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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Vorschub leistet, wenn man sich gleichsam auf der geistigen Anato¬
miebank zerlegt und zerschnitten sehen muß. Nur ausgezeichnete Geister
bilden, wie gesagt, hier eine Ausnahme, diese müssen es sich schon
gefallen lassen, neben den Lichtseiten auch die Schattenseiten ihrer
Stellung zu genießen.

Das Leben und Treiben in Hamburg ist ein ungemein thätiges und
rühriges; das regt und bewegt sich von Sonnenaufgang bis zu Sonnen¬
untergang, und besonders um die Mittagszeit herrscht Tag für Tag
in den ziemlich ausgedehnten eigentlichen Geschäftsgegenden eine Be¬
wegung, an welche die größte Lebhaftigkeit während der Leipziger Messe
kaum hinanreicht. Man muß daran fo gewöhnt sein, wie der Ham¬
burger, um sie so ruhig an sich vorübergehen zu lassen. Mich selbst,
den sein Beruf eigentlich nur wenig dorthin führt, setzt, wenn ich
mich einmal dahin verliere, dieses Wogen, dieses Drängen und Trei¬
ben in Staunen. Namentlich interessant war es während des Neu¬
aufbaues, als zwischen Ruinen und Hauser-Embryonen die Geschäfte
ruhig ihren Gang fortgingen, und wahrhaft bewundrungswürdig ward
erst diese Thätigkeit, als einerseits der klebrige Schmutz, womit Ham¬
burg bei starkem Regenwetter gleichsam wie überzogen ist, andrerseits die
vielen unterirdischen Bauten (die siebte), die allenthalben innerhalb der
Baustätte vorgenommen wurden, so störend beides auch obendrein in
den Verkehr eingreifen mußte, jenen geschäftlichen Eifer in keiner
Weise aufzuhalten vermochten. Es sind nun jetzt gerade drei Jahre,
daß jenes fürchterliche Feuer hier wüthete, und erstaunlich ist es, was
seitdem schon geschehen. Der bei Weitem größte Theil der Privat¬
gebäude ist schon vollendet, und der Rest wird wohl im Laufe dieses
Jahres der Vollendung entgegensehen können. Es ist wahrlich keine
Kleinigkeit, mehr als 2000 Häuser zu bauen, und was für Häuser!
Die von der Feuersbrunst verschonten Stadttheile erscheinen jetzt ganz
unbedeutend, wenn man jene Reihe von Colossen verlassen hat, die
man ausgeführt. Es ist gar nicht so uninteressant, den Geschmack,
oft auch die Geschmacklosigkeit zu studiren, mit der man gebaut hat,
um so mehr, da hier ein jeder Bauherr seinen Launen ganz hat fröh-
nen können. Wunderliche Dinge sind zum Vorschein gekommen, aber
auch sehr Schönes. Ich nehme mir vielleicht spater die Gelegenheit,
mit Ihnen einen Gang durch die neugebauten Stadttheile zu machen,
es wird sich der Mühe lohnen.


II!.
Heinrich Rüstige.

Zu den anziehendsten Erscheinungen der neueren Lyrik gehören die
so eben (Frankfurt bei Saucrländer) erschienenen Gedichte von H.
Rüstige. Rüstige, als einer unserer vortrefflichsten Genremaler be-


Vorschub leistet, wenn man sich gleichsam auf der geistigen Anato¬
miebank zerlegt und zerschnitten sehen muß. Nur ausgezeichnete Geister
bilden, wie gesagt, hier eine Ausnahme, diese müssen es sich schon
gefallen lassen, neben den Lichtseiten auch die Schattenseiten ihrer
Stellung zu genießen.

