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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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verschiedensten Racen der Erde in den Concertsaal. So ist vor eini¬
gen Tagen ein aus Frankreich gekommener Neger, Herr Colas aus
Domingo, hier im Theater als Flötist aufgetreten, wo er im Benefiz
der Demoiselle Clsler Variationen über eine Schwcizermelodie vortrug.
Gott schütze uns jedoch vor solchen Schwarzkünstlern der Tonmuse;
man könnte ordentlich ein Gegner der Abolition werden, wenn man
bedenkt, was für Höllenqualen über die europäische Welt nothwendig
losbrechen müßten, sobalv alle frei erklärten Negersclaven plötzlich die
Plantagen verlassen und sich aus dem von ihnen gebauten Zuckerrohr
mißtönende Flöten schneiden würden, um damit die Welt als fahrende
Virtuosen zu durchwandern! Ich lasse es mir nicht nehmen, dieser
Flötenbläser Colas ist kein gewöhnlicher Flötist, ein Briccialdi oder
Heindl, die ihre Kunst um ihrer selbst willen treiben. Herr Colas
blaße offenbar aus Rache; er ist die Nemesis, welche die vielen Tau¬
sende seiner Brüder an ihren weißen Mördern rächen, die volle und
allgemeine Emancipation der zur Sclaverei geknechteten Schwarzen auf
musikalischen Wege erzwingen will. Die sonst so sanfte, so schmeich¬
lerisch tönende Flöte nimmt unter seinen Händen, an seinem Munde
einen ganz andern, ganz schauerlichen Charakter an. Es klingt da
wie nächtliches Geheul der Tiger und Schakals, und seine Passagen,
seine Triller taugen jedenfalls für die Wüste besser, als für abendlän¬
dische Conccrtsale. Fclician David würde an ihm ohne Zweifel eine
vortreffliche Acquisition machen für die Execution seines svmphonisti-
schen Tongemäldes, das die Sahara schildert.


III.
Aus Vre sia u.

Graf Reichenbach. -- Bücherverbote. -- Stadtverordnete. -- Wollmarkt- --
Kunstverein. -- Theater.

Ich weiß nicht, wie ich den Eindruck nennen soll, den die Auswei¬
sung der badischen Deputirten hier hervorgebracht hat. Es war an
dem Sonntage nach dem Ereignisse, als der schlesische Graf Reichen-
bach aus Waldorf bei Neise, der mit Itzstein und Hecker von Leipzig
aus nach Berlin gereist und dort fortwährend in ihrer Gesellschaft ge¬
blieben war, an einem öffentlichen Orte zuerst im Kreise von Freun¬
den die Details jener polizeilichen Maaßregel erzählte. Wie ein Lauf¬
feuer flog die Kunde durch die Stadt. Die leicht erregbare Jugend
declamirte, das besonnene Alter schüttelte den Kopf. Man sah in
dem Factum eine großartige Verletzung des Nationalgefühls, ein Be¬
weis, daß letzteres im Volke, sogar im schlesischen Volke, wo der Sla¬
vismus sich noch sporadisch vorfindet, größer ist, als diejenigen zu
glauben scheinen, welche die deutsche Einheit aus Ziegeln und Mörtel
construiren wollen. Der vorsichtigste Liberalismus steckte seinen Maus-


verschiedensten Racen der Erde in den Concertsaal. So ist vor eini¬
gen Tagen ein aus Frankreich gekommener Neger, Herr Colas aus
Domingo, hier im Theater als Flötist aufgetreten, wo er im Benefiz
der Demoiselle Clsler Variationen über eine Schwcizermelodie vortrug.
Gott schütze uns jedoch vor solchen Schwarzkünstlern der Tonmuse;
man könnte ordentlich ein Gegner der Abolition werden, wenn man
bedenkt, was für Höllenqualen über die europäische Welt nothwendig
losbrechen müßten, sobalv alle frei erklärten Negersclaven plötzlich die
Plantagen verlassen und sich aus dem von ihnen gebauten Zuckerrohr
mißtönende Flöten schneiden würden, um damit die Welt als fahrende
Virtuosen zu durchwandern! Ich lasse es mir nicht nehmen, dieser
Flötenbläser Colas ist kein gewöhnlicher Flötist, ein Briccialdi oder
Heindl, die ihre Kunst um ihrer selbst willen treiben. Herr Colas
blaße offenbar aus Rache; er ist die Nemesis, welche die vielen Tau¬
sende seiner Brüder an ihren weißen Mördern rächen, die volle und
allgemeine Emancipation der zur Sclaverei geknechteten Schwarzen auf
musikalischen Wege erzwingen will. Die sonst so sanfte, so schmeich¬
lerisch tönende Flöte nimmt unter seinen Händen, an seinem Munde
einen ganz andern, ganz schauerlichen Charakter an. Es klingt da
wie nächtliches Geheul der Tiger und Schakals, und seine Passagen,
seine Triller taugen jedenfalls für die Wüste besser, als für abendlän¬
dische Conccrtsale. Fclician David würde an ihm ohne Zweifel eine
vortreffliche Acquisition machen für die Execution seines svmphonisti-
schen Tongemäldes, das die Sahara schildert.


