen Wochen in diesen Blattern die in französischen Zeitungen enthaltene Nachricht von der den preußischen Landen bevorstehenden Constitution für eine Fabel erklärten, in einem Irrthume uns befanden, den frei¬ lich alle Welt hier mit uns getheilt hat. Ja, nicht blos in Paris, fondern auch in Madrid war man früher davon unterrichtet als hier! Sind doch hier Briefe vom Grafen Bresson, dem jetzigen Botschafter Frankreichs bei der Königin Jsabella, eingegangen, worin dieser dem Lande, in welchem er seinen Souverain früher vertrat, Glück dazu wünscht, d.-.ß es enolich auch in politischer Hinsicht den Fortschritts- staatcn Europas sich anschließe. Aber was werden die beiden alten grämlichen Frau Basen dazu sagen, deren Liebe und Freundschaft der verstorbene Landesvater in seinem Testamentuns empfohlen hat? Nun, hoffentlich werden sie uns nachfolgen, oder wenn es ihnen in un¬ serer Gesellschaft nicht mehr gefallt, — was wir jedoch von Seite der ehrlichen deutschen Base weder hoffen noch wünschen — sich ganz und gar dem Osten zuwenden, dem sie mit ihren Institutionen und Stre- bungen ohnedies mehr angehören, als dem von der Sonne des 19. Jahrhunderts erleuchteten Occident. Also eine Verfassung, und zwar keine solche, von der das Pari¬ ser Eharivari sagte, Meyerbeer sollte sie componiren, Tieck den Text dazu schreiben und da Beide es ablehnten, so habe endlich Schilling die Constitution geliefert, deren erster Paragraph also lautete: ez. I. „Das Concrete ist abgeschafft." Wir hoffen vielmehr, sie werde ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/336>, abgerufen am 27.05.2024.