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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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und Feind, gleich ausgezeichnet als Arzt und als Mensch, ob dieser
llr. Steiger, Familienvater von fünf unerzogenen Kindern, Lehrer und
früher Freund und Beschützer von Siegwart-Müller und Staatsschrei¬
ber Meyer (den beiden Haupt.....er), erschossen werden soll oder
nicht. Hier fürchtet man allgemein, auch dieses Opfer müsse noch
fallen; ich bin übrigens fest überzeugt, daß der große Nath mit dem
Todesurtheile dieses Mannes auch sein eigenes unterschreibt. Aber
die Nachsucht, der Stolz und Siegcstaumel dieser Kannibalen ist der¬
gestalt, daß sie Alles im Stande sind.

Unterdessen geht der kleine Krieg an den Grenzen vom Canton
Luz^rü fort, und es vergeht kein Jahrmarkt im Canton Bern oder
Aargau, wo nicht einzelne Luzerner mißhandelt werden; das Volk in
diesen Cantonen ist natürlich fürchterlich über Alles, was geschehen ist
und noch geschieht, empört, und man sucht sich so zu rächen. So gewiß
es nun ist, daß eine solche Rache an Einzelnen höchst ungerecht bleibt,
so wenig ist sie zu verhindern, und so sehr müssen solche einzelne Hand¬
lungen der Rache, welche natürlich den Berncrn und Aargauern auf
Luzerner Boden wieder reichlich vergolten werden, die gegenseitige Er¬
bitterung steigern. Im Juli kommt nun wieder die unglückliche Tag¬
satzung zusammen, die über die Hauptfrage, nämlich die Jesuiten,
zu entscheiden hat. Bei der Zusammensetzung und dem Organismus
dieser Behörde ist es aber sicher vorauszusehen, das gar kein be¬
stimmtes Resultat erzielt werden wird, und dann ist es eben wieder
die alte Geschichte, und der Tanz geht von Neuem los. Zwar wird
es sicher keinen Freischaarenzug mehr geben, aber die Erbitterung ge¬
gen die Jesuiten ist so groß und allgemein, und andererseits der Stolz
und die Arroganz der Ultramontanen so ungeheuer, daß es, wenn diese
Frage nicht bestimmt entschieden wird, über kurz oder lang wieder zu
einer Katastrophe kommen muß, welche dann hoffentlich der Sache für
immer ein Ende machen wird. Gott gebe, daß ich mich irre, und
daß diese Frage auf friedlichem Wege eine glückliche Erledigung findet!

Nachschrift. Steiger ist, wie Sie wissen, nicht begnadigt und
die Sache ist bis zum nächsten großen Rath, der erst in sechs Wo¬
chen zusammenkommt, aufgeschoben. Ist es nicht wahrhaft barbarisch,
einen zum Tode Verurtheilten so lange in Zweifel über sein Schicksal
zu lassen? Man will, wie es scheint, diesen unglücklichen Mann an
langsamem Feuer rösten! Man hat nicht den Muth, ihn zu todten,
und nicht Menschlichkeit genug, ihn zu begnadigen. --


II.
Aus Prag.

Hlonve-neue -" tout piix. -- Preußische und österreichische Landstände. -- Des
Pudels Kern. -- Aristokratische Auferstehung. -- Die Robot. -- Thcaterzu-
ständc- -- Gymnasium und Strafgesetzbuch.

Man hat oft gesagt, Bewegung ist es vor Allem, was Oester¬
reich Noth thut, und von diesem Principe aus müsse man Alles will-


und Feind, gleich ausgezeichnet als Arzt und als Mensch, ob dieser
llr. Steiger, Familienvater von fünf unerzogenen Kindern, Lehrer und
früher Freund und Beschützer von Siegwart-Müller und Staatsschrei¬
ber Meyer (den beiden Haupt.....er), erschossen werden soll oder
nicht. Hier fürchtet man allgemein, auch dieses Opfer müsse noch
fallen; ich bin übrigens fest überzeugt, daß der große Nath mit dem
Todesurtheile dieses Mannes auch sein eigenes unterschreibt. Aber
die Nachsucht, der Stolz und Siegcstaumel dieser Kannibalen ist der¬
gestalt, daß sie Alles im Stande sind.

Unterdessen geht der kleine Krieg an den Grenzen vom Canton
Luz^rü fort, und es vergeht kein Jahrmarkt im Canton Bern oder
Aargau, wo nicht einzelne Luzerner mißhandelt werden; das Volk in
diesen Cantonen ist natürlich fürchterlich über Alles, was geschehen ist
und noch geschieht, empört, und man sucht sich so zu rächen. So gewiß
es nun ist, daß eine solche Rache an Einzelnen höchst ungerecht bleibt,
so wenig ist sie zu verhindern, und so sehr müssen solche einzelne Hand¬
lungen der Rache, welche natürlich den Berncrn und Aargauern auf
Luzerner Boden wieder reichlich vergolten werden, die gegenseitige Er¬
bitterung steigern. Im Juli kommt nun wieder die unglückliche Tag¬
satzung zusammen, die über die Hauptfrage, nämlich die Jesuiten,
zu entscheiden hat. Bei der Zusammensetzung und dem Organismus
dieser Behörde ist es aber sicher vorauszusehen, das gar kein be¬
stimmtes Resultat erzielt werden wird, und dann ist es eben wieder
die alte Geschichte, und der Tanz geht von Neuem los. Zwar wird
es sicher keinen Freischaarenzug mehr geben, aber die Erbitterung ge¬
gen die Jesuiten ist so groß und allgemein, und andererseits der Stolz
und die Arroganz der Ultramontanen so ungeheuer, daß es, wenn diese
Frage nicht bestimmt entschieden wird, über kurz oder lang wieder zu
einer Katastrophe kommen muß, welche dann hoffentlich der Sache für
immer ein Ende machen wird. Gott gebe, daß ich mich irre, und
daß diese Frage auf friedlichem Wege eine glückliche Erledigung findet!

