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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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T a g e b u eh.



i.
A u s Z " r i es.
(Privatbrief.)

Eine schreckliche Zeit liegt hinter mir; aber ich würde über Alles,
was geschehen ist, kein Wort verlieren, und einen Schleier über die
blutigen Ereignisse der letzten Wochen hängen, um nie mehr davon
zu sprechen, wenn ich hoffen könnte, daß das Drama, welches jetzt in
unserer nächsten Umgebung mit erschreckender Lebendigkeit gespielt wurde,
beendet wäre. Dem ist aber nicht so, es ist erst ein Act vorbei,
und nur der Himmel weiß, was uns noch vorbehalten ist. Der un¬
glückliche Freischaarenzug und dessen Ausgang wurde in den deutschen
Blattern sehr lückenhaft und oft geradezu unwahr dargestellt. Es
wäre viel zu umständlich, die ganze Geschichte zu erzählen, auch jetzt
noch sehr schwierig und fast unmöglich, selbst bei der größten Unbefan¬
genheit den wahren Hergang der Sache zu berichten. So unglaub¬
lich dies scheint, so wahr ist es, und hier mitten in den Ereignissen
selbst ist es vielleicht am allerschwerstcn, die immer noch vorhandenen
Widersprüche zu lösen. Diese Aufgabe bleibt einer Zeit vorbehalten,
in der einmal die Sache ganz abgeschlossen ist (denn dies ist noch
lange nicht der Fall, und ich fürchte, wir sind immer noch am An¬
fang) und wo der Parteihaß weniger heftig, das Auge weniger durch
Leidenschaften aller Art getrübt ist. Der Broschüren und Reden, der
Zeitungsartikel und der sogenannten amtlichen Berichte für und gegen
sind so viele, daß man sie kaum alle lesen kann, und >e mehr man
liest, desto verwirrter wird man.

Die -Freischaaren bestanden dem größten Theil nach aus ganz
angesehenen, wohlhabenden, sogar reichen Leuten, die nur durch den
Haß gegen die Jesuiten und gegen deren Knechte, namentlich aber
gegen die schändliche Luzerner Regierung, und durch Mitleid gegen die
Hunderte von unglücklichen vom Decemberaufruhr her Verhafteten zu
dem Schritte, den sie thaten, verleitet wurden. Also keine Rede von
Plündern und Rauben, Alles, was hierüber gesagt und behauptet


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i.
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(Privatbrief.)

Eine schreckliche Zeit liegt hinter mir; aber ich würde über Alles,
was geschehen ist, kein Wort verlieren, und einen Schleier über die
blutigen Ereignisse der letzten Wochen hängen, um nie mehr davon
zu sprechen, wenn ich hoffen könnte, daß das Drama, welches jetzt in
unserer nächsten Umgebung mit erschreckender Lebendigkeit gespielt wurde,
beendet wäre. Dem ist aber nicht so, es ist erst ein Act vorbei,
und nur der Himmel weiß, was uns noch vorbehalten ist. Der un¬
glückliche Freischaarenzug und dessen Ausgang wurde in den deutschen
Blattern sehr lückenhaft und oft geradezu unwahr dargestellt. Es
wäre viel zu umständlich, die ganze Geschichte zu erzählen, auch jetzt
noch sehr schwierig und fast unmöglich, selbst bei der größten Unbefan¬
genheit den wahren Hergang der Sache zu berichten. So unglaub¬
lich dies scheint, so wahr ist es, und hier mitten in den Ereignissen
selbst ist es vielleicht am allerschwerstcn, die immer noch vorhandenen
Widersprüche zu lösen. Diese Aufgabe bleibt einer Zeit vorbehalten,
in der einmal die Sache ganz abgeschlossen ist (denn dies ist noch
lange nicht der Fall, und ich fürchte, wir sind immer noch am An¬
fang) und wo der Parteihaß weniger heftig, das Auge weniger durch
Leidenschaften aller Art getrübt ist. Der Broschüren und Reden, der
Zeitungsartikel und der sogenannten amtlichen Berichte für und gegen
sind so viele, daß man sie kaum alle lesen kann, und >e mehr man
liest, desto verwirrter wird man.

Die -Freischaaren bestanden dem größten Theil nach aus ganz
angesehenen, wohlhabenden, sogar reichen Leuten, die nur durch den
Haß gegen die Jesuiten und gegen deren Knechte, namentlich aber
gegen die schändliche Luzerner Regierung, und durch Mitleid gegen die
Hunderte von unglücklichen vom Decemberaufruhr her Verhafteten zu
dem Schritte, den sie thaten, verleitet wurden. Also keine Rede von
Plündern und Rauben, Alles, was hierüber gesagt und behauptet


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[0583] T a g e b u eh. i. A u s Z » r i es. (Privatbrief.) Eine schreckliche Zeit liegt hinter mir; aber ich würde über Alles, was geschehen ist, kein Wort verlieren, und einen Schleier über die blutigen Ereignisse der letzten Wochen hängen, um nie mehr davon zu sprechen, wenn ich hoffen könnte, daß das Drama, welches jetzt in unserer nächsten Umgebung mit erschreckender Lebendigkeit gespielt wurde, beendet wäre. Dem ist aber nicht so, es ist erst ein Act vorbei, und nur der Himmel weiß, was uns noch vorbehalten ist. Der un¬ glückliche Freischaarenzug und dessen Ausgang wurde in den deutschen Blattern sehr lückenhaft und oft geradezu unwahr dargestellt. Es wäre viel zu umständlich, die ganze Geschichte zu erzählen, auch jetzt noch sehr schwierig und fast unmöglich, selbst bei der größten Unbefan¬ genheit den wahren Hergang der Sache zu berichten. So unglaub¬ lich dies scheint, so wahr ist es, und hier mitten in den Ereignissen selbst ist es vielleicht am allerschwerstcn, die immer noch vorhandenen Widersprüche zu lösen. Diese Aufgabe bleibt einer Zeit vorbehalten, in der einmal die Sache ganz abgeschlossen ist (denn dies ist noch lange nicht der Fall, und ich fürchte, wir sind immer noch am An¬ fang) und wo der Parteihaß weniger heftig, das Auge weniger durch Leidenschaften aller Art getrübt ist. Der Broschüren und Reden, der Zeitungsartikel und der sogenannten amtlichen Berichte für und gegen sind so viele, daß man sie kaum alle lesen kann, und >e mehr man liest, desto verwirrter wird man. Die -Freischaaren bestanden dem größten Theil nach aus ganz angesehenen, wohlhabenden, sogar reichen Leuten, die nur durch den Haß gegen die Jesuiten und gegen deren Knechte, namentlich aber gegen die schändliche Luzerner Regierung, und durch Mitleid gegen die Hunderte von unglücklichen vom Decemberaufruhr her Verhafteten zu dem Schritte, den sie thaten, verleitet wurden. Also keine Rede von Plündern und Rauben, Alles, was hierüber gesagt und behauptet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/583>, abgerufen am 27.04.2024.