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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Gin Buchbinder.
Handwerkernovelle.
Bon Eduard Boas.



Erstes Capitel.

Nach der Stadt Seebrück führt von der Residenz eine bequeme,
mit Kirsch- und Aepfelbäumen gesäumte Chausseestraße, welche sich
um so besser erhalten zeigt, als sie im Ganzen nur wenig befahren
wird. Jene Allee war nun mit Blüthenschnee und rosigen Knösp-
chen überschüttet, dle Sonne lachte wie ein frohes Götterauge herab,
und aus dem grünen Moos des Grabens am Wege streckten sich
rothe und blaue Blumenhäupter empor. Die Erde hatte einmal
wieder völlig ihre Auferstehung gefeiert, und das Pfingstfest war
nahe. Zur Rechten lag ein glatter See, von Rohr und Schilf ein¬
gefaßt; dorr ließen wilde Enten ihr Qualen vernehmen, und zur Lin¬
ken sangen im Laubholz der Hügelkette die Vögel ihre schallenden Lieder.

Auf dieser Straße wanderte ein Handwerksbursche vergnügt sei¬
nes Weges, oft still stehend, um sich die Baumblüthen zu betrachten,
oder um dem Waldgesange zu lauschen. Er war klein und stämmig
gewachsen, und sein feistes Gesicht hatte die Farbe kirschrother Ge¬
sundheit. Das weißblonde Haar kräuselte sich in solcher Dicke um
sein Haupt, daß es wie das Haupt eines völlig ergrauten Negers
aussah; halbmondförmig zog sich ein wo möglich noch hellerer Backen¬
bart ihm über die Wangen, seine grauen Augen hatten einen Aus¬
druck, der zwischen Beschränktheit und Wißbegierde die Mitte hielt,
und um den breiten Mund glänzte ein Zug von Selbstgefälligkeit.
Der Gesell ging übrigens mit größerer Sorgfalt gekleidet, als das
sonst der Fall zu sei" pflegt. Eine grüne Kappe von Wachstuch
überzog seinen Hut, ein lilafarbenes Staubhcmde mit Frisuren und
rothen SchuurbesäM paßte gut dazu; er trug schwarzblaue Hand¬
schuhe und harte ein Rohrstöckchm in der rechten Hand. Kein schwe-


Grenibotc", 18is. II. 42
Gin Buchbinder.
Handwerkernovelle.
Bon Eduard Boas.



Erstes Capitel.

Nach der Stadt Seebrück führt von der Residenz eine bequeme,
mit Kirsch- und Aepfelbäumen gesäumte Chausseestraße, welche sich
um so besser erhalten zeigt, als sie im Ganzen nur wenig befahren
wird. Jene Allee war nun mit Blüthenschnee und rosigen Knösp-
chen überschüttet, dle Sonne lachte wie ein frohes Götterauge herab,
und aus dem grünen Moos des Grabens am Wege streckten sich
rothe und blaue Blumenhäupter empor. Die Erde hatte einmal
wieder völlig ihre Auferstehung gefeiert, und das Pfingstfest war
nahe. Zur Rechten lag ein glatter See, von Rohr und Schilf ein¬
gefaßt; dorr ließen wilde Enten ihr Qualen vernehmen, und zur Lin¬
ken sangen im Laubholz der Hügelkette die Vögel ihre schallenden Lieder.

Auf dieser Straße wanderte ein Handwerksbursche vergnügt sei¬
nes Weges, oft still stehend, um sich die Baumblüthen zu betrachten,
oder um dem Waldgesange zu lauschen. Er war klein und stämmig
gewachsen, und sein feistes Gesicht hatte die Farbe kirschrother Ge¬
sundheit. Das weißblonde Haar kräuselte sich in solcher Dicke um
sein Haupt, daß es wie das Haupt eines völlig ergrauten Negers
aussah; halbmondförmig zog sich ein wo möglich noch hellerer Backen¬
bart ihm über die Wangen, seine grauen Augen hatten einen Aus¬
druck, der zwischen Beschränktheit und Wißbegierde die Mitte hielt,
und um den breiten Mund glänzte ein Zug von Selbstgefälligkeit.
Der Gesell ging übrigens mit größerer Sorgfalt gekleidet, als das
sonst der Fall zu sei» pflegt. Eine grüne Kappe von Wachstuch
überzog seinen Hut, ein lilafarbenes Staubhcmde mit Frisuren und
rothen SchuurbesäM paßte gut dazu; er trug schwarzblaue Hand¬
schuhe und harte ein Rohrstöckchm in der rechten Hand. Kein schwe-


Grenibotc», 18is. II. 42
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[0329] Gin Buchbinder. Handwerkernovelle. Bon Eduard Boas. Erstes Capitel. Nach der Stadt Seebrück führt von der Residenz eine bequeme, mit Kirsch- und Aepfelbäumen gesäumte Chausseestraße, welche sich um so besser erhalten zeigt, als sie im Ganzen nur wenig befahren wird. Jene Allee war nun mit Blüthenschnee und rosigen Knösp- chen überschüttet, dle Sonne lachte wie ein frohes Götterauge herab, und aus dem grünen Moos des Grabens am Wege streckten sich rothe und blaue Blumenhäupter empor. Die Erde hatte einmal wieder völlig ihre Auferstehung gefeiert, und das Pfingstfest war nahe. Zur Rechten lag ein glatter See, von Rohr und Schilf ein¬ gefaßt; dorr ließen wilde Enten ihr Qualen vernehmen, und zur Lin¬ ken sangen im Laubholz der Hügelkette die Vögel ihre schallenden Lieder. Auf dieser Straße wanderte ein Handwerksbursche vergnügt sei¬ nes Weges, oft still stehend, um sich die Baumblüthen zu betrachten, oder um dem Waldgesange zu lauschen. Er war klein und stämmig gewachsen, und sein feistes Gesicht hatte die Farbe kirschrother Ge¬ sundheit. Das weißblonde Haar kräuselte sich in solcher Dicke um sein Haupt, daß es wie das Haupt eines völlig ergrauten Negers aussah; halbmondförmig zog sich ein wo möglich noch hellerer Backen¬ bart ihm über die Wangen, seine grauen Augen hatten einen Aus¬ druck, der zwischen Beschränktheit und Wißbegierde die Mitte hielt, und um den breiten Mund glänzte ein Zug von Selbstgefälligkeit. Der Gesell ging übrigens mit größerer Sorgfalt gekleidet, als das sonst der Fall zu sei» pflegt. Eine grüne Kappe von Wachstuch überzog seinen Hut, ein lilafarbenes Staubhcmde mit Frisuren und rothen SchuurbesäM paßte gut dazu; er trug schwarzblaue Hand¬ schuhe und harte ein Rohrstöckchm in der rechten Hand. Kein schwe- Grenibotc», 18is. II. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/329>, abgerufen am 27.04.2024.