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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Einige Tage in Berlin.
Von Heinrich Laube.



E r se e r Tag.

Schnee und immer Schnee! Auch wir waren noch aufgehalten
worden in unserer Fahrt durch neues Schneewetter, obwohl wir erst
vierzehn Tage nach der russischen Katastrophe auf unsern Bahnen in
die Waggons gestiegen waren. Meilenweit standen sie noch links und
rechts, die mühsam aufgeschaufelten Schneemauern und zwar in einer
Gegend, wo sonst Berg und Thal unbekannt, in der süßen Gegend
zwischen Zahne und Jüterbogk. -- Ich liebe Jüterbogk; vielleicht
weil ich nie hinein gekommen bin. Es liegt ganz malerisch, Ver¬
zeihung! wenigstens doch malerisch im Verhältnisse zu dem Unmale¬
rischen dieser ganzen Reise, auf einer Abneigung des Bodens, auf
einer Abneigung von diesen sandigen Marken, und hier hat ja vor
dreihundert Jahren Tetzel die letzte äußere Veranlassung gegeben zur
Reformation. Hier hat der Ablaßkram, wie in unsrer Zeit der Re-
liauienkram, seinen Tetzel gefunden. Die Uebertreibungen des Geg¬
ners sind doch immer das Glücklichste, was einem Kämpfer begeg¬
nen kann.

-- Nur der Lind schaden sie nicht! rief ein Beisitzer des Coupvö.
Wer weiß! rief ein Anderer. Bei uns am Ersten, die wir sie nicht
hören können.

-- Nicht hören können -- ? fragte erschrocken ein Stockfremder --
warum nicht?

-- Naiv! lächelte der Berliner, erstens singt sie heute zum letzten
Male, zweitens kommen wir bei diesem Schneewetter erst nach An¬
fang der Oper zum Berliner Bahnhofe, drittens fährt man bei gu¬
tem Wege, der jetzt nicht vorhanden, und mit eiliger Droschke, die
selten vorhanden, eine gute Viertelstunde bis zum Opernhause, vier-


Einige Tage in Berlin.
Von Heinrich Laube.



E r se e r Tag.

Schnee und immer Schnee! Auch wir waren noch aufgehalten
worden in unserer Fahrt durch neues Schneewetter, obwohl wir erst
vierzehn Tage nach der russischen Katastrophe auf unsern Bahnen in
die Waggons gestiegen waren. Meilenweit standen sie noch links und
rechts, die mühsam aufgeschaufelten Schneemauern und zwar in einer
Gegend, wo sonst Berg und Thal unbekannt, in der süßen Gegend
zwischen Zahne und Jüterbogk. — Ich liebe Jüterbogk; vielleicht
weil ich nie hinein gekommen bin. Es liegt ganz malerisch, Ver¬
zeihung! wenigstens doch malerisch im Verhältnisse zu dem Unmale¬
rischen dieser ganzen Reise, auf einer Abneigung des Bodens, auf
einer Abneigung von diesen sandigen Marken, und hier hat ja vor
dreihundert Jahren Tetzel die letzte äußere Veranlassung gegeben zur
Reformation. Hier hat der Ablaßkram, wie in unsrer Zeit der Re-
liauienkram, seinen Tetzel gefunden. Die Uebertreibungen des Geg¬
ners sind doch immer das Glücklichste, was einem Kämpfer begeg¬
nen kann.

— Nur der Lind schaden sie nicht! rief ein Beisitzer des Coupvö.
Wer weiß! rief ein Anderer. Bei uns am Ersten, die wir sie nicht
hören können.

— Nicht hören können — ? fragte erschrocken ein Stockfremder —
warum nicht?

— Naiv! lächelte der Berliner, erstens singt sie heute zum letzten
Male, zweitens kommen wir bei diesem Schneewetter erst nach An¬
fang der Oper zum Berliner Bahnhofe, drittens fährt man bei gu¬
tem Wege, der jetzt nicht vorhanden, und mit eiliger Droschke, die
selten vorhanden, eine gute Viertelstunde bis zum Opernhause, vier-


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[0108] Einige Tage in Berlin. Von Heinrich Laube. E r se e r Tag. Schnee und immer Schnee! Auch wir waren noch aufgehalten worden in unserer Fahrt durch neues Schneewetter, obwohl wir erst vierzehn Tage nach der russischen Katastrophe auf unsern Bahnen in die Waggons gestiegen waren. Meilenweit standen sie noch links und rechts, die mühsam aufgeschaufelten Schneemauern und zwar in einer Gegend, wo sonst Berg und Thal unbekannt, in der süßen Gegend zwischen Zahne und Jüterbogk. — Ich liebe Jüterbogk; vielleicht weil ich nie hinein gekommen bin. Es liegt ganz malerisch, Ver¬ zeihung! wenigstens doch malerisch im Verhältnisse zu dem Unmale¬ rischen dieser ganzen Reise, auf einer Abneigung des Bodens, auf einer Abneigung von diesen sandigen Marken, und hier hat ja vor dreihundert Jahren Tetzel die letzte äußere Veranlassung gegeben zur Reformation. Hier hat der Ablaßkram, wie in unsrer Zeit der Re- liauienkram, seinen Tetzel gefunden. Die Uebertreibungen des Geg¬ ners sind doch immer das Glücklichste, was einem Kämpfer begeg¬ nen kann. — Nur der Lind schaden sie nicht! rief ein Beisitzer des Coupvö. Wer weiß! rief ein Anderer. Bei uns am Ersten, die wir sie nicht hören können. — Nicht hören können — ? fragte erschrocken ein Stockfremder — warum nicht? — Naiv! lächelte der Berliner, erstens singt sie heute zum letzten Male, zweitens kommen wir bei diesem Schneewetter erst nach An¬ fang der Oper zum Berliner Bahnhofe, drittens fährt man bei gu¬ tem Wege, der jetzt nicht vorhanden, und mit eiliger Droschke, die selten vorhanden, eine gute Viertelstunde bis zum Opernhause, vier-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/108>, abgerufen am 27.04.2024.