Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.den höhern Würdeträgern zukommt, während die Uebrigen sich mit den höhern Würdeträgern zukommt, während die Uebrigen sich mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270524"/> <p xml:id="ID_1305" prev="#ID_1304" next="#ID_1306"> den höhern Würdeträgern zukommt, während die Uebrigen sich mit<lb/> einem Sr., d. h. Sieur, nach andrer Lesart „schor" begnügen müssen.<lb/> Ich überlasse den Sprachforschern die Erklärung dieses letzten Wortes.<lb/> Wie schön klingt es nicht, wenn es da heißt: „Herr Doctor Y.<lb/> gegen schor A.!" Leider ist diese Bocksbcutelei (bekanntlich soll auch<lb/> dieses Wort in Hamburg seinen Ursprung genommen haben) im großen<lb/> Feuer nicht mit verbrannt. — Am meisten schätzt man die „Herren"<lb/> Juristen, unter denen sich übrigens viele sehr tüchtige Männer befinden,<lb/> trotz dem oder vielleicht gerade weil der Hamburger Staat von ihnen<lb/> kein besonderes Staatsexamen fordert, das sonst den Scudircnden als<lb/> drohendes Gespenst am Ende ihrer Laufbahn vor Augen steht und<lb/> ihre besten Kräfte lahmt. Auch findet sich vielleicht nirgends wieder<lb/> in Deutschland ein Ort vor, wo die Advokaten eine freiere und an¬<lb/> gesehenere Stellung haben — sie bilden gewissermaßen den Adel Ham¬<lb/> burgs — und wo sie, sind sie erst einmal in Ruf, sich pecuniär<lb/> besser stehen. Es gibt hier mehrere Advokaten, deren Praxis sich<lb/> aus mehr als 12Me) Thlr. preußisch beläuft, ein hübsches Sümm¬<lb/> chen ! — Desto schlimmer sieht es mit dem Lehrerstand aus; ich komme<lb/> auf diesen Gegenstand, weil gerade jetzt in der Unterrichtsfrage eine<lb/> lebhafte Bewegung in Hamburg herrscht. Der Senat hatte nämlich<lb/> im letzten Bürgerconvcnte auf einen ziemlich bedeutenden Zuschuß für<lb/> die öffentlichen Lehranstalten angetragen, worauf die Bürger aber durch¬<lb/> aus nicht eingingen, nicht des Geldes wegen, gern würden sie mehr<lb/> geben; aber sie wollten kein Flickwerk, um ein vom Grunde auf schad¬<lb/> haftes Gebäude an einem einzelnen Orte auszubessern und zu über¬<lb/> tünchen, sie meinten, es thue eine Radicalverbesserung Noth. Die<lb/> Bürgerschaft hat in der That hierin sich selbst übertroffen, wer in<lb/> Hamburg hätte je sonst an einen solchen Radikalismus gedacht! Auch<lb/> ist wirklich das Schulwesen in dem allerttaurigsten Zustande, die Armen¬<lb/> schulen ausgenommen. nominell haben zwar die fünf Hauvtvastvre,<lb/> jeder für seinen Sprengel, die Concession und Inspektion der Schulen,<lb/> bei den nicht lutherischen Gemeinden jedoch sind sie reine Gemeindesache,<lb/> und so ist z. B. bei der bei Weitem am zahlreichsten jüdischen das Schul-<lb/> halten ein durchaus freies Gewerbe, wie jedes andere. So bestehen<lb/> nun reget- und schrankenlos eine Masse Privatschulen neben einander,<lb/> deren Anzahl selbst nicht die Behörden kennen. Als einmal vor län¬<lb/> gerer Zeit der Senat an eine Verbesserung dachte, mußte er zu einer<lb/> namentlicher Angabe der Schulen erst polizeilich auffordern lassen.<lb/> Man erzählt sich übrigens fabelhafte Dinge von den Folgen dieses<lb/> Zustandes. Jene Unzufriedenheit der Bürger hatte auch noch einen<lb/> andern Grund. Vor Kurzem nämlich war der bisherige Director der<lb/> (öffentlichen) Realschule gestorben, und an seine Stelle wählte man<lb/> anstatt eines tüchtigen Schulmannes (Diestcrweg in Berlin und Vogel<lb/> in Leipzig standen mit auf der Wahl) einen recht frommen Candidaten,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0465]
den höhern Würdeträgern zukommt, während die Uebrigen sich mit
einem Sr., d. h. Sieur, nach andrer Lesart „schor" begnügen müssen.
