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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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dessen sich seit Jahren kein neueres Stück auf unserer Bühne zu er¬
freuen gehabt hat.


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V.
Herr Lewald und seiue Polemik.

Das bisherige Treiben der Lcwaldschen Europa war kürzlich in
diesen Blättern einer strengen Kritik unterworfen worden. Wir wissen
bis jetzt von keiner einzigen Stimme, die sich zur Vertheidigung des
Herrn Lewald erhoben hatte -- außer seiner eigenen. Aber sucht sich
denn Herr Lewald selbst zu vertheidigen? Ganz und gar nicht;
wozu auch? Haben wir ihm doch blos seine gesinnungslose Betriebsamkeit,
seinen Stumpfsinn für alle höheren Interessen, seinen gänzlichen Man¬
gel an literarischem Ehrgefühl vorgeworfen! Das sind Bagatellen,
auf die ein Mann wie Lewald nur spöttisch den Mund verzieht. Lite¬
rarisches Ehrgefühl?! -- Chimäre! Höhere Interessen!? -- Bah,
mir werden Sie doch nicht weis machen wollen, daß es dergleichen
gibt. Gesinnung? -- Herr Lewald coquettirt damit, er ist beinahe
stolz darauf, daß er keine Gesinnung hat; und er verhöhnt ganz
offenherzig uns arme Gestnnungsnarren, die wir's für unsere verfluchte
Schuldigkeit halten, irgend einem Volksinteresse zu dienen. -- In der
That, nicht Ein Wort zu seiner Vertheidigung hat Herr Lewald vor¬
gebracht; seine Entgegnung besteht darin, daß er den eigenen Schmutz
seinem Gegner in's Gesicht wirst; da er sich nicht reinigen kann, möchte
er seinen Gegner verunreinigen. Herr Lewald ist sehr heruntergekom¬
men; wir erwiesen ihm die Ehre, ihn vom Standpunkt des Publici-
sten anzugreifen, und er antwortet im Tone des Herrn Wiese! -- Wie soll
man eine Polemik bezeichnen, die mit den Worten anfangt: "Wer
kennt nicht den kleinen schönen I. Kuranda?" Bisher sprach man
von einer schönen Literatur: dem Genie der Europa war es vorbe¬
halten, der Kritik diese neue Bahn zu brechen; denn fortan wird eine
würdigere Eintheilung in schöne und nicht schöne Literaten stattfin¬
den. Irgend eine Art von Maßstab muß selbst Derjenige haben, der
alle höhern Prinzipien verachtet, und für den Kammerdiener der Lite¬
ratur wüßten wir allerdings kein angemesseneres Prinzip, als das von
Herrn Lewald gewählte. Nur Eines sollte Herr Lewald nicht vergessen.
Wir wissen, wie sehr ihm daran liegt, den Schein zu retten, die De-
hors zu beachten. Der pfiffige Kammerdiener der Literatur wird doch
für mehr gelten wollen, als er ist'; wozu hätte er seine Pfiffigkeit?
So viel gefällige Routine besitzt er schon und so viel Gutmüthigkeit
gibt es noch unter deutschen Schriftstellern, daß er ein Paar Autoren
von Namen und Gesinnung dahin bringt, mit ihren harmlosen


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dessen sich seit Jahren kein neueres Stück auf unserer Bühne zu er¬
freuen gehabt hat.


A..
V.
Herr Lewald und seiue Polemik.