III.
Aus Vre sia u.

Graf Reichenbach. — Bücherverbote. — Stadtverordnete. — Wollmarkt- —
Kunstverein. — Theater.

Ich weiß nicht, wie ich den Eindruck nennen soll, den die Auswei¬
sung der badischen Deputirten hier hervorgebracht hat. Es war an
dem Sonntage nach dem Ereignisse, als der schlesische Graf Reichen-
bach aus Waldorf bei Neise, der mit Itzstein und Hecker von Leipzig
aus nach Berlin gereist und dort fortwährend in ihrer Gesellschaft ge¬
blieben war, an einem öffentlichen Orte zuerst im Kreise von Freun¬
den die Details jener polizeilichen Maaßregel erzählte. Wie ein Lauf¬
feuer flog die Kunde durch die Stadt. Die leicht erregbare Jugend
declamirte, das besonnene Alter schüttelte den Kopf. Man sah in
dem Factum eine großartige Verletzung des Nationalgefühls, ein Be¬
weis, daß letzteres im Volke, sogar im schlesischen Volke, wo der Sla¬
vismus sich noch sporadisch vorfindet, größer ist, als diejenigen zu
glauben scheinen, welche die deutsche Einheit aus Ziegeln und Mörtel
construiren wollen. Der vorsichtigste Liberalismus steckte seinen Maus-


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[0548] verschiedensten Racen der Erde in den Concertsaal. So ist vor eini¬ gen Tagen ein aus Frankreich gekommener Neger, Herr Colas aus Domingo, hier im Theater als Flötist aufgetreten, wo er im Benefiz der Demoiselle Clsler Variationen über eine Schwcizermelodie vortrug. Gott schütze uns jedoch vor solchen Schwarzkünstlern der Tonmuse; man könnte ordentlich ein Gegner der Abolition werden, wenn man bedenkt, was für Höllenqualen über die europäische Welt nothwendig losbrechen müßten, sobalv alle frei erklärten Negersclaven plötzlich die Plantagen verlassen und sich aus dem von ihnen gebauten Zuckerrohr mißtönende Flöten schneiden würden, um damit die Welt als fahrende Virtuosen zu durchwandern! Ich lasse es mir nicht nehmen, dieser Flötenbläser Colas ist kein gewöhnlicher Flötist, ein Briccialdi oder Heindl, die ihre Kunst um ihrer selbst willen treiben. Herr Colas blaße offenbar aus Rache; er ist die Nemesis, welche die vielen Tau¬ sende seiner Brüder an ihren weißen Mördern rächen, die volle und allgemeine Emancipation der zur Sclaverei geknechteten Schwarzen auf musikalischen Wege erzwingen will. Die sonst so sanfte, so schmeich¬ lerisch tönende Flöte nimmt unter seinen Händen, an seinem Munde einen ganz andern, ganz schauerlichen Charakter an. Es klingt da wie nächtliches Geheul der Tiger und Schakals, und seine Passagen, seine Triller taugen jedenfalls für die Wüste besser, als für abendlän¬ dische Conccrtsale. Fclician David würde an ihm ohne Zweifel eine vortreffliche Acquisition machen für die Execution seines svmphonisti- schen Tongemäldes, das die Sahara schildert. III. Aus Vre sia u. Graf Reichenbach. — Bücherverbote. — Stadtverordnete. — Wollmarkt- — Kunstverein. — Theater. Ich weiß nicht, wie ich den Eindruck nennen soll, den die Auswei¬ sung der badischen Deputirten hier hervorgebracht hat. Es war an dem Sonntage nach dem Ereignisse, als der schlesische Graf Reichen- bach aus Waldorf bei Neise, der mit Itzstein und Hecker von Leipzig aus nach Berlin gereist und dort fortwährend in ihrer Gesellschaft ge¬ blieben war, an einem öffentlichen Orte zuerst im Kreise von Freun¬ den die Details jener polizeilichen Maaßregel erzählte. Wie ein Lauf¬ feuer flog die Kunde durch die Stadt. Die leicht erregbare Jugend declamirte, das besonnene Alter schüttelte den Kopf. Man sah in dem Factum eine großartige Verletzung des Nationalgefühls, ein Be¬ weis, daß letzteres im Volke, sogar im schlesischen Volke, wo der Sla¬ vismus sich noch sporadisch vorfindet, größer ist, als diejenigen zu glauben scheinen, welche die deutsche Einheit aus Ziegeln und Mörtel construiren wollen. Der vorsichtigste Liberalismus steckte seinen Maus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/548>, abgerufen am 27.04.2024.