Ich überlasse den Sprachforschern die Erklärung dieses letzten Wortes.
Wie schön klingt es nicht, wenn es da heißt: „Herr Doctor Y.
gegen schor A.!" Leider ist diese Bocksbcutelei (bekanntlich soll auch
dieses Wort in Hamburg seinen Ursprung genommen haben) im großen
Feuer nicht mit verbrannt. — Am meisten schätzt man die „Herren"
Juristen, unter denen sich übrigens viele sehr tüchtige Männer befinden,
trotz dem oder vielleicht gerade weil der Hamburger Staat von ihnen
kein besonderes Staatsexamen fordert, das sonst den Scudircnden als
drohendes Gespenst am Ende ihrer Laufbahn vor Augen steht und
ihre besten Kräfte lahmt. Auch findet sich vielleicht nirgends wieder
in Deutschland ein Ort vor, wo die Advokaten eine freiere und an¬
gesehenere Stellung haben — sie bilden gewissermaßen den Adel Ham¬
burgs — und wo sie, sind sie erst einmal in Ruf, sich pecuniär
besser stehen. Es gibt hier mehrere Advokaten, deren Praxis sich
aus mehr als 12Me) Thlr. preußisch beläuft, ein hübsches Sümm¬
chen ! — Desto schlimmer sieht es mit dem Lehrerstand aus; ich komme
auf diesen Gegenstand, weil gerade jetzt in der Unterrichtsfrage eine
lebhafte Bewegung in Hamburg herrscht. Der Senat hatte nämlich
im letzten Bürgerconvcnte auf einen ziemlich bedeutenden Zuschuß für
die öffentlichen Lehranstalten angetragen, worauf die Bürger aber durch¬
aus nicht eingingen, nicht des Geldes wegen, gern würden sie mehr
geben; aber sie wollten kein Flickwerk, um ein vom Grunde auf schad¬
haftes Gebäude an einem einzelnen Orte auszubessern und zu über¬
tünchen, sie meinten, es thue eine Radicalverbesserung Noth. Die
Bürgerschaft hat in der That hierin sich selbst übertroffen, wer in
Hamburg hätte je sonst an einen solchen Radikalismus gedacht! Auch
ist wirklich das Schulwesen in dem allerttaurigsten Zustande, die Armen¬
schulen ausgenommen. nominell haben zwar die fünf Hauvtvastvre,
jeder für seinen Sprengel, die Concession und Inspektion der Schulen,
bei den nicht lutherischen Gemeinden jedoch sind sie reine Gemeindesache,
und so ist z. B. bei der bei Weitem am zahlreichsten jüdischen das Schul-
halten ein durchaus freies Gewerbe, wie jedes andere. So bestehen
nun reget- und schrankenlos eine Masse Privatschulen neben einander,
deren Anzahl selbst nicht die Behörden kennen. Als einmal vor län¬
gerer Zeit der Senat an eine Verbesserung dachte, mußte er zu einer
namentlicher Angabe der Schulen erst polizeilich auffordern lassen.
Man erzählt sich übrigens fabelhafte Dinge von den Folgen dieses
Zustandes. Jene Unzufriedenheit der Bürger hatte auch noch einen
andern Grund. Vor Kurzem nämlich war der bisherige Director der
(öffentlichen) Realschule gestorben, und an seine Stelle wählte man
anstatt eines tüchtigen Schulmannes (Diestcrweg in Berlin und Vogel
in Leipzig standen mit auf der Wahl) einen recht frommen Candidaten,
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