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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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lebhafteste Theilnahme schenkten. Der Letztere war es, welcher sogleich
nach Thiersch das Wort nahm und in einem ausgezeichnet kernigen
und bündigen Vortrage daraus aufmerksam machte, wie dieser Gegen¬
stand seit längerer Zeit das prcuß. Ministerium, das sich von der
Nothwendigkeit einer Umgestaltung überzeugt habe, beschäftige und wie
vielleicht bald schon Versuche dazu ins Leben treten würden. Dies ist
denn nun auch schneller geschehen, als irgend Jemand vermuthet hat.
Die Divisionsschulcn sollen vom I. April künftigen Jahres aufhören,
die künftigen Candidaten eines Ossizierpatents sollen die Reife eines
Primaners auf den Gymnasien haben, frei zwar von allem Griechi¬
schen, nicht aber von dem Lateinischen sein, und die eigentlichen Kriegs-
wisscnschaften sollen nur in besondern Kriegsschulen gelehrt werden.
Der Vorschlag des Hofr. Thiersch wird sonach zum Theil realisirt, und
die Zukunft wird lehren, welche Folgen daraus entsprießen.


Ol. Karl Haltaus.
III.
Jordan und der Gymnasiallehrer Blackert.

Wenn das ganze deutsche Volk dem Gange des Jordan'schen
Processes mit gespannter Aufmerksamkeit folgte, so war dieses natür¬
lich; die Nation fühlte, daß hier mehr in Frage schwebte, als gedan¬
kenlose Burschcnschäfrlerei, daß jetzt ihr innerstes Lebenselement den
Kampf mit der Justiz bestehen, siegen oder unterliegen sollte. Die
wärmste Theilnahme aber mußte Jordan in Hessen selbst finden, denn
die ruhigen, festen, überzeugungsvollen Worte, die mitunter so kühn
und gewaltig in der Ständeversammlung I8Z2 durch das wüste Schreien
und Lärmen hindurchklangen, waren noch nicht verhallt, sie tönten noch
in den Herzen aller edleren Hessen wieder. Hierzu kam noch, daß
ihm seine liebenswürdige Persönlichkeit als Lehrer der Universität die
Herzen aller Studirenden gewann. Sein Vortrag war unsicher, stot¬
ternd, gewöhnlich, so lange es sich um juristische Wissenschaft handelte,
aber er wurde fließend, lebendig, begeistert, unwiderstehlich hinreißend,
sobald er sich über die heiligen Grundsätze des allgemeinen Völker-
und Staatsrechtes verbreitete. Die Blicke aller Zuhörer ruhten in die¬
sen Momenten, wo der Geist die körperlichen Fesseln brach und das
störrige Organ beherrschte, regungslos auf den entflammten Augen des
Mannes, und wenn er dann, noch das Feuer der Begeisterung in
den Augen, plötzlich absprang und mit rührender Naivetät von Tyrol
erzählte, von den heimischen Bergen und Thälern, dann war wohl
Keiner, der sich nicht zu ihm hingezogen fühlte in Bewunderung und
in Liebe. Hierin eben liegt die typische Bedeutung, welche Jor¬
dan für unsere Zeit hat, gerade darin, daß er das vollendetste Welt-


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lebhafteste Theilnahme schenkten. Der Letztere war es, welcher sogleich
nach Thiersch das Wort nahm und in einem ausgezeichnet kernigen
und bündigen Vortrage daraus aufmerksam machte, wie dieser Gegen¬
stand seit längerer Zeit das prcuß. Ministerium, das sich von der
Nothwendigkeit einer Umgestaltung überzeugt habe, beschäftige und wie
vielleicht bald schon Versuche dazu ins Leben treten würden. Dies ist
denn nun auch schneller geschehen, als irgend Jemand vermuthet hat.
Die Divisionsschulcn sollen vom I. April künftigen Jahres aufhören,
die künftigen Candidaten eines Ossizierpatents sollen die Reife eines
Primaners auf den Gymnasien haben, frei zwar von allem Griechi¬
schen, nicht aber von dem Lateinischen sein, und die eigentlichen Kriegs-
wisscnschaften sollen nur in besondern Kriegsschulen gelehrt werden.
Der Vorschlag des Hofr. Thiersch wird sonach zum Theil realisirt, und
die Zukunft wird lehren, welche Folgen daraus entsprießen.


Ol. Karl Haltaus.
III.
Jordan und der Gymnasiallehrer Blackert.

