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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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silmill,!. Statt der erwarteten Satyrs und humoristischen Laune,
soll jedoch das Stück einen solchen Pfuhl von Gemeinheiten enthalten
haben, daß jeder Bcssergcsinnte erröthen mußte. Man zollte der Be¬
reitwilligkeit und den zum Theil überraschenden Talenten der Dar¬
stellenden, so wie der Musik des verdienstvollen Eompositeurs den ge¬
bührenden Beifall, aber den Ekel und den Ueberdruß, den das fade,
drei Stunden lange Machwerk erregte, konnte man darüber nicht ver¬
gessen, um so weniger, als es mit trivialen und boshaften Ausfallen
selbst gegen solche segenverbreitende israelitische Institute gespickt war,
die viel dazu beigetragen haben, den modernen Bestrebungen jüdischer
Gemeinden in den Augen der christlichen Bevölkerung Achtung und hö¬
here Theilnahme zu erwerben. Es wäre wohl der gedrückten Position
unserer israelitischen Bevölkerung angemessen, sich durch erhebende Dinge
in ihrem geistigen Leben zu stärken, statt durch schmutzige Witze sich
zu erniedrigen. Verschlossene Thüren sind heut zu Tage kein Präservativ
gegen die öffentliche Beurtheilung. -- Das Beste in jener sonderbaren
Privatcomödie soll ein Musikstück von dem Violinspieler Ernst gewesen
sein, der in unbegrenzter Wohlthätigkeitsliebe die Awischenacte jener
traurigen Comödie durch seine idealen Geigentöne ausfüllte. Komisch
genug war der Schauplatz dieser Vorstellung ein Wollmagazin, das
ein bekannter Sonderling zu diesem Behufe in ein elegantes Theater
umgestalten ließ; das sackgrobe Stück gab im Zusammenhange mit
dem Wollmagazin zu der Aeußerung Anlaß: Viel Geschrei und wenig
B... Wolle.


II.
Aus Hamburg.

Die Gelehrten. -- Herr und NichtHerr. -- Advokatenglück. -- Schulwesen. --
Fünf Lehrer und vier Schüler. -- Suzor. -- Oeffentliche Bibliotheken und
Leseinstitute. -- Leven und Bauten.

Die wissenschaftlichen Zustande Hamburgs stehen, wie zu erwarten,
eben auf keiner sehr hohen Stufe. Die Wissenschaft ist hier ein Stief¬
kind, dem man zwar nicht ganz abgeneigt ist, das aber auf keine be¬
sondern Rücksichten Anspruch machen kann. Der Gelehrte als solcher
steht nicht gerade sehr hoch in der öffentlichen Meinung, wenn er nicht
mit seinem Wissen eine praktische Seite verbindet, und an Männern
dieser Art ist Hamburg nicht gerade arm. Am größten ist die Zahl
der Aerzte und Advokaten, sie betragt über dreihundert zu ziemlich gleichen
Theilen. Es ist hier allgemeine Sitte, daß Mediciner und Juristen promo-
viren, der Hamburger muß gewissermaßen ein Aushängeschild haben, an
dem er sogleich die Firma erkennen kann: ein Gelehrter ohne Doctortitel
ginge kaum für halb mit. Diese Aufopferung, weniger an Mühe
als an Geld, weiß dann auch der Staat genügend zu belohnen ---
er nennt einen jeden der promovirten Leute in öffentlichen Acten und
gerichtlichen Verhandlungen Herr, eine Auszeichnung, die sonst nur


silmill,!. Statt der erwarteten Satyrs und humoristischen Laune,
soll jedoch das Stück einen solchen Pfuhl von Gemeinheiten enthalten
haben, daß jeder Bcssergcsinnte erröthen mußte. Man zollte der Be¬
reitwilligkeit und den zum Theil überraschenden Talenten der Dar¬
stellenden, so wie der Musik des verdienstvollen Eompositeurs den ge¬
bührenden Beifall, aber den Ekel und den Ueberdruß, den das fade,
drei Stunden lange Machwerk erregte, konnte man darüber nicht ver¬
gessen, um so weniger, als es mit trivialen und boshaften Ausfallen
selbst gegen solche segenverbreitende israelitische Institute gespickt war,
die viel dazu beigetragen haben, den modernen Bestrebungen jüdischer
Gemeinden in den Augen der christlichen Bevölkerung Achtung und hö¬
here Theilnahme zu erwerben. Es wäre wohl der gedrückten Position
unserer israelitischen Bevölkerung angemessen, sich durch erhebende Dinge
in ihrem geistigen Leben zu stärken, statt durch schmutzige Witze sich
zu erniedrigen. Verschlossene Thüren sind heut zu Tage kein Präservativ
gegen die öffentliche Beurtheilung. — Das Beste in jener sonderbaren
Privatcomödie soll ein Musikstück von dem Violinspieler Ernst gewesen
sein, der in unbegrenzter Wohlthätigkeitsliebe die Awischenacte jener
traurigen Comödie durch seine idealen Geigentöne ausfüllte. Komisch
genug war der Schauplatz dieser Vorstellung ein Wollmagazin, das
ein bekannter Sonderling zu diesem Behufe in ein elegantes Theater
umgestalten ließ; das sackgrobe Stück gab im Zusammenhange mit
dem Wollmagazin zu der Aeußerung Anlaß: Viel Geschrei und wenig
B... Wolle.


II.
Aus Hamburg.

Die Gelehrten. — Herr und NichtHerr. — Advokatenglück. — Schulwesen. —
Fünf Lehrer und vier Schüler. — Suzor. — Oeffentliche Bibliotheken und
Leseinstitute. — Leven und Bauten.

Die wissenschaftlichen Zustande Hamburgs stehen, wie zu erwarten,
eben auf keiner sehr hohen Stufe. Die Wissenschaft ist hier ein Stief¬
kind, dem man zwar nicht ganz abgeneigt ist, das aber auf keine be¬
sondern Rücksichten Anspruch machen kann. Der Gelehrte als solcher
steht nicht gerade sehr hoch in der öffentlichen Meinung, wenn er nicht
mit seinem Wissen eine praktische Seite verbindet, und an Männern
dieser Art ist Hamburg nicht gerade arm. Am größten ist die Zahl
der Aerzte und Advokaten, sie betragt über dreihundert zu ziemlich gleichen
Theilen. Es ist hier allgemeine Sitte, daß Mediciner und Juristen promo-
viren, der Hamburger muß gewissermaßen ein Aushängeschild haben, an
dem er sogleich die Firma erkennen kann: ein Gelehrter ohne Doctortitel
ginge kaum für halb mit. Diese Aufopferung, weniger an Mühe
als an Geld, weiß dann auch der Staat genügend zu belohnen —-
er nennt einen jeden der promovirten Leute in öffentlichen Acten und
gerichtlichen Verhandlungen Herr, eine Auszeichnung, die sonst nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/464>, abgerufen am 27.04.2024.