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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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werfen diese Bärenhäuter Aepfel, Nüsse u. s. w. unter die Gassen-
jungen, die sich zu Hunderten um den Brunnen geschaart haben. Hat
sich nun ein dichter Schwarm zusammengedrängt, um diese Früchte
seines mehrstündigen Harrens zu genießen, so gießen die Metzger schef¬
felweise das Wasser auf jenen Punkt, wo der Knäuel am dichtesten
ist und die armen Jungen stäuben wie vom Blitze getroffen auseinan¬
der. Die Frucht, von der sie genossen, scheint aber nicht vom Erkennt¬
nißbaume gewesen zu sein, denn kaum sind sie auseinandergesprengt,
so folgt von Seiten der Metzger eine neue Bescherung, von Neuem
drangen sich die tropfenden Jungen hinzu, von Neuem werden sie be¬
gossen. Dieses ist die eigentliche Belustigung des Publicums und ein
schallendes Gelächter desselben verkündet die jedesmalige Taufe der
Gassenjungen. Diese Earnevalsbclustigung verdiente schon deshalb ge¬
nauere Auseinandersetzung, weil man ihr wenigstens jene Trocken¬
heit nicht zum Vorwurfe machen kann, an der unsere übrigen Fa¬
schingsvergnügungen so sehr leiden. -- Doch genug des Scherzes,
jetzt zu etwas Ernsterem. -- Die "historisch-politischen Blat¬
ter" haben sich für Preßfreiheit erklärt. Sie können sich
leicht vorstellen, daß diese Erklärung dahier, von Freunden und Geg¬
nern der Preßfreiheit mit großem, wenn auch entgegengesetztem Inte¬
resse aufgenommen wurde. Man ficht ihr ordentlich die Wehen an,
unter denen sie das Tageslicht begrüßte. Daß diese Erklärung von
Seiten der historisch-politischen Blätter nicht aus Liebe zur freien Presse,
sondern nur aus Unmuth, in Preußen verboten zu sein, hervorgegangen
und gleichsam eine ol-nei" >,rü "Icimo Kien ist, nimmt ihr Nichts von ihrer
Wichtigkeit. Freilich bringt schon die neueste Nummer einen Artikel,
in welchem dem pr. Obercensurgerichte wegen Freigebung des Rongeschen
Briefes mit großem Aufwand? von Sophistik Parteilichkeit zum Vor¬
wurfe gemacht wird, aber auch er schließt mit den Worten; "Preßfreiheit
sei auch unsere Losung." Nun, wenn von dieser Seite die Prefifreiheit
erkämpft wird, so wollen wir die "gute Presse" als solche von ganzem
Herzen anerkennen. -- In unserm Theater wurde endlich die vielbe¬
sprochene Mozart'sche Oper "Idomeneo" gegeben. Wahrlich, an die¬
sem Abende feierte, trotz des Doppelsternes in der "Allgemeinen", die
Langeweile ihre Orgien. Wenn auch das Verdienst, dieses Werk des
großen Meisters den Motten entrissen zu haben, alle Anerkennung ver¬
dient, so halten wir es doch für eine übelverstandene Pietät, das
Stück mit feinen ursprünglichen Längen unverkürzt auf die Bretter
gebracht zu haben. Ein anderes Stück, auf dem schon der Schutt
von Jahrtausenden ruht, wird auch hier, so sagt man, zur Aufführung
kommen: -- die Antigone des Sophokles. Das Jsarathen will in die¬
ser Beziehung dein Spreeathcn nicht nachstehen. Thiersch wird unser
Tieck sein. -- Laube's "Struensee" wurde vor einigen Tagen zum
Aweitenmale gegeben, bei übervollen Hause und mit einem Beifalle,


werfen diese Bärenhäuter Aepfel, Nüsse u. s. w. unter die Gassen-
jungen, die sich zu Hunderten um den Brunnen geschaart haben. Hat
sich nun ein dichter Schwarm zusammengedrängt, um diese Früchte
seines mehrstündigen Harrens zu genießen, so gießen die Metzger schef¬
felweise das Wasser auf jenen Punkt, wo der Knäuel am dichtesten
ist und die armen Jungen stäuben wie vom Blitze getroffen auseinan¬
der. Die Frucht, von der sie genossen, scheint aber nicht vom Erkennt¬
nißbaume gewesen zu sein, denn kaum sind sie auseinandergesprengt,
so folgt von Seiten der Metzger eine neue Bescherung, von Neuem
drangen sich die tropfenden Jungen hinzu, von Neuem werden sie be¬
gossen. Dieses ist die eigentliche Belustigung des Publicums und ein
schallendes Gelächter desselben verkündet die jedesmalige Taufe der
Gassenjungen. Diese Earnevalsbclustigung verdiente schon deshalb ge¬
nauere Auseinandersetzung, weil man ihr wenigstens jene Trocken¬
heit nicht zum Vorwurfe machen kann, an der unsere übrigen Fa¬
schingsvergnügungen so sehr leiden. — Doch genug des Scherzes,
jetzt zu etwas Ernsterem. — Die „historisch-politischen Blat¬
ter" haben sich für Preßfreiheit erklärt. Sie können sich
leicht vorstellen, daß diese Erklärung dahier, von Freunden und Geg¬
nern der Preßfreiheit mit großem, wenn auch entgegengesetztem Inte¬
resse aufgenommen wurde. Man ficht ihr ordentlich die Wehen an,
unter denen sie das Tageslicht begrüßte. Daß diese Erklärung von
Seiten der historisch-politischen Blätter nicht aus Liebe zur freien Presse,
sondern nur aus Unmuth, in Preußen verboten zu sein, hervorgegangen
und gleichsam eine ol-nei« >,rü «Icimo Kien ist, nimmt ihr Nichts von ihrer
Wichtigkeit. Freilich bringt schon die neueste Nummer einen Artikel,
in welchem dem pr. Obercensurgerichte wegen Freigebung des Rongeschen
Briefes mit großem Aufwand? von Sophistik Parteilichkeit zum Vor¬
wurfe gemacht wird, aber auch er schließt mit den Worten; „Preßfreiheit
sei auch unsere Losung." Nun, wenn von dieser Seite die Prefifreiheit
erkämpft wird, so wollen wir die „gute Presse" als solche von ganzem
Herzen anerkennen. — In unserm Theater wurde endlich die vielbe¬
sprochene Mozart'sche Oper „Idomeneo" gegeben. Wahrlich, an die¬
sem Abende feierte, trotz des Doppelsternes in der „Allgemeinen", die
Langeweile ihre Orgien. Wenn auch das Verdienst, dieses Werk des
großen Meisters den Motten entrissen zu haben, alle Anerkennung ver¬
dient, so halten wir es doch für eine übelverstandene Pietät, das
Stück mit feinen ursprünglichen Längen unverkürzt auf die Bretter
gebracht zu haben. Ein anderes Stück, auf dem schon der Schutt
von Jahrtausenden ruht, wird auch hier, so sagt man, zur Aufführung
kommen: — die Antigone des Sophokles. Das Jsarathen will in die¬
ser Beziehung dein Spreeathcn nicht nachstehen. Thiersch wird unser
Tieck sein. — Laube's „Struensee" wurde vor einigen Tagen zum
Aweitenmale gegeben, bei übervollen Hause und mit einem Beifalle,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/346>, abgerufen am 26.05.2024.