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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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drungen, wer durch die äußere Rinde des frivolen Paris sich durch-
gebissen und zum Kern der Bevölkerung gelangt ist, der wird gestehen,
daß das hausliche Leben dieser tüchtigen Nation eben so reich an Wür¬
digkeit, Treue, Innigkeit und sittlicher Kraft ist, wie Deutschland.
Sollte es nicht derselbe Fall mit der Religion sein? Diese Frage ist
nicht so bestimmt zu beantworten, wie die Sittlichkeitsfrage.

Eins ist nicht zu läugnen: die Kirche wird wieder Mode! Das¬
selbe Journal des Debats, welches in seinen Vordcrspalten den Bi¬
schöfen den Krieg macht, zeigt unter seinen kleinen Tagesneuigkeiten
gewissenhaft an, heute wird der Abbe! So und So in der Kirche da
und da predigen. Die Herzogin die Marquise V, die Gräfin Z
u. s. w. werden dabei die Sammlung (für ein religiöses Institut oder
für die Armen) machen. Man kann sicher sein, daß eine solche Re¬
klame nicht geringere Massen in die Kirche So und So führt, als
wenn man das Auftreten der Rachel und der Elster in einem neuen
Stücke ankündigte. Denn wohl gemerkt, auch die Noblesse
wird wieder Mode. Die Faubourg Se. Germain hat nicht nur auf¬
gehört, ein Ziel des Spottes zu werden, sie spielt vielmehr wieder eine
wichtige Rolle. In allen neuern Romanen sigurirt sie als ein Hei-
ligthum mit einer Gloriole umgeben, in allen Salons ist sie tonan¬
gebend. Wenn die Herzogin ^ und die Marquise V in die Kirche
gehn, so ist die Banquiersfrau, die DeputirtengMin nicht mehr zu
Hause zu halten. Man buhlt um die Ehre, neben diesen hochbetitcl-
ten Damen gleichfalls als I^-rd^ ^troiioss in den Listen der Journal-
und der Wohlthätigkeits - Bureaux zu figuriren. Nichts kann dem
Voltärianismus mehr schaden, als wenn es heißt, der Epicier hängt
ihm an. Die Banquierssrau stellt den Verfasser des Oictimiiüiv
>)K'iI"8"nIt1<in"z bereits in eine Reihe mit Paul de Kock; es zeigt von
schlechtem Ton, ihn gelesen zu haben. Lmnmvut Nimsionr, ni-n^v?
vous s>no in'oceupg ki'uno teile lecturs? s>, e's s t in "r c I,-rud !
Die Mode ist eine Propaganda, welche der katholischen Hierarchie oft
trefflich zu Stande kam und ihr eben jetzt wieder die Bagagewagen
bespannt.

Die Geschichte mit der Madame Weiß und den sechs und dreißig
Wiener Tänzerinnen hat eine ernste Wendung genommen. Man hat
Anfangs geglaubt, es sei blos wegen einer Förmlichkeit des Passes,
(den die Tänzerin von Wien aus blos nach Frankfurt zu reisen er¬
hielt), weshalb die österreichische Gesandtschaft in Brüssel und jetzt
auch in Paris das weitere Visa versagte und die Rückreise verlangte.
Jetzt hat sich die Sache aufgeklärt. Die Köchin der Madame Weiß,
deren Töchterchen gleichfalls unter den 36 Ballctkindern sich befand,
empörte sich wegen der strengen Behandlung und unzureichenden Be¬
köstigung jihreS Kindes. Sie reiste endlich mit diesem zurück nach
Wien und die Kork lebenden Eltern der übrigen kleinen Tänzerinnen


drungen, wer durch die äußere Rinde des frivolen Paris sich durch-
gebissen und zum Kern der Bevölkerung gelangt ist, der wird gestehen,
daß das hausliche Leben dieser tüchtigen Nation eben so reich an Wür¬
digkeit, Treue, Innigkeit und sittlicher Kraft ist, wie Deutschland.
Sollte es nicht derselbe Fall mit der Religion sein? Diese Frage ist
nicht so bestimmt zu beantworten, wie die Sittlichkeitsfrage.

Eins ist nicht zu läugnen: die Kirche wird wieder Mode! Das¬
selbe Journal des Debats, welches in seinen Vordcrspalten den Bi¬
schöfen den Krieg macht, zeigt unter seinen kleinen Tagesneuigkeiten
gewissenhaft an, heute wird der Abbe! So und So in der Kirche da
und da predigen. Die Herzogin die Marquise V, die Gräfin Z
u. s. w. werden dabei die Sammlung (für ein religiöses Institut oder
für die Armen) machen. Man kann sicher sein, daß eine solche Re¬
klame nicht geringere Massen in die Kirche So und So führt, als
wenn man das Auftreten der Rachel und der Elster in einem neuen
Stücke ankündigte. Denn wohl gemerkt, auch die Noblesse
wird wieder Mode. Die Faubourg Se. Germain hat nicht nur auf¬
gehört, ein Ziel des Spottes zu werden, sie spielt vielmehr wieder eine
wichtige Rolle. In allen neuern Romanen sigurirt sie als ein Hei-
ligthum mit einer Gloriole umgeben, in allen Salons ist sie tonan¬
gebend. Wenn die Herzogin ^ und die Marquise V in die Kirche
gehn, so ist die Banquiersfrau, die DeputirtengMin nicht mehr zu
Hause zu halten. Man buhlt um die Ehre, neben diesen hochbetitcl-
ten Damen gleichfalls als I^-rd^ ^troiioss in den Listen der Journal-
und der Wohlthätigkeits - Bureaux zu figuriren. Nichts kann dem
Voltärianismus mehr schaden, als wenn es heißt, der Epicier hängt
ihm an. Die Banquierssrau stellt den Verfasser des Oictimiiüiv
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schlechtem Ton, ihn gelesen zu haben. Lmnmvut Nimsionr, ni-n^v?
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Die Mode ist eine Propaganda, welche der katholischen Hierarchie oft
trefflich zu Stande kam und ihr eben jetzt wieder die Bagagewagen
bespannt.

Die Geschichte mit der Madame Weiß und den sechs und dreißig
Wiener Tänzerinnen hat eine ernste Wendung genommen. Man hat
Anfangs geglaubt, es sei blos wegen einer Förmlichkeit des Passes,
(den die Tänzerin von Wien aus blos nach Frankfurt zu reisen er¬
hielt), weshalb die österreichische Gesandtschaft in Brüssel und jetzt
auch in Paris das weitere Visa versagte und die Rückreise verlangte.
Jetzt hat sich die Sache aufgeklärt. Die Köchin der Madame Weiß,
deren Töchterchen gleichfalls unter den 36 Ballctkindern sich befand,
empörte sich wegen der strengen Behandlung und unzureichenden Be¬
köstigung jihreS Kindes. Sie reiste endlich mit diesem zurück nach
Wien und die Kork lebenden Eltern der übrigen kleinen Tänzerinnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/576>, abgerufen am 26.05.2024.