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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Spitze bieten, zumal er einen frischen Wechsel herzustellen beflissen ist,
wozu die zahlreichen Gesangsnovitäten in Frankreich und Deutschland
freundlichst die Hand bieten. Fraulein Mara hat er bereits für einen
Cyklus von Gastrollen gewonnen. Die Geldangelegenheiten besorgt
der Baron Dietrich, ein in den französischen Kriegen reich gewordener
Lieferant, der eine besondere Vorliebe für das Schauspielwesen hegt
und schon seit Langem in seinem Palais ein recht hübsches Haustheater
besitzt, auf dem Dilettantenvorstellungen stattfinden. Er war es auch,
der Herrn Pokornv beim Ankauf des kostspieligen Hauses behilflich
war; übrigens hat Letzterer von dem Erzherzoge Franz Karl auch einen
unverzinslichen Vorschuß von 100,090 si. auf einen Zeitraum von
zwanzig Jahren erhalten.

An die Stelle des verstorbenen Grafen Czernin, unter welchem
der treffliche Schreivogel das Hofburgtheater geleitet, ist nicht, wie
man vermuthete, Graf Sedlnitzky, sondern der Graf Moritz Dietrich-
stein zum Oberstkämmerer des Kaisers ernannt worden. Dieser Staats¬
mann, der seit dem Jahre 1819 der k. k. Hofbibliothek und allen
öffentlichen Kunstschätzen vorsteht, hat sich schon längere Zeit sehr
mißfällig über die neuere Richtung in der Direction des Hofburgthea¬
ters ausgesprochen, und es steht zu hoffen, daß seine Stellung recht
bald die allgemein gewünschten Reformen verwirklichen werde. Doch
davon nächstens. Auch verspare ich mir für mein nächstes Schreiben
einige Andeutungen über den Aufenthalt Gutzkows, der eben angekom¬
men ist und von allen Seiten sehr aufmerksam behandelt wird.


II.
Aus Dresden.

Die verwaiste Elbbrücke. -- Munizipale Nachlässigkeit. -- Deutsch-Katholiken.
-- Der König von Preußen. -- Hoffnungen für den nächsten Landtag.

Wir leben gegenwärtig ein betrübtes Leben in unsrer Residenz,
die dieses Jahr auf ihre sommerliche Blüthenzeit, den Zusammenfluß
der fremden Gäste für längere oder kürzere Zeit, wohl vergeblich war¬
ten wird; ihre Hauptpulsader, die Elbbrücke, ist unterbunden, das Le¬
bensblut des täglichen Verkehrs hat sich neue Wege bahnen müssen,
und da sie Umwege sind, hemmt sich der gewohnte rasche Umlauf.
Unsere Brücke war die frequenteste Straße, fast zu jeder Tagesstunde
zahlreich belebt; jetzt ist sie todt und öde, der Schloßplatz ist wie ver-
fehmt, so leer und verlassen liegt er da; und wenn wir des Abends
auf der gashellen Brühl'schen Terrasse promeniren und hinüberblicken
nach der schwarzen Steinmasse, von der kein Licht herabspiegelt in den
Strom, dann wandelt uns ein unheimliches Gefühl an, jeder Dresdner
vermißt in seiner Elbbrücke einen durch langjährigen, täglichen Um¬
gang unentbehrlich gewordenen, bewährten Freund. Zwar sind zwei


Spitze bieten, zumal er einen frischen Wechsel herzustellen beflissen ist,
wozu die zahlreichen Gesangsnovitäten in Frankreich und Deutschland
freundlichst die Hand bieten. Fraulein Mara hat er bereits für einen
Cyklus von Gastrollen gewonnen. Die Geldangelegenheiten besorgt
der Baron Dietrich, ein in den französischen Kriegen reich gewordener
Lieferant, der eine besondere Vorliebe für das Schauspielwesen hegt
und schon seit Langem in seinem Palais ein recht hübsches Haustheater
besitzt, auf dem Dilettantenvorstellungen stattfinden. Er war es auch,
der Herrn Pokornv beim Ankauf des kostspieligen Hauses behilflich
war; übrigens hat Letzterer von dem Erzherzoge Franz Karl auch einen
unverzinslichen Vorschuß von 100,090 si. auf einen Zeitraum von
zwanzig Jahren erhalten.

An die Stelle des verstorbenen Grafen Czernin, unter welchem
der treffliche Schreivogel das Hofburgtheater geleitet, ist nicht, wie
man vermuthete, Graf Sedlnitzky, sondern der Graf Moritz Dietrich-
stein zum Oberstkämmerer des Kaisers ernannt worden. Dieser Staats¬
mann, der seit dem Jahre 1819 der k. k. Hofbibliothek und allen
öffentlichen Kunstschätzen vorsteht, hat sich schon längere Zeit sehr
mißfällig über die neuere Richtung in der Direction des Hofburgthea¬
ters ausgesprochen, und es steht zu hoffen, daß seine Stellung recht
bald die allgemein gewünschten Reformen verwirklichen werde. Doch
davon nächstens. Auch verspare ich mir für mein nächstes Schreiben
einige Andeutungen über den Aufenthalt Gutzkows, der eben angekom¬
men ist und von allen Seiten sehr aufmerksam behandelt wird.


II.
Aus Dresden.

Die verwaiste Elbbrücke. — Munizipale Nachlässigkeit. — Deutsch-Katholiken.
— Der König von Preußen. — Hoffnungen für den nächsten Landtag.

Wir leben gegenwärtig ein betrübtes Leben in unsrer Residenz,
die dieses Jahr auf ihre sommerliche Blüthenzeit, den Zusammenfluß
der fremden Gäste für längere oder kürzere Zeit, wohl vergeblich war¬
ten wird; ihre Hauptpulsader, die Elbbrücke, ist unterbunden, das Le¬
bensblut des täglichen Verkehrs hat sich neue Wege bahnen müssen,
und da sie Umwege sind, hemmt sich der gewohnte rasche Umlauf.
Unsere Brücke war die frequenteste Straße, fast zu jeder Tagesstunde
zahlreich belebt; jetzt ist sie todt und öde, der Schloßplatz ist wie ver-
fehmt, so leer und verlassen liegt er da; und wenn wir des Abends
auf der gashellen Brühl'schen Terrasse promeniren und hinüberblicken
nach der schwarzen Steinmasse, von der kein Licht herabspiegelt in den
Strom, dann wandelt uns ein unheimliches Gefühl an, jeder Dresdner
vermißt in seiner Elbbrücke einen durch langjährigen, täglichen Um¬
gang unentbehrlich gewordenen, bewährten Freund. Zwar sind zwei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/317>, abgerufen am 27.04.2024.