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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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i.
Das Berliner Hoftheater.

Unter dem verstorbenen Könige war es bekanntlich das Ballet,
welches sich vorzugsweise eines hohen Aufschwungs rühmen konnte. Es
war eine der kleinen und harmlosen Vergnügungen des Hochseligen,
die er ungern selbst an Orten, wo es kaum der Aufenthalt gestattete,
vermissen wollte. Auf den Privatbühnen im Palais und in Potsdam
waren die Tänzerinnen die Königinnen des Tages oder vielmehr der
Nacht, und selbst in den großen Proben des Opernhauses wurde ihnen
nicht selten die Ehre des Besuches des gekrönten Kenners zu Theil.
Es muß einen eignen Anblick gewahrt haben, den alten Herrn dann mit
seinem treuen Begleiter, dem General von Witzleben, wie er gewöhnlich
pflegte, die Beine der leichten Amouretten studiren zu sehen. Erwarben sie
sich seine besondere Zufriedenheit, so ward ihnen wohl auch eine besondere
Ehre noch zugedacht. Der Kastellan des königlichen Palais war ein alter
Biedermann, Namens Timm, der vortreffliche Weine und die ausgesuch¬
testen Leckerbissen auf seiner Tafel führte. Dieser Herr Timm lud
dann zuweilen einzelne der Kleinen auf den Abend zu sich ein. Da
man wußte, was diese Auszeichnung zu bedeuten hatte, so war die¬
selbe stets ein Gegenstand des ehrgeizigen Neides. Saßen sie nun in
bester Stimmung bei Papa Timm, so öffnete sich plötzlich die Thür,
und ein Aufall führte den König herein. Der freundliche alte Herr
wollte durchaus nicht stören, und gewöhnlich blieb er bis nach Mit¬
ternacht in dem aufgeräumten Kreise. Diese beschaulichen Zeiten sind
vorbei und die Epoche des neuen Regiments ist auch in der Theater¬
chronik verzeichnet. Die Toga des Sophokles hat die Tricots verdrängt.
Man erzählt, der damalige Kronprinz habe eines schönen Tages


Grenjbotcn 18is. II. 9
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i.
Das Berliner Hoftheater.

Unter dem verstorbenen Könige war es bekanntlich das Ballet,
welches sich vorzugsweise eines hohen Aufschwungs rühmen konnte. Es
war eine der kleinen und harmlosen Vergnügungen des Hochseligen,
die er ungern selbst an Orten, wo es kaum der Aufenthalt gestattete,
vermissen wollte. Auf den Privatbühnen im Palais und in Potsdam
waren die Tänzerinnen die Königinnen des Tages oder vielmehr der
Nacht, und selbst in den großen Proben des Opernhauses wurde ihnen
nicht selten die Ehre des Besuches des gekrönten Kenners zu Theil.
Es muß einen eignen Anblick gewahrt haben, den alten Herrn dann mit
seinem treuen Begleiter, dem General von Witzleben, wie er gewöhnlich
pflegte, die Beine der leichten Amouretten studiren zu sehen. Erwarben sie
sich seine besondere Zufriedenheit, so ward ihnen wohl auch eine besondere
Ehre noch zugedacht. Der Kastellan des königlichen Palais war ein alter
Biedermann, Namens Timm, der vortreffliche Weine und die ausgesuch¬
testen Leckerbissen auf seiner Tafel führte. Dieser Herr Timm lud
dann zuweilen einzelne der Kleinen auf den Abend zu sich ein. Da
man wußte, was diese Auszeichnung zu bedeuten hatte, so war die¬
selbe stets ein Gegenstand des ehrgeizigen Neides. Saßen sie nun in
bester Stimmung bei Papa Timm, so öffnete sich plötzlich die Thür,
und ein Aufall führte den König herein. Der freundliche alte Herr
wollte durchaus nicht stören, und gewöhnlich blieb er bis nach Mit¬
ternacht in dem aufgeräumten Kreise. Diese beschaulichen Zeiten sind
vorbei und die Epoche des neuen Regiments ist auch in der Theater¬
chronik verzeichnet. Die Toga des Sophokles hat die Tricots verdrängt.
Man erzählt, der damalige Kronprinz habe eines schönen Tages


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/73>, abgerufen am 27.04.2024.