Das bisherige Treiben der Lcwaldschen Europa war kürzlich in
diesen Blättern einer strengen Kritik unterworfen worden. Wir wissen
bis jetzt von keiner einzigen Stimme, die sich zur Vertheidigung des
Herrn Lewald erhoben hatte — außer seiner eigenen. Aber sucht sich
denn Herr Lewald selbst zu vertheidigen? Ganz und gar nicht;
wozu auch? Haben wir ihm doch blos seine gesinnungslose Betriebsamkeit,
seinen Stumpfsinn für alle höheren Interessen, seinen gänzlichen Man¬
gel an literarischem Ehrgefühl vorgeworfen! Das sind Bagatellen,
auf die ein Mann wie Lewald nur spöttisch den Mund verzieht. Lite¬
rarisches Ehrgefühl?! — Chimäre! Höhere Interessen!? — Bah,
mir werden Sie doch nicht weis machen wollen, daß es dergleichen
gibt. Gesinnung? — Herr Lewald coquettirt damit, er ist beinahe
stolz darauf, daß er keine Gesinnung hat; und er verhöhnt ganz
offenherzig uns arme Gestnnungsnarren, die wir's für unsere verfluchte
Schuldigkeit halten, irgend einem Volksinteresse zu dienen. — In der
That, nicht Ein Wort zu seiner Vertheidigung hat Herr Lewald vor¬
gebracht; seine Entgegnung besteht darin, daß er den eigenen Schmutz
seinem Gegner in's Gesicht wirst; da er sich nicht reinigen kann, möchte
er seinen Gegner verunreinigen. Herr Lewald ist sehr heruntergekom¬
men; wir erwiesen ihm die Ehre, ihn vom Standpunkt des Publici-
sten anzugreifen, und er antwortet im Tone des Herrn Wiese! — Wie soll
man eine Polemik bezeichnen, die mit den Worten anfangt: „Wer
kennt nicht den kleinen schönen I. Kuranda?" Bisher sprach man
von einer schönen Literatur: dem Genie der Europa war es vorbe¬
halten, der Kritik diese neue Bahn zu brechen; denn fortan wird eine
würdigere Eintheilung in schöne und nicht schöne Literaten stattfin¬
den. Irgend eine Art von Maßstab muß selbst Derjenige haben, der
alle höhern Prinzipien verachtet, und für den Kammerdiener der Lite¬
ratur wüßten wir allerdings kein angemesseneres Prinzip, als das von
Herrn Lewald gewählte. Nur Eines sollte Herr Lewald nicht vergessen.
Wir wissen, wie sehr ihm daran liegt, den Schein zu retten, die De-
hors zu beachten. Der pfiffige Kammerdiener der Literatur wird doch
für mehr gelten wollen, als er ist'; wozu hätte er seine Pfiffigkeit?
So viel gefällige Routine besitzt er schon und so viel Gutmüthigkeit
gibt es noch unter deutschen Schriftstellern, daß er ein Paar Autoren
von Namen und Gesinnung dahin bringt, mit ihren harmlosen


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[0347] dessen sich seit Jahren kein neueres Stück auf unserer Bühne zu er¬ freuen gehabt hat. A.. V. Herr Lewald und seiue Polemik. Das bisherige Treiben der Lcwaldschen Europa war kürzlich in diesen Blättern einer strengen Kritik unterworfen worden. Wir wissen bis jetzt von keiner einzigen Stimme, die sich zur Vertheidigung des Herrn Lewald erhoben hatte — außer seiner eigenen. Aber sucht sich denn Herr Lewald selbst zu vertheidigen? Ganz und gar nicht; wozu auch? Haben wir ihm doch blos seine gesinnungslose Betriebsamkeit, seinen Stumpfsinn für alle höheren Interessen, seinen gänzlichen Man¬ gel an literarischem Ehrgefühl vorgeworfen! Das sind Bagatellen, auf die ein Mann wie Lewald nur spöttisch den Mund verzieht. Lite¬ rarisches Ehrgefühl?! — Chimäre! Höhere Interessen!? — Bah, mir werden Sie doch nicht weis machen wollen, daß es dergleichen gibt. Gesinnung? — Herr Lewald coquettirt damit, er ist beinahe stolz darauf, daß er keine Gesinnung hat; und er verhöhnt ganz offenherzig uns arme Gestnnungsnarren, die wir's für unsere verfluchte Schuldigkeit halten, irgend einem Volksinteresse zu dienen. — In der That, nicht Ein Wort zu seiner Vertheidigung hat Herr Lewald vor¬ gebracht; seine Entgegnung besteht darin, daß er den eigenen Schmutz seinem Gegner in's Gesicht wirst; da er sich nicht reinigen kann, möchte er seinen Gegner verunreinigen. Herr Lewald ist sehr heruntergekom¬ men; wir erwiesen ihm die Ehre, ihn vom Standpunkt des Publici- sten anzugreifen, und er antwortet im Tone des Herrn Wiese! — Wie soll man eine Polemik bezeichnen, die mit den Worten anfangt: „Wer kennt nicht den kleinen schönen I. Kuranda?" Bisher sprach man von einer schönen Literatur: dem Genie der Europa war es vorbe¬ halten, der Kritik diese neue Bahn zu brechen; denn fortan wird eine würdigere Eintheilung in schöne und nicht schöne Literaten stattfin¬ den. Irgend eine Art von Maßstab muß selbst Derjenige haben, der alle höhern Prinzipien verachtet, und für den Kammerdiener der Lite¬ ratur wüßten wir allerdings kein angemesseneres Prinzip, als das von Herrn Lewald gewählte. Nur Eines sollte Herr Lewald nicht vergessen. Wir wissen, wie sehr ihm daran liegt, den Schein zu retten, die De- hors zu beachten. Der pfiffige Kammerdiener der Literatur wird doch für mehr gelten wollen, als er ist'; wozu hätte er seine Pfiffigkeit? So viel gefällige Routine besitzt er schon und so viel Gutmüthigkeit gibt es noch unter deutschen Schriftstellern, daß er ein Paar Autoren von Namen und Gesinnung dahin bringt, mit ihren harmlosen Grrnzl.vt-n !«is. l. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/347>, abgerufen am 05.05.2024.