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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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scenischen Entfaltung gelangen lassen kann, sondern ih. höchstens das
halbe Leben der Veröffentlichung durch die Presse gönnen wird.

In jenen Kämpfen, in dem Conflicte der Kunst mit der Censur
liegt zum Theil der neue Reiz der Bühne, zum Theil aber auch eine
Lebensfrage für die dramatische Kunst; denn schon ist es so weit gekom¬
men, daß das Publicum einem Stücke, und wäre es ein Musterbild
nach Aristotelischen Kunstregeln, den Stab zu brechen geneigt ist, wenn
es nicht halbwegs einen Journalstoff wenigstens beiläufig dialogisirt
hat, wahrend andre Dramen, welche Ieitideen und wäre es auch bei
den Haaren herbeiziehen, trotz ihrer poetischen Schwächen mit dem
rauschendsten Beifalle überschüttet werden.

Für die Betrachtung dieser Entwickelungskrisis der Bühne ist es
jedenfalls nicht ohne Interesse, zuzusehen, wie an den einzelnen, nam¬
haften Theatern Deutschlands jener Prozeß sich abspinnt, wie die ge¬
botenen Kräfte verwendet oder verpfuscht werden, wie das Verhältniß
der äußern zeitgemäßen Ansprüche an die Leistungen der Bühne zu
deren innerem Leben vermittelt wird. Zahlt auch unser Hoftheater
nicht unter die Bühnen ersten Ranges, so hat es doch seit langer Zeit
einen bewährten Ruf, und darf wenigstens zunächst nach dem Hof¬
burgtheater und neben der Berliner Hofbühne genannt zu werden, be¬
anspruchen. Es ist königlich dotirt, und eine zweckmäßige Verwendung
der für seinen Unterhalt bestimmten Summen würde es zu einer
noch bedeutsameren Höhe heben, als es gegenwärtig einnimmt. Der
Hauptkrcbsschadcn aber, der das ersprießliche Aufblühen des recitirenden
Schauspieles hemmt, ist bei uns, wie anderwärts -- die Oper. Sie
absorbirt einen unverhältnißmäßigen Theil der disponibeln Summen
theils zu den enormen Gehalten der die heilige Neunzahl der Musen
noch übersteigenden Sängerinnen, welche zum Theil (wir erinnern an
die noch immer für Primadonnen zählenden Damen Schröder-Devrient
und Spatzer-Gentiluomo) ihrer Kunst einen sogar über dem ministe¬
riellen Niveau stehenden, goldenen Boden verdanken, theils zu dem
scenischen Aufwande der Decorations- und Costümprachr und dem,
wenn auch noch so spärlichen, Ballete; und doch wird die musikalische
Kapelle gleichzeitig zum Kirchendienste verwendet, und ist deshalb ein
verhältnißmäßig weniger theurer Artikel, als anderwärts. Die Früchte
aber entsprechen diesem Aufwande nicht; denn die Bücher der Direktion
weisen nach, daß die Einnahmen des Schauspieles den Ausfall bei
denen der Oper decken müssen.

Daß dies so und nicht anders, ist freilich schlimm; doch läßt
sich darüber der Direction kein allzu schwerer Vorwurf machen; sie
kann die Mode nicht ignoriren, sondern muß ihr gewisse Concessionen
machen; doch darf sie auf der andern Seite im Interesse der von ihr
vertretenen Kunst auch nicht vergessen, daß der Zweck einer Hofbühne
nicht bloß in der Erzielung möglichst voller Kassen beruht, sondern


scenischen Entfaltung gelangen lassen kann, sondern ih. höchstens das
halbe Leben der Veröffentlichung durch die Presse gönnen wird.

In jenen Kämpfen, in dem Conflicte der Kunst mit der Censur
liegt zum Theil der neue Reiz der Bühne, zum Theil aber auch eine
Lebensfrage für die dramatische Kunst; denn schon ist es so weit gekom¬
men, daß das Publicum einem Stücke, und wäre es ein Musterbild
nach Aristotelischen Kunstregeln, den Stab zu brechen geneigt ist, wenn
es nicht halbwegs einen Journalstoff wenigstens beiläufig dialogisirt
hat, wahrend andre Dramen, welche Ieitideen und wäre es auch bei
den Haaren herbeiziehen, trotz ihrer poetischen Schwächen mit dem
rauschendsten Beifalle überschüttet werden.

Für die Betrachtung dieser Entwickelungskrisis der Bühne ist es
jedenfalls nicht ohne Interesse, zuzusehen, wie an den einzelnen, nam¬
haften Theatern Deutschlands jener Prozeß sich abspinnt, wie die ge¬
botenen Kräfte verwendet oder verpfuscht werden, wie das Verhältniß
der äußern zeitgemäßen Ansprüche an die Leistungen der Bühne zu
deren innerem Leben vermittelt wird. Zahlt auch unser Hoftheater
nicht unter die Bühnen ersten Ranges, so hat es doch seit langer Zeit
einen bewährten Ruf, und darf wenigstens zunächst nach dem Hof¬
burgtheater und neben der Berliner Hofbühne genannt zu werden, be¬
anspruchen. Es ist königlich dotirt, und eine zweckmäßige Verwendung
der für seinen Unterhalt bestimmten Summen würde es zu einer
noch bedeutsameren Höhe heben, als es gegenwärtig einnimmt. Der
Hauptkrcbsschadcn aber, der das ersprießliche Aufblühen des recitirenden
Schauspieles hemmt, ist bei uns, wie anderwärts — die Oper. Sie
absorbirt einen unverhältnißmäßigen Theil der disponibeln Summen
theils zu den enormen Gehalten der die heilige Neunzahl der Musen
noch übersteigenden Sängerinnen, welche zum Theil (wir erinnern an
die noch immer für Primadonnen zählenden Damen Schröder-Devrient
und Spatzer-Gentiluomo) ihrer Kunst einen sogar über dem ministe¬
riellen Niveau stehenden, goldenen Boden verdanken, theils zu dem
scenischen Aufwande der Decorations- und Costümprachr und dem,
wenn auch noch so spärlichen, Ballete; und doch wird die musikalische
Kapelle gleichzeitig zum Kirchendienste verwendet, und ist deshalb ein
verhältnißmäßig weniger theurer Artikel, als anderwärts. Die Früchte
aber entsprechen diesem Aufwande nicht; denn die Bücher der Direktion
weisen nach, daß die Einnahmen des Schauspieles den Ausfall bei
denen der Oper decken müssen.

Daß dies so und nicht anders, ist freilich schlimm; doch läßt
sich darüber der Direction kein allzu schwerer Vorwurf machen; sie
kann die Mode nicht ignoriren, sondern muß ihr gewisse Concessionen
machen; doch darf sie auf der andern Seite im Interesse der von ihr
vertretenen Kunst auch nicht vergessen, daß der Zweck einer Hofbühne
nicht bloß in der Erzielung möglichst voller Kassen beruht, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/364>, abgerufen am 09.05.2024.