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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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und literarischen Soireen, -- welcher Sängerin der Vorzug zu geben?
Wer kümmert sich da noch um die Universitätsmaßregeln, um die
Landtage, um die deutsch-katholische Bewegung, um die Localvereine:
die Löwe und die Lind, diese Sterne des Berliner Himmels, verscheu¬
chen alle politischen Wolken. Berlin ist in diesem Punkte noch immer
das alte. Es ist noch nicht über seine wunderbaren Extravaganzen,
die auswärts so viel Lächeln erregen und doch eine so tiefe Bedeutung
in sich tragen, hinausgekommen. Berlin ist eine Stadt, wo die In¬
telligenz sich zu einer ungeheuren Pyramide zusammengefunden hat,
es ist eine Locomotive voll verhaltener Dampfkraft. Die Intelligenz
muß feiern, sie hat keine Organe im Staatsleben, es sind ihr die Bah¬
nen, welche sie in England und Frankreich durchläuft, verschlossen, sie
geht flaniren unter den Linden und wird blasirt oder sie verkommt in
philosophischen Abstraktionen und wird pedantisch. Da ist nun ein
reisender Virtuose, eine Tbeatererscheinung, wie die Lind, ganz geeignet,
sie in Fluß zu bringen und, weil sie zu großen Resultaten nicht ge¬
langen kann, eraltirt sie sich gegenseitig immer höher hinauf für Neben¬
dinge und laßt ihre bewegende Kraft in Dämpfen eines übertriebenen
Weihrauchs verfliegen. Fraulein Lind war die Puppe unserer Kimto
voll!" geworden; die Löwe hat viel zu kämpfen, um sich nach einer
solchen Vorgängerin geltend zu machen; die tunkte-vole"; empfing sie
kalt, aber das Publicum jubelte in Erinnerung der Genüsse, welche
sie einst demselben verschaffte. Wenn die Stimme der Löwe sich nicht
mit derjenigen der Lind messen kann, so muß das Feuer ihres Spieles
doch nach der Kälte, welche die Darstellungen der Lind bezeichnete,
einen um so tieferen Eindruck machen. Wahrend in der Lind das
nordisch-sentimentale Element der Jungfrau ausgedrückt wurde, ent¬
wickelt die Löwe den Charakter des vollkommenen, glühend-sinnlichen,
von allen Leidenschaften der Liebe bewegten Weibes und die Lucretia
Borgia, welche sie uns zeigte, konnte nicht großartiger und wahrer
§. aufgefaßt werden.


2.

Uniform der Justizbeamten. -- Die Jagd auf die Majestätsbeleidiger. --
Laube's Rococo.

Unsere Zustizbeamten, heißt es, sind der Gegenstand wichtiger
politischer Berathungen in höhern Kreisen. Dieselben sollen näm¬
lich -- eine Uniform erhalten. Besonders wird darauf gesehen
werden, daß jene Beamten, die häusiger mit dem Publicum in
Berührung kommen, stets in der noch zu erfindenden Amtstracht
erscheinen. Wir möchten die Nachricht gern für eines jener sa¬
tyrischen Gerüchte halten, von denen unserem Berlin, besonders
nach einer großen Enttäuschung, der Kopf zu summen pflegt; allein
sie wird von soliden Zeitungen mit allem Ernst mitgetheilt, und außer-


und literarischen Soireen, — welcher Sängerin der Vorzug zu geben?
Wer kümmert sich da noch um die Universitätsmaßregeln, um die
Landtage, um die deutsch-katholische Bewegung, um die Localvereine:
die Löwe und die Lind, diese Sterne des Berliner Himmels, verscheu¬
chen alle politischen Wolken. Berlin ist in diesem Punkte noch immer
das alte. Es ist noch nicht über seine wunderbaren Extravaganzen,
die auswärts so viel Lächeln erregen und doch eine so tiefe Bedeutung
in sich tragen, hinausgekommen. Berlin ist eine Stadt, wo die In¬
telligenz sich zu einer ungeheuren Pyramide zusammengefunden hat,
es ist eine Locomotive voll verhaltener Dampfkraft. Die Intelligenz
muß feiern, sie hat keine Organe im Staatsleben, es sind ihr die Bah¬
nen, welche sie in England und Frankreich durchläuft, verschlossen, sie
geht flaniren unter den Linden und wird blasirt oder sie verkommt in
philosophischen Abstraktionen und wird pedantisch. Da ist nun ein
reisender Virtuose, eine Tbeatererscheinung, wie die Lind, ganz geeignet,
sie in Fluß zu bringen und, weil sie zu großen Resultaten nicht ge¬
langen kann, eraltirt sie sich gegenseitig immer höher hinauf für Neben¬
dinge und laßt ihre bewegende Kraft in Dämpfen eines übertriebenen
Weihrauchs verfliegen. Fraulein Lind war die Puppe unserer Kimto
voll!« geworden; die Löwe hat viel zu kämpfen, um sich nach einer
solchen Vorgängerin geltend zu machen; die tunkte-vole»; empfing sie
kalt, aber das Publicum jubelte in Erinnerung der Genüsse, welche
sie einst demselben verschaffte. Wenn die Stimme der Löwe sich nicht
mit derjenigen der Lind messen kann, so muß das Feuer ihres Spieles
doch nach der Kälte, welche die Darstellungen der Lind bezeichnete,
einen um so tieferen Eindruck machen. Wahrend in der Lind das
nordisch-sentimentale Element der Jungfrau ausgedrückt wurde, ent¬
wickelt die Löwe den Charakter des vollkommenen, glühend-sinnlichen,
von allen Leidenschaften der Liebe bewegten Weibes und die Lucretia
Borgia, welche sie uns zeigte, konnte nicht großartiger und wahrer
§. aufgefaßt werden.


