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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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nicht zum Verkaufe gestanden hat und oft schon vor den Barrieren in
andere Hände überging. Für die Stadt selbst, namentlich für die Wein¬
schenker ist das gar nicht ersprießlich. Je schlechter der Wollmarkt,
desto langer dauert er und desto mehr wird von den vergnügungslustigen
Fremden consumirt. Die Harfenmädchen sind vollends nicht zufrieden.
Sonst das nothwendige Requisit der gutsbesitzerigen Langenweile, von '
Hunderten der gebrannten Landjunker umschwärmt, sitzen sie jetzt in
leeren Stuben und zirpen melancholische Weisen, zum Schrecken und
Aerger der Breslauer Bürger, welche ungern für solchen Ohrenzwang
ihr "Groschel" hingeben.

Am 2l). Mai feierte der Breslauer Künstlerverein sein dreizehntes
Stiftungsfest. Der Künstlerverein ist nämlich eine Reliquie aus der
politisch indifferenten Zeit vor I54t) und besteht aus Leuten, die sich
für irgend einen Zweig der Kunst interessiren, oder wenigstens zu in-
reressiren glauben; Gelegenheitspoeten, Portrait-Malern, Musikern, Kom¬
ponisten :c. Die alljährlichen Feste sind dazu da, damit sich die Mit¬
glieder gegenseitig beräuchcrn und nebenbei aus den Ernst der Zeit
schimpfen, die nichts von ihren Kunstleistungen wissen will. Ich glaubte
die Liliputer auf ihrem bekannten Kriegszuge zu erblicken. Der Herr
v. Holtei sang sehr rührend vom Wanderstabe an dem Grabe.

Ueber unser Theater ist nichts zu sagen. Während des Woll¬
markts wird mit alten abgespielten Stücken, die Renomnw haben,
vorgerückt. Das "Urbild des Tartüffe" bewährt noch immer seine An¬
ziehungkraft, nachdem auch die Gewährleistung des Gastspiels von E.
Devrient weggefallen ist. Herr Hegel spielt übrigens den Molivre
eben so gut. x.


IV.
Aus Dresden.

Brückenbcmerkungen. -- Heiduck's Carl IV. -- Moritz von Schwind und das
große Diner. -- Kein Künstlerneid.

Unsere Brücke ist noch immer in einem sehr traurigen Zustande
und wird wohl noch ein Jahr oder zwei so bleiben. Mit ihr ist unser
Stolz gebrochen. Da sie zusammenbrach, erfuhr man erst, daß sie
innerlich hohl war, und wunderte sich, daß sie so viele Ueberschwem-
mungen und Stürme überdauern konnte. Ja, so geht es uns oft;
erst wenn Altes, Morsches, das durch eine gewisse äußere Eleganz
sich ein Ansehen zu geben versteht, zusammenstürzt, dann erst er¬
kennen wir die innere Leere, und wundern uns, daß es so lange
bestand, und nicht schon längst über den Hausen siel. So ging
es schon oft, so wird es noch öfter gehen. Unsere Brücke soll



*) Durch einen Irrthum ist die letzte Breslauer Korrespondenz it em
mein
D. Red. Namen unterzeichnet worden, der nicht darunter gehörte.

nicht zum Verkaufe gestanden hat und oft schon vor den Barrieren in
andere Hände überging. Für die Stadt selbst, namentlich für die Wein¬
schenker ist das gar nicht ersprießlich. Je schlechter der Wollmarkt,
desto langer dauert er und desto mehr wird von den vergnügungslustigen
Fremden consumirt. Die Harfenmädchen sind vollends nicht zufrieden.
Sonst das nothwendige Requisit der gutsbesitzerigen Langenweile, von '
Hunderten der gebrannten Landjunker umschwärmt, sitzen sie jetzt in
leeren Stuben und zirpen melancholische Weisen, zum Schrecken und
Aerger der Breslauer Bürger, welche ungern für solchen Ohrenzwang
ihr „Groschel" hingeben.

Am 2l). Mai feierte der Breslauer Künstlerverein sein dreizehntes
Stiftungsfest. Der Künstlerverein ist nämlich eine Reliquie aus der
politisch indifferenten Zeit vor I54t) und besteht aus Leuten, die sich
für irgend einen Zweig der Kunst interessiren, oder wenigstens zu in-
reressiren glauben; Gelegenheitspoeten, Portrait-Malern, Musikern, Kom¬
ponisten :c. Die alljährlichen Feste sind dazu da, damit sich die Mit¬
glieder gegenseitig beräuchcrn und nebenbei aus den Ernst der Zeit
schimpfen, die nichts von ihren Kunstleistungen wissen will. Ich glaubte
die Liliputer auf ihrem bekannten Kriegszuge zu erblicken. Der Herr
v. Holtei sang sehr rührend vom Wanderstabe an dem Grabe.

Ueber unser Theater ist nichts zu sagen. Während des Woll¬
markts wird mit alten abgespielten Stücken, die Renomnw haben,
vorgerückt. Das „Urbild des Tartüffe" bewährt noch immer seine An¬
ziehungkraft, nachdem auch die Gewährleistung des Gastspiels von E.
Devrient weggefallen ist. Herr Hegel spielt übrigens den Molivre
eben so gut. x.


IV.
Aus Dresden.

Brückenbcmerkungen. — Heiduck's Carl IV. — Moritz von Schwind und das
große Diner. — Kein Künstlerneid.

Unsere Brücke ist noch immer in einem sehr traurigen Zustande
und wird wohl noch ein Jahr oder zwei so bleiben. Mit ihr ist unser
Stolz gebrochen. Da sie zusammenbrach, erfuhr man erst, daß sie
innerlich hohl war, und wunderte sich, daß sie so viele Ueberschwem-
mungen und Stürme überdauern konnte. Ja, so geht es uns oft;
erst wenn Altes, Morsches, das durch eine gewisse äußere Eleganz
sich ein Ansehen zu geben versteht, zusammenstürzt, dann erst er¬
kennen wir die innere Leere, und wundern uns, daß es so lange
bestand, und nicht schon längst über den Hausen siel. So ging
es schon oft, so wird es noch öfter gehen. Unsere Brücke soll



*) Durch einen Irrthum ist die letzte Breslauer Korrespondenz it em
mein
D. Red. Namen unterzeichnet worden, der nicht darunter gehörte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/550>, abgerufen am 27.04.2024.