Das Leben und Treiben in Hamburg ist ein ungemein thätiges und
rühriges; das regt und bewegt sich von Sonnenaufgang bis zu Sonnen¬
untergang, und besonders um die Mittagszeit herrscht Tag für Tag
in den ziemlich ausgedehnten eigentlichen Geschäftsgegenden eine Be¬
wegung, an welche die größte Lebhaftigkeit während der Leipziger Messe
kaum hinanreicht. Man muß daran fo gewöhnt sein, wie der Ham¬
burger, um sie so ruhig an sich vorübergehen zu lassen. Mich selbst,
den sein Beruf eigentlich nur wenig dorthin führt, setzt, wenn ich
mich einmal dahin verliere, dieses Wogen, dieses Drängen und Trei¬
ben in Staunen. Namentlich interessant war es während des Neu¬
aufbaues, als zwischen Ruinen und Hauser-Embryonen die Geschäfte
ruhig ihren Gang fortgingen, und wahrhaft bewundrungswürdig ward
erst diese Thätigkeit, als einerseits der klebrige Schmutz, womit Ham¬
burg bei starkem Regenwetter gleichsam wie überzogen ist, andrerseits die
vielen unterirdischen Bauten (die siebte), die allenthalben innerhalb der
Baustätte vorgenommen wurden, so störend beides auch obendrein in
den Verkehr eingreifen mußte, jenen geschäftlichen Eifer in keiner
Weise aufzuhalten vermochten. Es sind nun jetzt gerade drei Jahre,
daß jenes fürchterliche Feuer hier wüthete, und erstaunlich ist es, was
seitdem schon geschehen. Der bei Weitem größte Theil der Privat¬
gebäude ist schon vollendet, und der Rest wird wohl im Laufe dieses
Jahres der Vollendung entgegensehen können. Es ist wahrlich keine
Kleinigkeit, mehr als 2000 Häuser zu bauen, und was für Häuser!
Die von der Feuersbrunst verschonten Stadttheile erscheinen jetzt ganz
unbedeutend, wenn man jene Reihe von Colossen verlassen hat, die
man ausgeführt. Es ist gar nicht so uninteressant, den Geschmack,
oft auch die Geschmacklosigkeit zu studiren, mit der man gebaut hat,
um so mehr, da hier ein jeder Bauherr seinen Launen ganz hat fröh-
nen können. Wunderliche Dinge sind zum Vorschein gekommen, aber
auch sehr Schönes. Ich nehme mir vielleicht spater die Gelegenheit,
mit Ihnen einen Gang durch die neugebauten Stadttheile zu machen,
es wird sich der Mühe lohnen.


II!.
Heinrich Rüstige.

Zu den anziehendsten Erscheinungen der neueren Lyrik gehören die
so eben (Frankfurt bei Saucrländer) erschienenen Gedichte von H.
Rüstige. Rüstige, als einer unserer vortrefflichsten Genremaler be-


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[0468] Vorschub leistet, wenn man sich gleichsam auf der geistigen Anato¬ miebank zerlegt und zerschnitten sehen muß. Nur ausgezeichnete Geister bilden, wie gesagt, hier eine Ausnahme, diese müssen es sich schon gefallen lassen, neben den Lichtseiten auch die Schattenseiten ihrer Stellung zu genießen. Das Leben und Treiben in Hamburg ist ein ungemein thätiges und rühriges; das regt und bewegt sich von Sonnenaufgang bis zu Sonnen¬ untergang, und besonders um die Mittagszeit herrscht Tag für Tag in den ziemlich ausgedehnten eigentlichen Geschäftsgegenden eine Be¬ wegung, an welche die größte Lebhaftigkeit während der Leipziger Messe kaum hinanreicht. Man muß daran fo gewöhnt sein, wie der Ham¬ burger, um sie so ruhig an sich vorübergehen zu lassen. Mich selbst, den sein Beruf eigentlich nur wenig dorthin führt, setzt, wenn ich mich einmal dahin verliere, dieses Wogen, dieses Drängen und Trei¬ ben in Staunen. Namentlich interessant war es während des Neu¬ aufbaues, als zwischen Ruinen und Hauser-Embryonen die Geschäfte ruhig ihren Gang fortgingen, und wahrhaft bewundrungswürdig ward erst diese Thätigkeit, als einerseits der klebrige Schmutz, womit Ham¬ burg bei starkem Regenwetter gleichsam wie überzogen ist, andrerseits die vielen unterirdischen Bauten (die siebte), die allenthalben innerhalb der Baustätte vorgenommen wurden, so störend beides auch obendrein in den Verkehr eingreifen mußte, jenen geschäftlichen Eifer in keiner Weise aufzuhalten vermochten. Es sind nun jetzt gerade drei Jahre, daß jenes fürchterliche Feuer hier wüthete, und erstaunlich ist es, was seitdem schon geschehen. Der bei Weitem größte Theil der Privat¬ gebäude ist schon vollendet, und der Rest wird wohl im Laufe dieses Jahres der Vollendung entgegensehen können. Es ist wahrlich keine Kleinigkeit, mehr als 2000 Häuser zu bauen, und was für Häuser! Die von der Feuersbrunst verschonten Stadttheile erscheinen jetzt ganz unbedeutend, wenn man jene Reihe von Colossen verlassen hat, die man ausgeführt. Es ist gar nicht so uninteressant, den Geschmack, oft auch die Geschmacklosigkeit zu studiren, mit der man gebaut hat, um so mehr, da hier ein jeder Bauherr seinen Launen ganz hat fröh- nen können. Wunderliche Dinge sind zum Vorschein gekommen, aber auch sehr Schönes. Ich nehme mir vielleicht spater die Gelegenheit, mit Ihnen einen Gang durch die neugebauten Stadttheile zu machen, es wird sich der Mühe lohnen. II!. Heinrich Rüstige. Zu den anziehendsten Erscheinungen der neueren Lyrik gehören die so eben (Frankfurt bei Saucrländer) erschienenen Gedichte von H. Rüstige. Rüstige, als einer unserer vortrefflichsten Genremaler be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/468>, abgerufen am 27.04.2024.