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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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bewußtsein mit kindlicher Heimathliebe, Oeffentlichkeit mit Familien¬
leben, Freiheit mit Nationalität vereinigt. Oft schaute ich im Mar¬
burger Schloßhofe auf, wo der blasse, traurige Mann am Kerkcrfen-
ster stand und seine Augen starr nach einer Seite hinrichtete, aber ich
habe nicht zu entscheiden gewagt, ob er nach der fernen Heimath blickte,
oder auf den Glanz der Freiheitssonne harrte, welche so lange zögerte,
über den Himmel emporzusteigen. -- Doch ich wollte eigentlich von
den Jndicien des Gymnasiallehrers Dr. Blackert reden; und mit schwe¬
rem Herzen thue ich dies, denn Blackert war der Lehrer meiner Ju¬
gend, und es hat mir wehe gethan, daß alle Bande der Pietät so mit
einem Male zerschnitten sind. --

Der einfache Thatbestand ist folgender. Während ganz Deutsch¬
land die Cautionsfreilassung Jordan's mit Jubel begrüßte und als
Vorbote einer völligen Freisprechung durch kurfürstliches Obcrappella-
tionsgericht betrachtete, machte Blackert dem Ministerium die Anzeige,
daß er noch wichtige (gravirende) Aufschlüsse in Betreff der Jordan'-
schen Sache zu geben habe. -- Aehnliches ist schon mehr vorgekom¬
men, und könnte der Ausfluß eines excentrischen Absolutismus sein. --
Aber nun die Motive! An diesen Aufschlüssen erklärt sich Blackert
jedoch nur dann erbötig, wenn ihm kurfürstliches Ministerium eine
Gehaltzulage von hundert Thalern oder eine demnächstige
Metropolitanei verspricht. Die in Folge dessen eingeleitete Unter¬
suchung ergibt, daß Obergerichtsrath W. und Pfarrer sah., welche
als geheimste Mitwisser des Hochverraths indicirt waren, von der
ganzen Sache nichts wissen und sich eidlich reinigen können. --
'

Dörings Jndicien, welche den ganzen Proceß veranlaßten, beru¬
hen auch auf den unwürdigsten Beweggründen, auf einer feigen Liebe
zum Leben; aber eben deswegen sind sie doch noch eher zu entschuldi¬
gen, da sie mit der angeborenen Schwäche des Menschen, mit seinem
thierischen Jnstinct, in genauem Zusammenhange stehen. Aber welch
eine Art von Achtung muß derjenige vor seiner Staatsregierung ha¬
ben, der ihr solche entehrende Anträge macht! So hat denn auch
Blackert keine hundert Thaler, wohl aber die tiefste Verachtung
bei Volk und Regierung eingeerntet. Erclusion aus den öffentlichen
Gesellschaften, Verhöhnung auf der Straße, Insubordination der Gym¬
nasialschüler waren die nächsten Folgen. --

Armer Jordan ! Ich glaubte, Du würdest in den Augen eines
Hessen mehr werth sein als hundert Thaler. Und er sah Deine ge¬
beugte Kerkergestalt und das schöne, schuldlose Lächeln in Deinen
bleichen Zügen, wenn Du Dein Haupt entblößtest, um den ehrfurchts¬
voll Grüßenden zu danken, und sah den Jammer Deiner Familie,
und wollte Dich verderben für -- 1W Thlr. --


Elard Biskamp.

bewußtsein mit kindlicher Heimathliebe, Oeffentlichkeit mit Familien¬
leben, Freiheit mit Nationalität vereinigt. Oft schaute ich im Mar¬
burger Schloßhofe auf, wo der blasse, traurige Mann am Kerkcrfen-
ster stand und seine Augen starr nach einer Seite hinrichtete, aber ich
habe nicht zu entscheiden gewagt, ob er nach der fernen Heimath blickte,
oder auf den Glanz der Freiheitssonne harrte, welche so lange zögerte,
über den Himmel emporzusteigen. — Doch ich wollte eigentlich von
den Jndicien des Gymnasiallehrers Dr. Blackert reden; und mit schwe¬
rem Herzen thue ich dies, denn Blackert war der Lehrer meiner Ju¬
gend, und es hat mir wehe gethan, daß alle Bande der Pietät so mit
einem Male zerschnitten sind. —

Der einfache Thatbestand ist folgender. Während ganz Deutsch¬
land die Cautionsfreilassung Jordan's mit Jubel begrüßte und als
Vorbote einer völligen Freisprechung durch kurfürstliches Obcrappella-
tionsgericht betrachtete, machte Blackert dem Ministerium die Anzeige,
daß er noch wichtige (gravirende) Aufschlüsse in Betreff der Jordan'-
schen Sache zu geben habe. — Aehnliches ist schon mehr vorgekom¬
men, und könnte der Ausfluß eines excentrischen Absolutismus sein. —
Aber nun die Motive! An diesen Aufschlüssen erklärt sich Blackert
jedoch nur dann erbötig, wenn ihm kurfürstliches Ministerium eine
Gehaltzulage von hundert Thalern oder eine demnächstige
Metropolitanei verspricht. Die in Folge dessen eingeleitete Unter¬
suchung ergibt, daß Obergerichtsrath W. und Pfarrer sah., welche
als geheimste Mitwisser des Hochverraths indicirt waren, von der
ganzen Sache nichts wissen und sich eidlich reinigen können. —
'

