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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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IV.
Aus Wien.

Lesezimmer der Landstände. -- Deinhardstein's "Zwei Tage aus dem Leben
eines Fürsten." -- Dr. Weber und die einsamen Dichter. -- Schauspielerinnen
in interessanten Zuständen. -- Der Kronprinz von Würtemberg. -- Reisende
Schriftsteller.

Die Differenzen zwischen der Regierung und den Landständen der
Provinz Niederösterreich sind schnell und ohne Aufsehen beigelegt wor¬
den, indem der Landmarschall Graf von Groß die Lesezimmer unter
der Bedingung öffnete, daß die Besucher derselben sich jeder Unzukömm-
lichkeit enthalten mögen, und ihre Versammlungen nicht den Charak¬
ter von ständischen Sitzungen annehmen, die ohne den Vorsitz des
Marschalls unversassungsmäßig sind. Wie man hört, waren es auch
hier die Klagen der Subalternen, welche zu den vielbesprochenen Ma߬
nahmen geführt, indem einige Beamten des ständischen Collegiums
sich über die zeitwidrige Forderung von Acten u. dergl. in den Abend¬
stunden beklagten, in denen die Mitglieder gewöhnlich die Lesezimmer zu
besuchen pflegen, um sich zu besprechen; wobei denn häusig einzelne
Actenstücke herbeigeholt und nachgelesen werden müssen. Die Ange¬
stellten der Registratur waren daher benöthigt, auch spat Abends ihre
Amtsstunden fortzusetzen, und ihre Beschwerde über diese dienstliche
Anstrengung soll den Anstoß zur nähern Erörterung dieser Zusammen¬
künfte geboten haben, welche fortan geregelt und keiner Störung aus¬
gesetzt sind.

Im Hofburgtheatcr ist eine Novität über die Bretter gegangen, die
einen Localerfolg hatte, sie wird sich aber kaum noch sonst wo in Deutschland
auf dem Repertoir erhalten, wie dies sonst mehreren Producten des Re¬
gierungsraths Deinhardstein widerfahren, dessen "Hans Sachs" oder
"Garrik" noch immer sehr gern gesehen wird. Sein neuestes Lust¬
spiel heißt: "Zwei Tage aus dem Leben eines Fürsten," und wäre
gar nicht übel, wenn man nur nicht bei jeder Scene denken müßte,
man habe es schon zehnmal unter einem andern Titel gesehen. Ihm
ist kein Faden aus eigener Fabrik, nur hin und wieder ein neues
Muster eingewirkt, das eben Mode ist, z. B. ein bitterer Ausfall auf
die Spielbanken.

Ein junger Mann, Namens Wilhelm Fürst, wird in einem
kleinen Städtchen für den incognito durchreisenden Landesherrn ge¬
halten, und der Begrüßte spielt zwei Tage hindurch den Fürsten.
Es fehlt nicht an Witz und Satyre, und der Dialog ist fein und
geistreich, allein eben darum muß man wünschen, der Verfasser
hätte sich noch etwas mehr angestrengt und eine originelle Handlung
dazu erfunden, statt sie aus Kotzebue, Bencdix, Plötz und zwanzig
andern Lustspieldichtern ohne Umschweife zusammenzutragen. Aufsal-


IV.
Aus Wien.

Lesezimmer der Landstände. — Deinhardstein's „Zwei Tage aus dem Leben
eines Fürsten." — Dr. Weber und die einsamen Dichter. — Schauspielerinnen
in interessanten Zuständen. — Der Kronprinz von Würtemberg. — Reisende
Schriftsteller.

Die Differenzen zwischen der Regierung und den Landständen der
Provinz Niederösterreich sind schnell und ohne Aufsehen beigelegt wor¬
den, indem der Landmarschall Graf von Groß die Lesezimmer unter
der Bedingung öffnete, daß die Besucher derselben sich jeder Unzukömm-
lichkeit enthalten mögen, und ihre Versammlungen nicht den Charak¬
ter von ständischen Sitzungen annehmen, die ohne den Vorsitz des
Marschalls unversassungsmäßig sind. Wie man hört, waren es auch
hier die Klagen der Subalternen, welche zu den vielbesprochenen Ma߬
nahmen geführt, indem einige Beamten des ständischen Collegiums
sich über die zeitwidrige Forderung von Acten u. dergl. in den Abend¬
stunden beklagten, in denen die Mitglieder gewöhnlich die Lesezimmer zu
besuchen pflegen, um sich zu besprechen; wobei denn häusig einzelne
Actenstücke herbeigeholt und nachgelesen werden müssen. Die Ange¬
stellten der Registratur waren daher benöthigt, auch spat Abends ihre
Amtsstunden fortzusetzen, und ihre Beschwerde über diese dienstliche
Anstrengung soll den Anstoß zur nähern Erörterung dieser Zusammen¬
künfte geboten haben, welche fortan geregelt und keiner Störung aus¬
gesetzt sind.

