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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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?lus Paris.

Ist Frankreich katholisch ! -- Die Kirche und die Noblesse in der Mode. --
Mme. Weiß und ihre Trupp?. -- Die Ausweisung der Deutschen; Herr von
Bornstedt und die Gesandten.

Ist Frankreich katholisch? Römisch? Gallicanisch? Jansemstisch?
Voltairisch? In Deutschland, glaubt man häusig das Letzte, aber in
Paris steigen gewichtige Zweifel dem Beobachter aus. Die Journale,
die Cafes, die Theater, der Salon, kurz Alles, was klirrt und schwirrt
und auf der Außenwelt schwimmt, ist ohnstreitig antikirchlich. -- Im
Theater wird Tartüffe häusiger als je gegeben und fanatischer als je
beklatscht. Der Eonstitutionel gewinnt Tausende von Abonnenten,
weil er einen Jesuitenroman in seinem Feuilleton druckt, Michelet
schreibt ein Buch voll Uebertreibungen und in zwei Tagen ist
die Auflage vergriffen, weil es gegen die Priester donnert. I^>s
pi-sei-of und wieder les nrvtres hört man von allen Seiten schimpfen.
Aber die Kirchen sind voller als je, die Bischöfe sprechen in einem
Tone wie anno 1816, ein Handbuch des Kirchenrechts, von einem
berühmten Staatsmann und Juristen, welches mehrere Jahre alt ist,
wird plötzlich bei seiner vierten Auflage von zwei Bischöfen in den
Bann gethan. Die Geistlichen gehen mit sicherem Schritt und stol¬
zerem Nacken durch die Straßen. Woher dies Alles, wenn Frankreich
wirklich voltairisch wäre? Würde die Hierarchie diese Kühnheit zeigen,
wenn sie nicht auf Kräfte zählen könnte? Es ist mit dem französischen
Glauben, wie mit der französischen Sittlichkeit. Wenn man die Ro¬
mane und Dramen liest, welche seit 183V erschienen sind; wenn man
den Assisenvcrhandlungen beiwohnt, die tagtäglich lang und breit be¬
schrieben werden, so müßte man denken, Frankreich sei der größten
Zahl nach von Ehebrechern, Giftmischerinnen und Straßendieben be¬
wohnt. Aber wer in das innere Familienleben dieses Frankreichs ge-


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?lus Paris.

Ist Frankreich katholisch ! — Die Kirche und die Noblesse in der Mode. —
Mme. Weiß und ihre Trupp?. — Die Ausweisung der Deutschen; Herr von
Bornstedt und die Gesandten.

Ist Frankreich katholisch? Römisch? Gallicanisch? Jansemstisch?
Voltairisch? In Deutschland, glaubt man häusig das Letzte, aber in
Paris steigen gewichtige Zweifel dem Beobachter aus. Die Journale,
die Cafes, die Theater, der Salon, kurz Alles, was klirrt und schwirrt
und auf der Außenwelt schwimmt, ist ohnstreitig antikirchlich. — Im
Theater wird Tartüffe häusiger als je gegeben und fanatischer als je
beklatscht. Der Eonstitutionel gewinnt Tausende von Abonnenten,
weil er einen Jesuitenroman in seinem Feuilleton druckt, Michelet
schreibt ein Buch voll Uebertreibungen und in zwei Tagen ist
die Auflage vergriffen, weil es gegen die Priester donnert. I^>s
pi-sei-of und wieder les nrvtres hört man von allen Seiten schimpfen.
Aber die Kirchen sind voller als je, die Bischöfe sprechen in einem
Tone wie anno 1816, ein Handbuch des Kirchenrechts, von einem
berühmten Staatsmann und Juristen, welches mehrere Jahre alt ist,
wird plötzlich bei seiner vierten Auflage von zwei Bischöfen in den
Bann gethan. Die Geistlichen gehen mit sicherem Schritt und stol¬
zerem Nacken durch die Straßen. Woher dies Alles, wenn Frankreich
wirklich voltairisch wäre? Würde die Hierarchie diese Kühnheit zeigen,
wenn sie nicht auf Kräfte zählen könnte? Es ist mit dem französischen
Glauben, wie mit der französischen Sittlichkeit. Wenn man die Ro¬
mane und Dramen liest, welche seit 183V erschienen sind; wenn man
den Assisenvcrhandlungen beiwohnt, die tagtäglich lang und breit be¬
schrieben werden, so müßte man denken, Frankreich sei der größten
Zahl nach von Ehebrechern, Giftmischerinnen und Straßendieben be¬
wohnt. Aber wer in das innere Familienleben dieses Frankreichs ge-


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[0575] T a g e b u es. >. ?lus Paris. Ist Frankreich katholisch ! — Die Kirche und die Noblesse in der Mode. — Mme. Weiß und ihre Trupp?. — Die Ausweisung der Deutschen; Herr von Bornstedt und die Gesandten. Ist Frankreich katholisch? Römisch? Gallicanisch? Jansemstisch? Voltairisch? In Deutschland, glaubt man häusig das Letzte, aber in Paris steigen gewichtige Zweifel dem Beobachter aus. Die Journale, die Cafes, die Theater, der Salon, kurz Alles, was klirrt und schwirrt und auf der Außenwelt schwimmt, ist ohnstreitig antikirchlich. — Im Theater wird Tartüffe häusiger als je gegeben und fanatischer als je beklatscht. Der Eonstitutionel gewinnt Tausende von Abonnenten, weil er einen Jesuitenroman in seinem Feuilleton druckt, Michelet schreibt ein Buch voll Uebertreibungen und in zwei Tagen ist die Auflage vergriffen, weil es gegen die Priester donnert. I^>s pi-sei-of und wieder les nrvtres hört man von allen Seiten schimpfen. Aber die Kirchen sind voller als je, die Bischöfe sprechen in einem Tone wie anno 1816, ein Handbuch des Kirchenrechts, von einem berühmten Staatsmann und Juristen, welches mehrere Jahre alt ist, wird plötzlich bei seiner vierten Auflage von zwei Bischöfen in den Bann gethan. Die Geistlichen gehen mit sicherem Schritt und stol¬ zerem Nacken durch die Straßen. Woher dies Alles, wenn Frankreich wirklich voltairisch wäre? Würde die Hierarchie diese Kühnheit zeigen, wenn sie nicht auf Kräfte zählen könnte? Es ist mit dem französischen Glauben, wie mit der französischen Sittlichkeit. Wenn man die Ro¬ mane und Dramen liest, welche seit 183V erschienen sind; wenn man den Assisenvcrhandlungen beiwohnt, die tagtäglich lang und breit be¬ schrieben werden, so müßte man denken, Frankreich sei der größten Zahl nach von Ehebrechern, Giftmischerinnen und Straßendieben be¬ wohnt. Aber wer in das innere Familienleben dieses Frankreichs ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/575>, abgerufen am 06.05.2024.