Dörings Jndicien, welche den ganzen Proceß veranlaßten, beru¬
hen auch auf den unwürdigsten Beweggründen, auf einer feigen Liebe
zum Leben; aber eben deswegen sind sie doch noch eher zu entschuldi¬
gen, da sie mit der angeborenen Schwäche des Menschen, mit seinem
thierischen Jnstinct, in genauem Zusammenhange stehen. Aber welch
eine Art von Achtung muß derjenige vor seiner Staatsregierung ha¬
ben, der ihr solche entehrende Anträge macht! So hat denn auch
Blackert keine hundert Thaler, wohl aber die tiefste Verachtung
bei Volk und Regierung eingeerntet. Erclusion aus den öffentlichen
Gesellschaften, Verhöhnung auf der Straße, Insubordination der Gym¬
nasialschüler waren die nächsten Folgen. —

Armer Jordan ! Ich glaubte, Du würdest in den Augen eines
Hessen mehr werth sein als hundert Thaler. Und er sah Deine ge¬
beugte Kerkergestalt und das schöne, schuldlose Lächeln in Deinen
bleichen Zügen, wenn Du Dein Haupt entblößtest, um den ehrfurchts¬
voll Grüßenden zu danken, und sah den Jammer Deiner Familie,
und wollte Dich verderben für — 1W Thlr. —


Elard Biskamp.
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[0236] bewußtsein mit kindlicher Heimathliebe, Oeffentlichkeit mit Familien¬ leben, Freiheit mit Nationalität vereinigt. Oft schaute ich im Mar¬ burger Schloßhofe auf, wo der blasse, traurige Mann am Kerkcrfen- ster stand und seine Augen starr nach einer Seite hinrichtete, aber ich habe nicht zu entscheiden gewagt, ob er nach der fernen Heimath blickte, oder auf den Glanz der Freiheitssonne harrte, welche so lange zögerte, über den Himmel emporzusteigen. — Doch ich wollte eigentlich von den Jndicien des Gymnasiallehrers Dr. Blackert reden; und mit schwe¬ rem Herzen thue ich dies, denn Blackert war der Lehrer meiner Ju¬ gend, und es hat mir wehe gethan, daß alle Bande der Pietät so mit einem Male zerschnitten sind. — Der einfache Thatbestand ist folgender. Während ganz Deutsch¬ land die Cautionsfreilassung Jordan's mit Jubel begrüßte und als Vorbote einer völligen Freisprechung durch kurfürstliches Obcrappella- tionsgericht betrachtete, machte Blackert dem Ministerium die Anzeige, daß er noch wichtige (gravirende) Aufschlüsse in Betreff der Jordan'- schen Sache zu geben habe. — Aehnliches ist schon mehr vorgekom¬ men, und könnte der Ausfluß eines excentrischen Absolutismus sein. — Aber nun die Motive! An diesen Aufschlüssen erklärt sich Blackert jedoch nur dann erbötig, wenn ihm kurfürstliches Ministerium eine Gehaltzulage von hundert Thalern oder eine demnächstige Metropolitanei verspricht. Die in Folge dessen eingeleitete Unter¬ suchung ergibt, daß Obergerichtsrath W. und Pfarrer sah., welche als geheimste Mitwisser des Hochverraths indicirt waren, von der ganzen Sache nichts wissen und sich eidlich reinigen können. — ' Dörings Jndicien, welche den ganzen Proceß veranlaßten, beru¬ hen auch auf den unwürdigsten Beweggründen, auf einer feigen Liebe zum Leben; aber eben deswegen sind sie doch noch eher zu entschuldi¬ gen, da sie mit der angeborenen Schwäche des Menschen, mit seinem thierischen Jnstinct, in genauem Zusammenhange stehen. Aber welch eine Art von Achtung muß derjenige vor seiner Staatsregierung ha¬ ben, der ihr solche entehrende Anträge macht! So hat denn auch Blackert keine hundert Thaler, wohl aber die tiefste Verachtung bei Volk und Regierung eingeerntet. Erclusion aus den öffentlichen Gesellschaften, Verhöhnung auf der Straße, Insubordination der Gym¬ nasialschüler waren die nächsten Folgen. — Armer Jordan ! Ich glaubte, Du würdest in den Augen eines Hessen mehr werth sein als hundert Thaler. Und er sah Deine ge¬ beugte Kerkergestalt und das schöne, schuldlose Lächeln in Deinen bleichen Zügen, wenn Du Dein Haupt entblößtest, um den ehrfurchts¬ voll Grüßenden zu danken, und sah den Jammer Deiner Familie, und wollte Dich verderben für — 1W Thlr. — Elard Biskamp.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/236>, abgerufen am 08.05.2024.