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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Royalistische Passionen. -- Journale und Volk. -- Das Spinnervolk. -- Der
Zollverein und Spanien. -- Bauernräsonnement. -- Die Opposition und die
Bauernvertretcr. -- Toleranz. -- Fromme Wünsche.

So sehr auch unsere Zeit danach strebt, ein allgemeines deut¬
sches Nationalgefühl herauszubilden und zu kräftigen, so laut und
selbstgefällig man auch schon von deutscher Einigkeit und Volkskraft
perorirt; so wenig läßt es sich doch auf der andern Seite leugnen,
daß die einzelnen, Jahrhunderte lang getrennt gewesenen Volksstämme
mit ängstlichem Eigensinne an ihrer besonderen Nationalität festhalten,
und daß an eine wirklich geistige Einigung nicht zu denken ist, wenn
nicht die Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Stammescharaktere
gleichmäßig berücksichtigt, wenn nicht die Interessen und Neigungen
der Schwabe", Franken, Oesterreicher, Sachsen, Hessen u. s. w. in
ihren abweichenden Nuancen gewürdigt, und aus sich heraus zu einer
allgemeinen, gegenseitig in einander greifenden Harmonie geläutert
und verschmolzen werden. Vor allem findet das eben Gesagte auf
die Bewohner Kurhesseus seine Anwendung. Der vorherrschende Zug
ihres politischen Charakters ist eine rücksichtslose, blinde Zuneigung
zu ihrem Fürsten, nicht zum monarchischen Principe als solchem,
sondern eine sast kindische Liebe zur Person des Regenten mit all'
ihren Schwächen und Tugenden. Man lege dem hessischen Volke
eilte noch so drückende Abgabe auf, -- eS wird seufzen und klagen,
denn es ist arm und von den reichen Erwerbsquellen anderer Länder
ausgeschlossen, aber es wird arbeiten und bezahlen; man sage ihm
jedoch: Du sollst jetzt einen neuen Kurfürsten haben, der sich äußerlich
nicht so trägt, wie der alte -- es wird losschlagen und sein letztes
Herzblut verspritzen, der bloßen Abweichung vom Hergebrachten halber.
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Royalistische Passionen. — Journale und Volk. — Das Spinnervolk. — Der
Zollverein und Spanien. — Bauernräsonnement. — Die Opposition und die
Bauernvertretcr. — Toleranz. — Fromme Wünsche.

So sehr auch unsere Zeit danach strebt, ein allgemeines deut¬
sches Nationalgefühl herauszubilden und zu kräftigen, so laut und
selbstgefällig man auch schon von deutscher Einigkeit und Volkskraft
perorirt; so wenig läßt es sich doch auf der andern Seite leugnen,
daß die einzelnen, Jahrhunderte lang getrennt gewesenen Volksstämme
mit ängstlichem Eigensinne an ihrer besonderen Nationalität festhalten,
und daß an eine wirklich geistige Einigung nicht zu denken ist, wenn
nicht die Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Stammescharaktere
gleichmäßig berücksichtigt, wenn nicht die Interessen und Neigungen
der Schwabe», Franken, Oesterreicher, Sachsen, Hessen u. s. w. in
ihren abweichenden Nuancen gewürdigt, und aus sich heraus zu einer
allgemeinen, gegenseitig in einander greifenden Harmonie geläutert
und verschmolzen werden. Vor allem findet das eben Gesagte auf
die Bewohner Kurhesseus seine Anwendung. Der vorherrschende Zug
ihres politischen Charakters ist eine rücksichtslose, blinde Zuneigung
zu ihrem Fürsten, nicht zum monarchischen Principe als solchem,
sondern eine sast kindische Liebe zur Person des Regenten mit all'
ihren Schwächen und Tugenden. Man lege dem hessischen Volke
eilte noch so drückende Abgabe auf, — eS wird seufzen und klagen,
denn es ist arm und von den reichen Erwerbsquellen anderer Länder
ausgeschlossen, aber es wird arbeiten und bezahlen; man sage ihm
jedoch: Du sollst jetzt einen neuen Kurfürsten haben, der sich äußerlich
nicht so trägt, wie der alte — es wird losschlagen und sein letztes
Herzblut verspritzen, der bloßen Abweichung vom Hergebrachten halber.
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[0411] K u r h e f f i s es e s. Royalistische Passionen. — Journale und Volk. — Das Spinnervolk. — Der Zollverein und Spanien. — Bauernräsonnement. — Die Opposition und die Bauernvertretcr. — Toleranz. — Fromme Wünsche. So sehr auch unsere Zeit danach strebt, ein allgemeines deut¬ sches Nationalgefühl herauszubilden und zu kräftigen, so laut und selbstgefällig man auch schon von deutscher Einigkeit und Volkskraft perorirt; so wenig läßt es sich doch auf der andern Seite leugnen, daß die einzelnen, Jahrhunderte lang getrennt gewesenen Volksstämme mit ängstlichem Eigensinne an ihrer besonderen Nationalität festhalten, und daß an eine wirklich geistige Einigung nicht zu denken ist, wenn nicht die Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Stammescharaktere gleichmäßig berücksichtigt, wenn nicht die Interessen und Neigungen der Schwabe», Franken, Oesterreicher, Sachsen, Hessen u. s. w. in ihren abweichenden Nuancen gewürdigt, und aus sich heraus zu einer allgemeinen, gegenseitig in einander greifenden Harmonie geläutert und verschmolzen werden. Vor allem findet das eben Gesagte auf die Bewohner Kurhesseus seine Anwendung. Der vorherrschende Zug ihres politischen Charakters ist eine rücksichtslose, blinde Zuneigung zu ihrem Fürsten, nicht zum monarchischen Principe als solchem, sondern eine sast kindische Liebe zur Person des Regenten mit all' ihren Schwächen und Tugenden. Man lege dem hessischen Volke eilte noch so drückende Abgabe auf, — eS wird seufzen und klagen, denn es ist arm und von den reichen Erwerbsquellen anderer Länder ausgeschlossen, aber es wird arbeiten und bezahlen; man sage ihm jedoch: Du sollst jetzt einen neuen Kurfürsten haben, der sich äußerlich nicht so trägt, wie der alte — es wird losschlagen und sein letztes Herzblut verspritzen, der bloßen Abweichung vom Hergebrachten halber. » 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/411>, abgerufen am 27.04.2024.