Wenn das ganze deutsche Volk dem Gange des Jordan'schen
Processes mit gespannter Aufmerksamkeit folgte, so war dieses natür¬
lich; die Nation fühlte, daß hier mehr in Frage schwebte, als gedan¬
kenlose Burschcnschäfrlerei, daß jetzt ihr innerstes Lebenselement den
Kampf mit der Justiz bestehen, siegen oder unterliegen sollte. Die
wärmste Theilnahme aber mußte Jordan in Hessen selbst finden, denn
die ruhigen, festen, überzeugungsvollen Worte, die mitunter so kühn
und gewaltig in der Ständeversammlung I8Z2 durch das wüste Schreien
und Lärmen hindurchklangen, waren noch nicht verhallt, sie tönten noch
in den Herzen aller edleren Hessen wieder. Hierzu kam noch, daß
ihm seine liebenswürdige Persönlichkeit als Lehrer der Universität die
Herzen aller Studirenden gewann. Sein Vortrag war unsicher, stot¬
ternd, gewöhnlich, so lange es sich um juristische Wissenschaft handelte,
aber er wurde fließend, lebendig, begeistert, unwiderstehlich hinreißend,
sobald er sich über die heiligen Grundsätze des allgemeinen Völker-
und Staatsrechtes verbreitete. Die Blicke aller Zuhörer ruhten in die¬
sen Momenten, wo der Geist die körperlichen Fesseln brach und das
störrige Organ beherrschte, regungslos auf den entflammten Augen des
Mannes, und wenn er dann, noch das Feuer der Begeisterung in
den Augen, plötzlich absprang und mit rührender Naivetät von Tyrol
erzählte, von den heimischen Bergen und Thälern, dann war wohl
Keiner, der sich nicht zu ihm hingezogen fühlte in Bewunderung und
in Liebe. Hierin eben liegt die typische Bedeutung, welche Jor¬
dan für unsere Zeit hat, gerade darin, daß er das vollendetste Welt-


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[0235] lebhafteste Theilnahme schenkten. Der Letztere war es, welcher sogleich nach Thiersch das Wort nahm und in einem ausgezeichnet kernigen und bündigen Vortrage daraus aufmerksam machte, wie dieser Gegen¬ stand seit längerer Zeit das prcuß. Ministerium, das sich von der Nothwendigkeit einer Umgestaltung überzeugt habe, beschäftige und wie vielleicht bald schon Versuche dazu ins Leben treten würden. Dies ist denn nun auch schneller geschehen, als irgend Jemand vermuthet hat. Die Divisionsschulcn sollen vom I. April künftigen Jahres aufhören, die künftigen Candidaten eines Ossizierpatents sollen die Reife eines Primaners auf den Gymnasien haben, frei zwar von allem Griechi¬ schen, nicht aber von dem Lateinischen sein, und die eigentlichen Kriegs- wisscnschaften sollen nur in besondern Kriegsschulen gelehrt werden. Der Vorschlag des Hofr. Thiersch wird sonach zum Theil realisirt, und die Zukunft wird lehren, welche Folgen daraus entsprießen. Ol. Karl Haltaus. III. Jordan und der Gymnasiallehrer Blackert. Wenn das ganze deutsche Volk dem Gange des Jordan'schen Processes mit gespannter Aufmerksamkeit folgte, so war dieses natür¬ lich; die Nation fühlte, daß hier mehr in Frage schwebte, als gedan¬ kenlose Burschcnschäfrlerei, daß jetzt ihr innerstes Lebenselement den Kampf mit der Justiz bestehen, siegen oder unterliegen sollte. Die wärmste Theilnahme aber mußte Jordan in Hessen selbst finden, denn die ruhigen, festen, überzeugungsvollen Worte, die mitunter so kühn und gewaltig in der Ständeversammlung I8Z2 durch das wüste Schreien und Lärmen hindurchklangen, waren noch nicht verhallt, sie tönten noch in den Herzen aller edleren Hessen wieder. Hierzu kam noch, daß ihm seine liebenswürdige Persönlichkeit als Lehrer der Universität die Herzen aller Studirenden gewann. Sein Vortrag war unsicher, stot¬ ternd, gewöhnlich, so lange es sich um juristische Wissenschaft handelte, aber er wurde fließend, lebendig, begeistert, unwiderstehlich hinreißend, sobald er sich über die heiligen Grundsätze des allgemeinen Völker- und Staatsrechtes verbreitete. Die Blicke aller Zuhörer ruhten in die¬ sen Momenten, wo der Geist die körperlichen Fesseln brach und das störrige Organ beherrschte, regungslos auf den entflammten Augen des Mannes, und wenn er dann, noch das Feuer der Begeisterung in den Augen, plötzlich absprang und mit rührender Naivetät von Tyrol erzählte, von den heimischen Bergen und Thälern, dann war wohl Keiner, der sich nicht zu ihm hingezogen fühlte in Bewunderung und in Liebe. Hierin eben liegt die typische Bedeutung, welche Jor¬ dan für unsere Zeit hat, gerade darin, daß er das vollendetste Welt- 3«»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/235>, abgerufen am 27.04.2024.