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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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uns gegenüber den polnischen Katholiken ein warnendes Beispiel, son¬
dern auch das "freie" England gegenüber den Jrländern. Die Rhein¬
länder erfreuen sich einer vollständigen Freiheit und Berechtigung ihrer
Religion, aber wer sagt uns, daß sie dem Schicksale der Altluthcra-
ncr in Preußen nicht nahe gekommen waren, wenn nicht eine große
katholische Macht im Hintergrunde Deutschlands stünde? Gerechtigkeit
und Freiheit für Alle; ohne Macht aber wird jede Freiheit leicht un¬
terjocht. Und was hätte Oesterreich -- bei seinen unstchcrn slavischen
Bevölkerungen -- Rußland entgegenzusetzen, wenn es nicht das ka¬
tholische Banner wäre?

Aber auch Frankreich ist katholisch, und doch sind alle Confessio-
nen gleich berechtigt, auch England hat eine Staatskirche, und doch
hat der freie Gedanke ungehemmte Wege. Nach französischem, ja,
was noch weniger sagen will, nach preußischem Muster wünschen wir
eine Reformation der Kirchenvcrhältnisse in Oesterreich. Nicht die
Protestanten, nicht die Universitäten, die Presse -- sich selbst soll
der Staat emanzipiren. Ein Schirmherr sei er der katholischen Kirche,
^ Kuranda. aber nicht ihr Leibeigner und Helote. --


II.
Das Dresdner Hoftheater.

Trotz der unverkennbar gespannten Stimmung, welche in einer
politischen Nervmaufrcgung durch ganz Deutschland zieht, hat es die
Bühne in neuester Zeit vermocht, das allgemeine Interesse für sich
lebhafter in Anspruch zu nehmen, als früher. Auch im Gebiete der
Dramatik macht der allbewegende Negenerationstrieb sich fühlbar; und
wenn gleich wir in einer fast crclusiv politisch zu nennenden Gegen¬
wart leben, welche die besten Geister ausschließlich für sich in Anspruch
nehmen zu wollen scheint, so hat sich doch ein nicht unbedeutender
Theil der productiven Geisteskraft in zeitgemäßen Bestrebungen der
dramatischen Dichtkunst zugewendet; ja ihre Production ist im Ver¬
hältniß zu den übrigen Gattungen der Poesie gewissermaßen überwie¬
gend, sie ist in der Fluth, die Romandichtung dagegen in der Ebbe.
Diese Erscheinung hat ihren innern Grund theils in der Natur der
dramatischen Dichtung und in deren allgemeiner Sympathie mit den
Zeitstimmungen, theils in der praktischen Richtung, welche die Büh¬
nenpoesie genommen hat, indem sie die gangbaren Fragen in ihren
Bereich zieht. Zwar liegt hierunter eine doppelte Klippe; denn nicht
nur tritt das rein künstlerische Element der Dichtung in den Schatten
der Tendenz, sondern es werden auch dadurch Kämpfe der Kunst mit
der Polizei, mit der Thcatercensur herbeigeführt, die bei der vom
Standpunkte der letzteren aus nothwendigen Strenge manche treffliche
Blüthe wegen der an ihr schlummernden, scharfen Dornen nicht zur


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uns gegenüber den polnischen Katholiken ein warnendes Beispiel, son¬
dern auch das „freie" England gegenüber den Jrländern. Die Rhein¬
länder erfreuen sich einer vollständigen Freiheit und Berechtigung ihrer
Religion, aber wer sagt uns, daß sie dem Schicksale der Altluthcra-
ncr in Preußen nicht nahe gekommen waren, wenn nicht eine große
katholische Macht im Hintergrunde Deutschlands stünde? Gerechtigkeit
und Freiheit für Alle; ohne Macht aber wird jede Freiheit leicht un¬
terjocht. Und was hätte Oesterreich — bei seinen unstchcrn slavischen
Bevölkerungen — Rußland entgegenzusetzen, wenn es nicht das ka¬
tholische Banner wäre?

Aber auch Frankreich ist katholisch, und doch sind alle Confessio-
nen gleich berechtigt, auch England hat eine Staatskirche, und doch
hat der freie Gedanke ungehemmte Wege. Nach französischem, ja,
was noch weniger sagen will, nach preußischem Muster wünschen wir
eine Reformation der Kirchenvcrhältnisse in Oesterreich. Nicht die
Protestanten, nicht die Universitäten, die Presse — sich selbst soll
der Staat emanzipiren. Ein Schirmherr sei er der katholischen Kirche,
^ Kuranda. aber nicht ihr Leibeigner und Helote. —


