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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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kommen heißen, was nur das flockige Blut und die Indifferenz unseres
Staatslebens durch einander rüttelt. Auf diese Weise haben wir die Sprach¬
kämpfe der Slaven auch von solchen Seiten aufmuntern sehen, die als
Deutsche dem Endziel dieser Bewegung feindselig gegenüberstehen müssen.
Für diele Männer des mouvement it tout prix ist die drohende und
hegemonische Stellung, welche die Ezechen bereits bei uns gegenüber
dem deutschen Elemente eingenommen, eine bedeutende Warnung. Ein
zweites Element der Bewegung, welches wir gleichfalls in deutschen
Blättern applaudirt sehen, ist die wiedererwachende Lebensthätigkeit un¬
serer Stände. Ohne blind zu sein gegen die Vortheile, die eine bes¬
sere ständische Repräsentation uns nach verschiedenen Seiten hin brin¬
gen könnte, ist doch in der erclusiven Art und Weise, wie sich diese
Repräsentation neuerdings wieder geltend machen will, ein großer re¬
aktionärer Punkt. Wenn in Preußen das Aufleben der ständischen
Macht mit Freuden begrüßt zu werden alles Recht hatte, theils weil
es an und für sich schon ein Fortschritt war, theils weil es allmälig die
Bahn ebnet zu einer umfassenderen Rcichsvertretung; so darf man dabei
nicht die besonders günstige Lage der preußischen Verhältnisse vergessen.
Durch die Gesetzgebung von 4807--t814 ist dort das Feudalsystem
in seinen Grundfesten erschüttert, ja vernichtet worden; der preußische
Staat hatte eine ganz veränderte sociale Basis erhalten; das Grund¬
eigenthum ist von seinen Fesseln befreit und dein freien Verkehr über¬
geben , die Besitzungen der Bauern sind freies Eigenthum geworden;
die Städte, zum Theil auch das flache Land, haben eine tüchtige Eom-
munalordnung erhalten; die Patrimonialgerichtsbarkeit und der eri-
mirte Gerichtsstand sind, wenn auch nicht ganz, doch zum Theil ver¬
schwunden; in den ständischen Versammlungen ist daher nicht zu fürch¬
ten, daß der ohnehin nicht besonders reiche preußische Apel der Ent¬
wickelung eines freien Bürgerthums bedeutende Hemmungen in den
Weg legen könne. Anders ist es bei uns. Hier steht der Adel noch
im Besitze aller seiner Privilegien und Macht, wie in alten Jahrhun¬
derten. Allerdings hat die Regierung von Maria Theresia bis jetzt
Manches versucht, um den Bürgerstand zu heben und die gefährliche
Adelsmacht allmälig zu paralvsiren. Die Intention war gut, aber
die Energie fehlte hier, wie überall bei uns, und nach hundertjähri¬
gem Bestreben ist man nicht zum vierten Theil so weit gekommen,
wie in Preußen in wenigen Jahren. Ja, in den letzten Monaten scheint
man sogar in diesen Bestrebungen einen Schritt zurück gemacht zu
haben. Die Folgen des famosen Buches: "Oesterreich und seine Zu¬
kunft," zeigen sich jetzt erst. Der liberale, reformatorische Zuckerauf¬
guß, mit welchem jenes Buch seine Mandeln zu versüßen wußte, hat
die deutsche Presse verführt; sie hat des Pudels Kern nicht erkannt, die
aristokratischen Reactionsprincipien, die darin gepredigt wurden, über¬
sehen. Aber die Auserwählten, die Aristokratie haben das Stichwort


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kommen heißen, was nur das flockige Blut und die Indifferenz unseres
Staatslebens durch einander rüttelt. Auf diese Weise haben wir die Sprach¬
kämpfe der Slaven auch von solchen Seiten aufmuntern sehen, die als
Deutsche dem Endziel dieser Bewegung feindselig gegenüberstehen müssen.
Für diele Männer des mouvement it tout prix ist die drohende und
hegemonische Stellung, welche die Ezechen bereits bei uns gegenüber
dem deutschen Elemente eingenommen, eine bedeutende Warnung. Ein
zweites Element der Bewegung, welches wir gleichfalls in deutschen
Blättern applaudirt sehen, ist die wiedererwachende Lebensthätigkeit un¬
serer Stände. Ohne blind zu sein gegen die Vortheile, die eine bes¬
sere ständische Repräsentation uns nach verschiedenen Seiten hin brin¬
gen könnte, ist doch in der erclusiven Art und Weise, wie sich diese
Repräsentation neuerdings wieder geltend machen will, ein großer re¬
aktionärer Punkt. Wenn in Preußen das Aufleben der ständischen
Macht mit Freuden begrüßt zu werden alles Recht hatte, theils weil
es an und für sich schon ein Fortschritt war, theils weil es allmälig die
Bahn ebnet zu einer umfassenderen Rcichsvertretung; so darf man dabei
nicht die besonders günstige Lage der preußischen Verhältnisse vergessen.
Durch die Gesetzgebung von 4807—t814 ist dort das Feudalsystem
in seinen Grundfesten erschüttert, ja vernichtet worden; der preußische
Staat hatte eine ganz veränderte sociale Basis erhalten; das Grund¬
eigenthum ist von seinen Fesseln befreit und dein freien Verkehr über¬
geben , die Besitzungen der Bauern sind freies Eigenthum geworden;
die Städte, zum Theil auch das flache Land, haben eine tüchtige Eom-
munalordnung erhalten; die Patrimonialgerichtsbarkeit und der eri-
mirte Gerichtsstand sind, wenn auch nicht ganz, doch zum Theil ver¬
schwunden; in den ständischen Versammlungen ist daher nicht zu fürch¬
ten, daß der ohnehin nicht besonders reiche preußische Apel der Ent¬
wickelung eines freien Bürgerthums bedeutende Hemmungen in den
Weg legen könne. Anders ist es bei uns. Hier steht der Adel noch
im Besitze aller seiner Privilegien und Macht, wie in alten Jahrhun¬
derten. Allerdings hat die Regierung von Maria Theresia bis jetzt
Manches versucht, um den Bürgerstand zu heben und die gefährliche
Adelsmacht allmälig zu paralvsiren. Die Intention war gut, aber
die Energie fehlte hier, wie überall bei uns, und nach hundertjähri¬
gem Bestreben ist man nicht zum vierten Theil so weit gekommen,
wie in Preußen in wenigen Jahren. Ja, in den letzten Monaten scheint
man sogar in diesen Bestrebungen einen Schritt zurück gemacht zu
haben. Die Folgen des famosen Buches: „Oesterreich und seine Zu¬
kunft," zeigen sich jetzt erst. Der liberale, reformatorische Zuckerauf¬
guß, mit welchem jenes Buch seine Mandeln zu versüßen wußte, hat
die deutsche Presse verführt; sie hat des Pudels Kern nicht erkannt, die
aristokratischen Reactionsprincipien, die darin gepredigt wurden, über¬
sehen. Aber die Auserwählten, die Aristokratie haben das Stichwort


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/587>, abgerufen am 09.05.2024.