Nachschrift. Steiger ist, wie Sie wissen, nicht begnadigt und
die Sache ist bis zum nächsten großen Rath, der erst in sechs Wo¬
chen zusammenkommt, aufgeschoben. Ist es nicht wahrhaft barbarisch,
einen zum Tode Verurtheilten so lange in Zweifel über sein Schicksal
zu lassen? Man will, wie es scheint, diesen unglücklichen Mann an
langsamem Feuer rösten! Man hat nicht den Muth, ihn zu todten,
und nicht Menschlichkeit genug, ihn zu begnadigen. —


II.
Aus Prag.

Hlonve-neue -» tout piix. — Preußische und österreichische Landstände. — Des
Pudels Kern. — Aristokratische Auferstehung. — Die Robot. — Thcaterzu-
ständc- — Gymnasium und Strafgesetzbuch.

Man hat oft gesagt, Bewegung ist es vor Allem, was Oester¬
reich Noth thut, und von diesem Principe aus müsse man Alles will-


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[0586] und Feind, gleich ausgezeichnet als Arzt und als Mensch, ob dieser llr. Steiger, Familienvater von fünf unerzogenen Kindern, Lehrer und früher Freund und Beschützer von Siegwart-Müller und Staatsschrei¬ ber Meyer (den beiden Haupt.....er), erschossen werden soll oder nicht. Hier fürchtet man allgemein, auch dieses Opfer müsse noch fallen; ich bin übrigens fest überzeugt, daß der große Nath mit dem Todesurtheile dieses Mannes auch sein eigenes unterschreibt. Aber die Nachsucht, der Stolz und Siegcstaumel dieser Kannibalen ist der¬ gestalt, daß sie Alles im Stande sind. Unterdessen geht der kleine Krieg an den Grenzen vom Canton Luz^rü fort, und es vergeht kein Jahrmarkt im Canton Bern oder Aargau, wo nicht einzelne Luzerner mißhandelt werden; das Volk in diesen Cantonen ist natürlich fürchterlich über Alles, was geschehen ist und noch geschieht, empört, und man sucht sich so zu rächen. So gewiß es nun ist, daß eine solche Rache an Einzelnen höchst ungerecht bleibt, so wenig ist sie zu verhindern, und so sehr müssen solche einzelne Hand¬ lungen der Rache, welche natürlich den Berncrn und Aargauern auf Luzerner Boden wieder reichlich vergolten werden, die gegenseitige Er¬ bitterung steigern. Im Juli kommt nun wieder die unglückliche Tag¬ satzung zusammen, die über die Hauptfrage, nämlich die Jesuiten, zu entscheiden hat. Bei der Zusammensetzung und dem Organismus dieser Behörde ist es aber sicher vorauszusehen, das gar kein be¬ stimmtes Resultat erzielt werden wird, und dann ist es eben wieder die alte Geschichte, und der Tanz geht von Neuem los. Zwar wird es sicher keinen Freischaarenzug mehr geben, aber die Erbitterung ge¬ gen die Jesuiten ist so groß und allgemein, und andererseits der Stolz und die Arroganz der Ultramontanen so ungeheuer, daß es, wenn diese Frage nicht bestimmt entschieden wird, über kurz oder lang wieder zu einer Katastrophe kommen muß, welche dann hoffentlich der Sache für immer ein Ende machen wird. Gott gebe, daß ich mich irre, und daß diese Frage auf friedlichem Wege eine glückliche Erledigung findet! Nachschrift. Steiger ist, wie Sie wissen, nicht begnadigt und die Sache ist bis zum nächsten großen Rath, der erst in sechs Wo¬ chen zusammenkommt, aufgeschoben. Ist es nicht wahrhaft barbarisch, einen zum Tode Verurtheilten so lange in Zweifel über sein Schicksal zu lassen? Man will, wie es scheint, diesen unglücklichen Mann an langsamem Feuer rösten! Man hat nicht den Muth, ihn zu todten, und nicht Menschlichkeit genug, ihn zu begnadigen. — II. Aus Prag. Hlonve-neue -» tout piix. — Preußische und österreichische Landstände. — Des Pudels Kern. — Aristokratische Auferstehung. — Die Robot. — Thcaterzu- ständc- — Gymnasium und Strafgesetzbuch. Man hat oft gesagt, Bewegung ist es vor Allem, was Oester¬ reich Noth thut, und von diesem Principe aus müsse man Alles will-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/586>, abgerufen am 27.04.2024.