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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Der Geheimschreiber Carl'S V.



Zu den mannigfaltigen Nachtheilen, in welchen die deutschen
dramatischen Dichter und Romanschreiber gegenüber den französischen
stehen, gehört auch der, daß ihnen bei Schilderungen historischer Per¬
sönlichkeiten jenes anekdotische Material fehlt, welches die Franzosen
aus ihren zahlreichen Memoiren und den hinterlassenen Briefwechseln
großer Männer zu schöpfen wissen. Der Deutsche muß in dieser
Beziehung Alles erfinden, wo sein französischer College aus historisch
Gegebenen schöpfen kann. Was hat erst unlängst der Verfasser deS
Dramas "Moritz von Sachsen" erleiden müssen, weil er unter
Anderem Carl V. in einer nicht ganz historischen Situation auf
die Scene gebracht hat. Man vergißt, daß, trotz der vielfachen
Diskussionen und Beleuchtungen von Seiten protestantischer wie ka¬
tholischer Geschichtsschreiber, Carl V. in seinem inneren, häuslichen
Leben, der eigentlichen Domaine des Dichters, weniger als dürftig
geschildert wurde. Nehmen wir im Gegensatze zu ihm seinen Neben¬
buhler, Franz I., den Helden des Victor Hugo'schen Dramas "I^e
s'iimuse." Aus wie vielfachen anekdotische!? Quellen konnte da
der Dichter schöpfen! Wenn Victor Hugo seinen Helden verzeichnet,
verzerrt hat, so geschah es wahrlich nicht wegen Mangels an Details
aus dessen Privatleben, sondern vielleicht aus Ueberfülle derselben.

Wir glauben, sowohl den Dichtern, welche in Zukunft abermals
Carl V. zu einer Figur in ihren Productionen erwählen wollen,
als auch den Historikern überhaupt einen freundlichen Dienst zu er¬
weisen, wenn wir sie auf eine Publication aufmerksam machen, welche
vor Kurzem in Brüssel erschienen ist. Es sind dies die Briefe des
Wilhelm Van Macle, im lateinischen Terte herausgegeben von Ba¬
ron v. Reiffenberg,*) Diese Briefe, welche hier zum ersten Male



*) Das Buch, von der Gesellschaft der belgischen Bibliophilen herausge¬
geben, ist nicht im Buchhandel.
Der Geheimschreiber Carl'S V.



Zu den mannigfaltigen Nachtheilen, in welchen die deutschen
dramatischen Dichter und Romanschreiber gegenüber den französischen
stehen, gehört auch der, daß ihnen bei Schilderungen historischer Per¬
sönlichkeiten jenes anekdotische Material fehlt, welches die Franzosen
aus ihren zahlreichen Memoiren und den hinterlassenen Briefwechseln
großer Männer zu schöpfen wissen. Der Deutsche muß in dieser
Beziehung Alles erfinden, wo sein französischer College aus historisch
Gegebenen schöpfen kann. Was hat erst unlängst der Verfasser deS
Dramas „Moritz von Sachsen" erleiden müssen, weil er unter
Anderem Carl V. in einer nicht ganz historischen Situation auf
die Scene gebracht hat. Man vergißt, daß, trotz der vielfachen
Diskussionen und Beleuchtungen von Seiten protestantischer wie ka¬
tholischer Geschichtsschreiber, Carl V. in seinem inneren, häuslichen
Leben, der eigentlichen Domaine des Dichters, weniger als dürftig
geschildert wurde. Nehmen wir im Gegensatze zu ihm seinen Neben¬
buhler, Franz I., den Helden des Victor Hugo'schen Dramas „I^e
s'iimuse." Aus wie vielfachen anekdotische!? Quellen konnte da
der Dichter schöpfen! Wenn Victor Hugo seinen Helden verzeichnet,
verzerrt hat, so geschah es wahrlich nicht wegen Mangels an Details
aus dessen Privatleben, sondern vielleicht aus Ueberfülle derselben.

Wir glauben, sowohl den Dichtern, welche in Zukunft abermals
Carl V. zu einer Figur in ihren Productionen erwählen wollen,
als auch den Historikern überhaupt einen freundlichen Dienst zu er¬
weisen, wenn wir sie auf eine Publication aufmerksam machen, welche
vor Kurzem in Brüssel erschienen ist. Es sind dies die Briefe des
Wilhelm Van Macle, im lateinischen Terte herausgegeben von Ba¬
ron v. Reiffenberg,*) Diese Briefe, welche hier zum ersten Male



*) Das Buch, von der Gesellschaft der belgischen Bibliophilen herausge¬
geben, ist nicht im Buchhandel.
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[0492] Der Geheimschreiber Carl'S V. Zu den mannigfaltigen Nachtheilen, in welchen die deutschen dramatischen Dichter und Romanschreiber gegenüber den französischen stehen, gehört auch der, daß ihnen bei Schilderungen historischer Per¬ sönlichkeiten jenes anekdotische Material fehlt, welches die Franzosen aus ihren zahlreichen Memoiren und den hinterlassenen Briefwechseln großer Männer zu schöpfen wissen. Der Deutsche muß in dieser Beziehung Alles erfinden, wo sein französischer College aus historisch Gegebenen schöpfen kann. Was hat erst unlängst der Verfasser deS Dramas „Moritz von Sachsen" erleiden müssen, weil er unter Anderem Carl V. in einer nicht ganz historischen Situation auf die Scene gebracht hat. Man vergißt, daß, trotz der vielfachen Diskussionen und Beleuchtungen von Seiten protestantischer wie ka¬ tholischer Geschichtsschreiber, Carl V. in seinem inneren, häuslichen Leben, der eigentlichen Domaine des Dichters, weniger als dürftig geschildert wurde. Nehmen wir im Gegensatze zu ihm seinen Neben¬ buhler, Franz I., den Helden des Victor Hugo'schen Dramas „I^e s'iimuse." Aus wie vielfachen anekdotische!? Quellen konnte da der Dichter schöpfen! Wenn Victor Hugo seinen Helden verzeichnet, verzerrt hat, so geschah es wahrlich nicht wegen Mangels an Details aus dessen Privatleben, sondern vielleicht aus Ueberfülle derselben. Wir glauben, sowohl den Dichtern, welche in Zukunft abermals Carl V. zu einer Figur in ihren Productionen erwählen wollen, als auch den Historikern überhaupt einen freundlichen Dienst zu er¬ weisen, wenn wir sie auf eine Publication aufmerksam machen, welche vor Kurzem in Brüssel erschienen ist. Es sind dies die Briefe des Wilhelm Van Macle, im lateinischen Terte herausgegeben von Ba¬ ron v. Reiffenberg,*) Diese Briefe, welche hier zum ersten Male *) Das Buch, von der Gesellschaft der belgischen Bibliophilen herausge¬ geben, ist nicht im Buchhandel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/492>, abgerufen am 27.04.2024.