II.
Das Dresdner Hoftheater.

Trotz der unverkennbar gespannten Stimmung, welche in einer
politischen Nervmaufrcgung durch ganz Deutschland zieht, hat es die
Bühne in neuester Zeit vermocht, das allgemeine Interesse für sich
lebhafter in Anspruch zu nehmen, als früher. Auch im Gebiete der
Dramatik macht der allbewegende Negenerationstrieb sich fühlbar; und
wenn gleich wir in einer fast crclusiv politisch zu nennenden Gegen¬
wart leben, welche die besten Geister ausschließlich für sich in Anspruch
nehmen zu wollen scheint, so hat sich doch ein nicht unbedeutender
Theil der productiven Geisteskraft in zeitgemäßen Bestrebungen der
dramatischen Dichtkunst zugewendet; ja ihre Production ist im Ver¬
hältniß zu den übrigen Gattungen der Poesie gewissermaßen überwie¬
gend, sie ist in der Fluth, die Romandichtung dagegen in der Ebbe.
Diese Erscheinung hat ihren innern Grund theils in der Natur der
dramatischen Dichtung und in deren allgemeiner Sympathie mit den
Zeitstimmungen, theils in der praktischen Richtung, welche die Büh¬
nenpoesie genommen hat, indem sie die gangbaren Fragen in ihren
Bereich zieht. Zwar liegt hierunter eine doppelte Klippe; denn nicht
nur tritt das rein künstlerische Element der Dichtung in den Schatten
der Tendenz, sondern es werden auch dadurch Kämpfe der Kunst mit
der Polizei, mit der Thcatercensur herbeigeführt, die bei der vom
Standpunkte der letzteren aus nothwendigen Strenge manche treffliche
Blüthe wegen der an ihr schlummernden, scharfen Dornen nicht zur


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[0363] uns gegenüber den polnischen Katholiken ein warnendes Beispiel, son¬ dern auch das „freie" England gegenüber den Jrländern. Die Rhein¬ länder erfreuen sich einer vollständigen Freiheit und Berechtigung ihrer Religion, aber wer sagt uns, daß sie dem Schicksale der Altluthcra- ncr in Preußen nicht nahe gekommen waren, wenn nicht eine große katholische Macht im Hintergrunde Deutschlands stünde? Gerechtigkeit und Freiheit für Alle; ohne Macht aber wird jede Freiheit leicht un¬ terjocht. Und was hätte Oesterreich — bei seinen unstchcrn slavischen Bevölkerungen — Rußland entgegenzusetzen, wenn es nicht das ka¬ tholische Banner wäre? Aber auch Frankreich ist katholisch, und doch sind alle Confessio- nen gleich berechtigt, auch England hat eine Staatskirche, und doch hat der freie Gedanke ungehemmte Wege. Nach französischem, ja, was noch weniger sagen will, nach preußischem Muster wünschen wir eine Reformation der Kirchenvcrhältnisse in Oesterreich. Nicht die Protestanten, nicht die Universitäten, die Presse — sich selbst soll der Staat emanzipiren. Ein Schirmherr sei er der katholischen Kirche, ^ Kuranda. aber nicht ihr Leibeigner und Helote. — II. Das Dresdner Hoftheater. Trotz der unverkennbar gespannten Stimmung, welche in einer politischen Nervmaufrcgung durch ganz Deutschland zieht, hat es die Bühne in neuester Zeit vermocht, das allgemeine Interesse für sich lebhafter in Anspruch zu nehmen, als früher. Auch im Gebiete der Dramatik macht der allbewegende Negenerationstrieb sich fühlbar; und wenn gleich wir in einer fast crclusiv politisch zu nennenden Gegen¬ wart leben, welche die besten Geister ausschließlich für sich in Anspruch nehmen zu wollen scheint, so hat sich doch ein nicht unbedeutender Theil der productiven Geisteskraft in zeitgemäßen Bestrebungen der dramatischen Dichtkunst zugewendet; ja ihre Production ist im Ver¬ hältniß zu den übrigen Gattungen der Poesie gewissermaßen überwie¬ gend, sie ist in der Fluth, die Romandichtung dagegen in der Ebbe. Diese Erscheinung hat ihren innern Grund theils in der Natur der dramatischen Dichtung und in deren allgemeiner Sympathie mit den Zeitstimmungen, theils in der praktischen Richtung, welche die Büh¬ nenpoesie genommen hat, indem sie die gangbaren Fragen in ihren Bereich zieht. Zwar liegt hierunter eine doppelte Klippe; denn nicht nur tritt das rein künstlerische Element der Dichtung in den Schatten der Tendenz, sondern es werden auch dadurch Kämpfe der Kunst mit der Polizei, mit der Thcatercensur herbeigeführt, die bei der vom Standpunkte der letzteren aus nothwendigen Strenge manche treffliche Blüthe wegen der an ihr schlummernden, scharfen Dornen nicht zur 46 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/363>, abgerufen am 27.04.2024.