Im Hofburgtheatcr ist eine Novität über die Bretter gegangen, die
einen Localerfolg hatte, sie wird sich aber kaum noch sonst wo in Deutschland
auf dem Repertoir erhalten, wie dies sonst mehreren Producten des Re¬
gierungsraths Deinhardstein widerfahren, dessen „Hans Sachs" oder
„Garrik" noch immer sehr gern gesehen wird. Sein neuestes Lust¬
spiel heißt: „Zwei Tage aus dem Leben eines Fürsten," und wäre
gar nicht übel, wenn man nur nicht bei jeder Scene denken müßte,
man habe es schon zehnmal unter einem andern Titel gesehen. Ihm
ist kein Faden aus eigener Fabrik, nur hin und wieder ein neues
Muster eingewirkt, das eben Mode ist, z. B. ein bitterer Ausfall auf
die Spielbanken.

Ein junger Mann, Namens Wilhelm Fürst, wird in einem
kleinen Städtchen für den incognito durchreisenden Landesherrn ge¬
halten, und der Begrüßte spielt zwei Tage hindurch den Fürsten.
Es fehlt nicht an Witz und Satyre, und der Dialog ist fein und
geistreich, allein eben darum muß man wünschen, der Verfasser
hätte sich noch etwas mehr angestrengt und eine originelle Handlung
dazu erfunden, statt sie aus Kotzebue, Bencdix, Plötz und zwanzig
andern Lustspieldichtern ohne Umschweife zusammenzutragen. Aufsal-


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[0237] IV. Aus Wien. Lesezimmer der Landstände. — Deinhardstein's „Zwei Tage aus dem Leben eines Fürsten." — Dr. Weber und die einsamen Dichter. — Schauspielerinnen in interessanten Zuständen. — Der Kronprinz von Würtemberg. — Reisende Schriftsteller. Die Differenzen zwischen der Regierung und den Landständen der Provinz Niederösterreich sind schnell und ohne Aufsehen beigelegt wor¬ den, indem der Landmarschall Graf von Groß die Lesezimmer unter der Bedingung öffnete, daß die Besucher derselben sich jeder Unzukömm- lichkeit enthalten mögen, und ihre Versammlungen nicht den Charak¬ ter von ständischen Sitzungen annehmen, die ohne den Vorsitz des Marschalls unversassungsmäßig sind. Wie man hört, waren es auch hier die Klagen der Subalternen, welche zu den vielbesprochenen Ma߬ nahmen geführt, indem einige Beamten des ständischen Collegiums sich über die zeitwidrige Forderung von Acten u. dergl. in den Abend¬ stunden beklagten, in denen die Mitglieder gewöhnlich die Lesezimmer zu besuchen pflegen, um sich zu besprechen; wobei denn häusig einzelne Actenstücke herbeigeholt und nachgelesen werden müssen. Die Ange¬ stellten der Registratur waren daher benöthigt, auch spat Abends ihre Amtsstunden fortzusetzen, und ihre Beschwerde über diese dienstliche Anstrengung soll den Anstoß zur nähern Erörterung dieser Zusammen¬ künfte geboten haben, welche fortan geregelt und keiner Störung aus¬ gesetzt sind. Im Hofburgtheatcr ist eine Novität über die Bretter gegangen, die einen Localerfolg hatte, sie wird sich aber kaum noch sonst wo in Deutschland auf dem Repertoir erhalten, wie dies sonst mehreren Producten des Re¬ gierungsraths Deinhardstein widerfahren, dessen „Hans Sachs" oder „Garrik" noch immer sehr gern gesehen wird. Sein neuestes Lust¬ spiel heißt: „Zwei Tage aus dem Leben eines Fürsten," und wäre gar nicht übel, wenn man nur nicht bei jeder Scene denken müßte, man habe es schon zehnmal unter einem andern Titel gesehen. Ihm ist kein Faden aus eigener Fabrik, nur hin und wieder ein neues Muster eingewirkt, das eben Mode ist, z. B. ein bitterer Ausfall auf die Spielbanken. Ein junger Mann, Namens Wilhelm Fürst, wird in einem kleinen Städtchen für den incognito durchreisenden Landesherrn ge¬ halten, und der Begrüßte spielt zwei Tage hindurch den Fürsten. Es fehlt nicht an Witz und Satyre, und der Dialog ist fein und geistreich, allein eben darum muß man wünschen, der Verfasser hätte sich noch etwas mehr angestrengt und eine originelle Handlung dazu erfunden, statt sie aus Kotzebue, Bencdix, Plötz und zwanzig andern Lustspieldichtern ohne Umschweife zusammenzutragen. Aufsal-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/237>, abgerufen am 27.04.2024.