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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Die magyarische Presse gegen die deutsche



Wir Deutschen möchten so gerne die Hebammen der Nationen vor¬
stellen und der in Geburtswehen liegenden Zeit Ruhe, Frieden und
Erleichterung schaffen. An und für sich wäre diese Rolle nicht die ver¬
werflichste, wenn wir sie nur mit mehr Geschmack, Glück und Takt zu spie¬
len wüßten. Bei dem pädagogischen Charakter, der uns trotz aller prak¬
tischen Rippenstöße, die wir bekommen, tnnewohnt, inreressirt uns alles
Werdende und Halbgeschaffene. Die Gründlichkeit, die uns überall
hintreibt, wo wir eine Lücke in unserem eigenen Wissen wahr¬
nehmen, hat uns zu manchem Fehlgriff verleitet und die Satyre der
Andern zugezogen, die mit leichterem Sinne an das Werk gingen.
Glücklicherweise ist dies mit Ungarn nicht der Fall. Wir sind hier
auf ein Land gestoßen, das unserer Belehrungs- und Verständigungs-
sucht das weiteste Feld darbietet. Andere Länder mögen uns in ih¬
rem Entwicklungsgange dieselben Erscheinungen darbieten, aber theils
kennen wir sie besser, weil sie germanischer Natur, theils haben wir
selbst ein Wort dabei angesprochen. Diesen Prometheuskampf aber
von halbasiatischen Institutionen mit den modernen Ideen Europas
hat Ungarn allein. Außerdem läßt uns noch ein sehr reeller politi¬
scher Grund mit sehnsüchtigen Blicken über die Gränzen der deutschen
Ostmark schauen. Wir fühlen, namentlich wir in Oesterreich fühlen
das Bedürfniß, uns in Rapport mit den Zuständen dieses Landes
schon jetzt zu bringen. Auf die Beziehungen, die sie zu dem übrigen
Deutschland haben, hat das Auftreten des Dr. List in den letzten
Tagen des ungarischen Reichstages ein genug Helles Licht geworfen.
Die zahlreichen Berichte in den politischen und halbpolitischen Blät-


Die magyarische Presse gegen die deutsche



Wir Deutschen möchten so gerne die Hebammen der Nationen vor¬
stellen und der in Geburtswehen liegenden Zeit Ruhe, Frieden und
Erleichterung schaffen. An und für sich wäre diese Rolle nicht die ver¬
werflichste, wenn wir sie nur mit mehr Geschmack, Glück und Takt zu spie¬
len wüßten. Bei dem pädagogischen Charakter, der uns trotz aller prak¬
tischen Rippenstöße, die wir bekommen, tnnewohnt, inreressirt uns alles
Werdende und Halbgeschaffene. Die Gründlichkeit, die uns überall
hintreibt, wo wir eine Lücke in unserem eigenen Wissen wahr¬
nehmen, hat uns zu manchem Fehlgriff verleitet und die Satyre der
Andern zugezogen, die mit leichterem Sinne an das Werk gingen.
Glücklicherweise ist dies mit Ungarn nicht der Fall. Wir sind hier
auf ein Land gestoßen, das unserer Belehrungs- und Verständigungs-
sucht das weiteste Feld darbietet. Andere Länder mögen uns in ih¬
rem Entwicklungsgange dieselben Erscheinungen darbieten, aber theils
kennen wir sie besser, weil sie germanischer Natur, theils haben wir
selbst ein Wort dabei angesprochen. Diesen Prometheuskampf aber
von halbasiatischen Institutionen mit den modernen Ideen Europas
hat Ungarn allein. Außerdem läßt uns noch ein sehr reeller politi¬
scher Grund mit sehnsüchtigen Blicken über die Gränzen der deutschen
Ostmark schauen. Wir fühlen, namentlich wir in Oesterreich fühlen
das Bedürfniß, uns in Rapport mit den Zuständen dieses Landes
schon jetzt zu bringen. Auf die Beziehungen, die sie zu dem übrigen
Deutschland haben, hat das Auftreten des Dr. List in den letzten
Tagen des ungarischen Reichstages ein genug Helles Licht geworfen.
Die zahlreichen Berichte in den politischen und halbpolitischen Blät-


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[0479] Die magyarische Presse gegen die deutsche Wir Deutschen möchten so gerne die Hebammen der Nationen vor¬ stellen und der in Geburtswehen liegenden Zeit Ruhe, Frieden und Erleichterung schaffen. An und für sich wäre diese Rolle nicht die ver¬ werflichste, wenn wir sie nur mit mehr Geschmack, Glück und Takt zu spie¬ len wüßten. Bei dem pädagogischen Charakter, der uns trotz aller prak¬ tischen Rippenstöße, die wir bekommen, tnnewohnt, inreressirt uns alles Werdende und Halbgeschaffene. Die Gründlichkeit, die uns überall hintreibt, wo wir eine Lücke in unserem eigenen Wissen wahr¬ nehmen, hat uns zu manchem Fehlgriff verleitet und die Satyre der Andern zugezogen, die mit leichterem Sinne an das Werk gingen. Glücklicherweise ist dies mit Ungarn nicht der Fall. Wir sind hier auf ein Land gestoßen, das unserer Belehrungs- und Verständigungs- sucht das weiteste Feld darbietet. Andere Länder mögen uns in ih¬ rem Entwicklungsgange dieselben Erscheinungen darbieten, aber theils kennen wir sie besser, weil sie germanischer Natur, theils haben wir selbst ein Wort dabei angesprochen. Diesen Prometheuskampf aber von halbasiatischen Institutionen mit den modernen Ideen Europas hat Ungarn allein. Außerdem läßt uns noch ein sehr reeller politi¬ scher Grund mit sehnsüchtigen Blicken über die Gränzen der deutschen Ostmark schauen. Wir fühlen, namentlich wir in Oesterreich fühlen das Bedürfniß, uns in Rapport mit den Zuständen dieses Landes schon jetzt zu bringen. Auf die Beziehungen, die sie zu dem übrigen Deutschland haben, hat das Auftreten des Dr. List in den letzten Tagen des ungarischen Reichstages ein genug Helles Licht geworfen. Die zahlreichen Berichte in den politischen und halbpolitischen Blät-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/479>, abgerufen am 06.05.2024.