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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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daß Italien seinen Bedarf an Cattunen größtentheils aus England
und Frankreich bezieht, weil insbesondere die englischen Cattune un¬
serer Perrotinen ungleich billiger als die inländischen sind, abgesehen
davon, daß die Fabrikation in England auf einer höheren Stufe steht. --
Aber angenommen, daß der Schmuggel verhütet werden kann, bieten
nicht die vielen österreichischen Provinzen genug Concurrenz? -- Die
größte Fabrik in Prag hat zwei Perrotinen, und schon in Wien haben
ungleich kleinere Fabriken fünf Perrotinen! -- Wie könnte Böhmen
die Concurrenz mit Oesterreich und mit anderen Landessabriken aus¬
halten! Und kömmt denn das Interesse der Consumenten gar nicht
in Anschlag? Gesetzt, alle Perrotinen würden in Oesterreich abgeschafft,
dann würde der Preis der Waaren unverhälrnißmäßig steigen und
dreißig Millionen Staatsgenossen müßten zu Gunsten einiger Haufen
Drucker eine unerhörte Steuer zahlen, oder ihre Bedürfnisse an Klei¬
dung mindern. Unter diesen Consumenten sind übrigens noch viel
ärmere Leute als die Drucker sind! Und was würde aus den Fort¬
schritten unserer Industrie, aus unseren Hoffnungen, dem Zollvereine
uns anschließen zu können, wenn wir plötzlich die Maschinen einstellen
und um ein halbes Jahrhundert zurückgehen müßten?


R. v. W.
IV.
Notizen.

Millionäre und Literaten. -- Von Hannover nach Braunschweig. -- Neue
Art von Inhabern. -- Thiers und seine Verbreitung. -- Heine und die Fran¬
zosen. -- Ein deutsches Blatt in Belgien. -- Ein russisches l>"-n trop-tlo. --
Noch eine russische Anekdote. -- Programm zum "Zerrissenen von Nestroy." --
Die rheinische Eisenbahn. -- Der Eremit von Gauting. -- Verbot der Sachs.
Vaterlandsblätter in Preußen. -- Nur langsam. -- Sander.

-- Herr C. G. Frage, einer der reichsten Finanziers in Leipzig,
hat recht liebenswürdig geschriebene Reiseerinnerungen, unter dem Titel:
Genrebilder aus Paris im Sommer 1844 herausgegeben. Man findet
jetzt so oft, daß irgend ein Millionär unter die Schriftsteller geht. Wa¬
rum nehmen diese nicht Revanche? Warum hört man nie, daß ein
Schriftsteller unter die Millionäre gegangen ist? --

-- (Aus einem Privatschreiben.) "Die Reisenden, die von Minden über
Hannover nach Braunschweig reisen, müssen nolens olons ganz durchdrun¬
gen werden von der deutschen Einheit. Man begnügt sich nicht mehr, die
Koffer und Hutschachteln in Minden zu plombiren, um sie dann in Braun¬
schweig öffnen zulassen, sondern die preußischen Zollbeamten durchstechen alle
Koffer, um eine Schnur durchzuziehen und die Plombe mit deutscher
Gründlichkeit aufheften zu können. Ich hatte einen ganz neuen eng¬
lischen Koffer mit und bat dringend, die Plombirung vorzunehmen,
ohne den Koffer zu zerstören. Aber all mein Sträuben war umsonst,


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daß Italien seinen Bedarf an Cattunen größtentheils aus England
und Frankreich bezieht, weil insbesondere die englischen Cattune un¬
serer Perrotinen ungleich billiger als die inländischen sind, abgesehen
davon, daß die Fabrikation in England auf einer höheren Stufe steht. —
Aber angenommen, daß der Schmuggel verhütet werden kann, bieten
nicht die vielen österreichischen Provinzen genug Concurrenz? — Die
größte Fabrik in Prag hat zwei Perrotinen, und schon in Wien haben
ungleich kleinere Fabriken fünf Perrotinen! — Wie könnte Böhmen
die Concurrenz mit Oesterreich und mit anderen Landessabriken aus¬
halten! Und kömmt denn das Interesse der Consumenten gar nicht
in Anschlag? Gesetzt, alle Perrotinen würden in Oesterreich abgeschafft,
dann würde der Preis der Waaren unverhälrnißmäßig steigen und
dreißig Millionen Staatsgenossen müßten zu Gunsten einiger Haufen
Drucker eine unerhörte Steuer zahlen, oder ihre Bedürfnisse an Klei¬
dung mindern. Unter diesen Consumenten sind übrigens noch viel
ärmere Leute als die Drucker sind! Und was würde aus den Fort¬
schritten unserer Industrie, aus unseren Hoffnungen, dem Zollvereine
uns anschließen zu können, wenn wir plötzlich die Maschinen einstellen
und um ein halbes Jahrhundert zurückgehen müßten?