2.

Uniform der Justizbeamten. — Die Jagd auf die Majestätsbeleidiger. —
Laube's Rococo.

Unsere Zustizbeamten, heißt es, sind der Gegenstand wichtiger
politischer Berathungen in höhern Kreisen. Dieselben sollen näm¬
lich — eine Uniform erhalten. Besonders wird darauf gesehen
werden, daß jene Beamten, die häusiger mit dem Publicum in
Berührung kommen, stets in der noch zu erfindenden Amtstracht
erscheinen. Wir möchten die Nachricht gern für eines jener sa¬
tyrischen Gerüchte halten, von denen unserem Berlin, besonders
nach einer großen Enttäuschung, der Kopf zu summen pflegt; allein
sie wird von soliden Zeitungen mit allem Ernst mitgetheilt, und außer-


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[0032] und literarischen Soireen, — welcher Sängerin der Vorzug zu geben? Wer kümmert sich da noch um die Universitätsmaßregeln, um die Landtage, um die deutsch-katholische Bewegung, um die Localvereine: die Löwe und die Lind, diese Sterne des Berliner Himmels, verscheu¬ chen alle politischen Wolken. Berlin ist in diesem Punkte noch immer das alte. Es ist noch nicht über seine wunderbaren Extravaganzen, die auswärts so viel Lächeln erregen und doch eine so tiefe Bedeutung in sich tragen, hinausgekommen. Berlin ist eine Stadt, wo die In¬ telligenz sich zu einer ungeheuren Pyramide zusammengefunden hat, es ist eine Locomotive voll verhaltener Dampfkraft. Die Intelligenz muß feiern, sie hat keine Organe im Staatsleben, es sind ihr die Bah¬ nen, welche sie in England und Frankreich durchläuft, verschlossen, sie geht flaniren unter den Linden und wird blasirt oder sie verkommt in philosophischen Abstraktionen und wird pedantisch. Da ist nun ein reisender Virtuose, eine Tbeatererscheinung, wie die Lind, ganz geeignet, sie in Fluß zu bringen und, weil sie zu großen Resultaten nicht ge¬ langen kann, eraltirt sie sich gegenseitig immer höher hinauf für Neben¬ dinge und laßt ihre bewegende Kraft in Dämpfen eines übertriebenen Weihrauchs verfliegen. Fraulein Lind war die Puppe unserer Kimto voll!« geworden; die Löwe hat viel zu kämpfen, um sich nach einer solchen Vorgängerin geltend zu machen; die tunkte-vole»; empfing sie kalt, aber das Publicum jubelte in Erinnerung der Genüsse, welche sie einst demselben verschaffte. Wenn die Stimme der Löwe sich nicht mit derjenigen der Lind messen kann, so muß das Feuer ihres Spieles doch nach der Kälte, welche die Darstellungen der Lind bezeichnete, einen um so tieferen Eindruck machen. Wahrend in der Lind das nordisch-sentimentale Element der Jungfrau ausgedrückt wurde, ent¬ wickelt die Löwe den Charakter des vollkommenen, glühend-sinnlichen, von allen Leidenschaften der Liebe bewegten Weibes und die Lucretia Borgia, welche sie uns zeigte, konnte nicht großartiger und wahrer §. aufgefaßt werden. 2. Uniform der Justizbeamten. — Die Jagd auf die Majestätsbeleidiger. — Laube's Rococo. Unsere Zustizbeamten, heißt es, sind der Gegenstand wichtiger politischer Berathungen in höhern Kreisen. Dieselben sollen näm¬ lich — eine Uniform erhalten. Besonders wird darauf gesehen werden, daß jene Beamten, die häusiger mit dem Publicum in Berührung kommen, stets in der noch zu erfindenden Amtstracht erscheinen. Wir möchten die Nachricht gern für eines jener sa¬ tyrischen Gerüchte halten, von denen unserem Berlin, besonders nach einer großen Enttäuschung, der Kopf zu summen pflegt; allein sie wird von soliden Zeitungen mit allem Ernst mitgetheilt, und außer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/32>, abgerufen am 27.04.2024.