R. v. W.
IV.
Notizen.

Millionäre und Literaten. — Von Hannover nach Braunschweig. — Neue
Art von Inhabern. — Thiers und seine Verbreitung. — Heine und die Fran¬
zosen. — Ein deutsches Blatt in Belgien. — Ein russisches l>«-n trop-tlo. —
Noch eine russische Anekdote. — Programm zum „Zerrissenen von Nestroy." —
Die rheinische Eisenbahn. — Der Eremit von Gauting. — Verbot der Sachs.
Vaterlandsblätter in Preußen. — Nur langsam. — Sander.

— Herr C. G. Frage, einer der reichsten Finanziers in Leipzig,
hat recht liebenswürdig geschriebene Reiseerinnerungen, unter dem Titel:
Genrebilder aus Paris im Sommer 1844 herausgegeben. Man findet
jetzt so oft, daß irgend ein Millionär unter die Schriftsteller geht. Wa¬
rum nehmen diese nicht Revanche? Warum hört man nie, daß ein
Schriftsteller unter die Millionäre gegangen ist? —

— (Aus einem Privatschreiben.) „Die Reisenden, die von Minden über
Hannover nach Braunschweig reisen, müssen nolens olons ganz durchdrun¬
gen werden von der deutschen Einheit. Man begnügt sich nicht mehr, die
Koffer und Hutschachteln in Minden zu plombiren, um sie dann in Braun¬
schweig öffnen zulassen, sondern die preußischen Zollbeamten durchstechen alle
Koffer, um eine Schnur durchzuziehen und die Plombe mit deutscher
Gründlichkeit aufheften zu können. Ich hatte einen ganz neuen eng¬
lischen Koffer mit und bat dringend, die Plombirung vorzunehmen,
ohne den Koffer zu zerstören. Aber all mein Sträuben war umsonst,


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[0043] daß Italien seinen Bedarf an Cattunen größtentheils aus England und Frankreich bezieht, weil insbesondere die englischen Cattune un¬ serer Perrotinen ungleich billiger als die inländischen sind, abgesehen davon, daß die Fabrikation in England auf einer höheren Stufe steht. — Aber angenommen, daß der Schmuggel verhütet werden kann, bieten nicht die vielen österreichischen Provinzen genug Concurrenz? — Die größte Fabrik in Prag hat zwei Perrotinen, und schon in Wien haben ungleich kleinere Fabriken fünf Perrotinen! — Wie könnte Böhmen die Concurrenz mit Oesterreich und mit anderen Landessabriken aus¬ halten! Und kömmt denn das Interesse der Consumenten gar nicht in Anschlag? Gesetzt, alle Perrotinen würden in Oesterreich abgeschafft, dann würde der Preis der Waaren unverhälrnißmäßig steigen und dreißig Millionen Staatsgenossen müßten zu Gunsten einiger Haufen Drucker eine unerhörte Steuer zahlen, oder ihre Bedürfnisse an Klei¬ dung mindern. Unter diesen Consumenten sind übrigens noch viel ärmere Leute als die Drucker sind! Und was würde aus den Fort¬ schritten unserer Industrie, aus unseren Hoffnungen, dem Zollvereine uns anschließen zu können, wenn wir plötzlich die Maschinen einstellen und um ein halbes Jahrhundert zurückgehen müßten? R. v. W. IV. Notizen. Millionäre und Literaten. — Von Hannover nach Braunschweig. — Neue Art von Inhabern. — Thiers und seine Verbreitung. — Heine und die Fran¬ zosen. — Ein deutsches Blatt in Belgien. — Ein russisches l>«-n trop-tlo. — Noch eine russische Anekdote. — Programm zum „Zerrissenen von Nestroy." — Die rheinische Eisenbahn. — Der Eremit von Gauting. — Verbot der Sachs. Vaterlandsblätter in Preußen. — Nur langsam. — Sander. — Herr C. G. Frage, einer der reichsten Finanziers in Leipzig, hat recht liebenswürdig geschriebene Reiseerinnerungen, unter dem Titel: Genrebilder aus Paris im Sommer 1844 herausgegeben. Man findet jetzt so oft, daß irgend ein Millionär unter die Schriftsteller geht. Wa¬ rum nehmen diese nicht Revanche? Warum hört man nie, daß ein Schriftsteller unter die Millionäre gegangen ist? — — (Aus einem Privatschreiben.) „Die Reisenden, die von Minden über Hannover nach Braunschweig reisen, müssen nolens olons ganz durchdrun¬ gen werden von der deutschen Einheit. Man begnügt sich nicht mehr, die Koffer und Hutschachteln in Minden zu plombiren, um sie dann in Braun¬ schweig öffnen zulassen, sondern die preußischen Zollbeamten durchstechen alle Koffer, um eine Schnur durchzuziehen und die Plombe mit deutscher Gründlichkeit aufheften zu können. Ich hatte einen ganz neuen eng¬ lischen Koffer mit und bat dringend, die Plombirung vorzunehmen, ohne den Koffer zu zerstören. Aber all mein Sträuben war umsonst, 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/43>, abgerufen am 27.04.2024.