Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

um sich zu versammeln sucht, der zwar nicht wie der alte Bourbo-
nische Lilienadel seine Stammbäume und Adelsbriefe bis zu den Kreuz-
zügen gegen die Saracenen zurückführt, sondern jene Geldaristokratie,
deren Lettre de Noblesse aus einer großen Masse von Actien besteht,
und deren Kreuzzüge auf den Eisenlinien von Paris nach Straßburg,
nach Valenciennes, ausgeführt werden.

Wie in der Politik, so hat das Wiedereintreten des englischen
Toryministeriums auch in der hiesigen Socierat Nachklänge gefunden,
Bei der ersten Nachricht von dem ersten Abtreten Robert Peel's und
dem Eintritt der Whigs hat der hiesige englische Gesandte, Lord Coo-
ley, Abschiedsbesuche gemacht und in seinem Hotel die Sachen ein¬
packen lassen. Lord Eowley ist ein Bruder Wellingtons und fand es
natürlich, daß er diesem folgen müsse, da er sich zurückzog. Die hiesige
Societät, namentlich die Engländer, sahen dies sehr ungerne, da das
splendide und brillante Haus des Gesandten ein beliebter Mittelpunkt
ist, wahrend man als seinen Nachfolger, Lord Beauvalc, bisher Ge¬
sandte" in Wien, bezeichnete, einen alten Herrn, bei dem man eben
nicht auf große weltliche Freuden rechnen könne, und der überdies mit
einer Oesterreicherin verheirathet ist, welche die englische und franzö¬
sische Welt wahrscheinlich nicht gründlich studirt hat. Plötzlich hört
niam: die Torries bleiben Meister. Große Freude in der Faubourg
Se. Honore!, die Koffer werden wieder ausgepackt, die Mittwochsoircen
werden brillanter als je; der Gesandte wird mit freudigen "KaK";
Iiiuxls bestürmt und gibt in der Freude seines Herzens einen brillanten
Ball. Sie sehen was die Korngesetze für große Folgen haben. Die
Balle sind jetzt bereits vollständigst an der Abcndordnung. Einer der
prachtvollsten fand vorigen Mittwoch bei Rothschild Statt, obschon es
nur ein Kinderball war. Es scheint, daß Karl Banks Lieder eines
armen Mannes mit der versisicirten Barmherzigkeitspredigt an das
Haus Rothschild einen Eindruck hervorgebracht haben; der Millionen¬
könig rief gerührt aus: Laßt die Kleinen zu mir kommen, und gab
einen Kinderball.


I!.
Ans Wien.

Die Anwesenheit des Czaren. -- Der Tod Biragos.

Der lange vorher angekündigte und immer wieder abgesagte Kai¬
ser von Nußland langte endlich am 30. December um 8 Abends auf
dem Bahnhofe der "südeifenbahn an, wo er von dem dort zu seinem
Empfang harrenden Feldmarschalllieutenant Fürst Karl von Lichten-
stein begrüßt ward. Der Neugierigen hatten sich nur wenige einge¬
stellt, und unter diesen fanden sich einige Stimmen, welche Lcbchoch-
rufe erschallen ließen. Der Kaiser stieg im Palast der russischen Bot-


um sich zu versammeln sucht, der zwar nicht wie der alte Bourbo-
nische Lilienadel seine Stammbäume und Adelsbriefe bis zu den Kreuz-
zügen gegen die Saracenen zurückführt, sondern jene Geldaristokratie,
deren Lettre de Noblesse aus einer großen Masse von Actien besteht,
und deren Kreuzzüge auf den Eisenlinien von Paris nach Straßburg,
nach Valenciennes, ausgeführt werden.

Wie in der Politik, so hat das Wiedereintreten des englischen
Toryministeriums auch in der hiesigen Socierat Nachklänge gefunden,
Bei der ersten Nachricht von dem ersten Abtreten Robert Peel's und
dem Eintritt der Whigs hat der hiesige englische Gesandte, Lord Coo-
ley, Abschiedsbesuche gemacht und in seinem Hotel die Sachen ein¬
packen lassen. Lord Eowley ist ein Bruder Wellingtons und fand es
natürlich, daß er diesem folgen müsse, da er sich zurückzog. Die hiesige
Societät, namentlich die Engländer, sahen dies sehr ungerne, da das
splendide und brillante Haus des Gesandten ein beliebter Mittelpunkt
ist, wahrend man als seinen Nachfolger, Lord Beauvalc, bisher Ge¬
sandte» in Wien, bezeichnete, einen alten Herrn, bei dem man eben
nicht auf große weltliche Freuden rechnen könne, und der überdies mit
einer Oesterreicherin verheirathet ist, welche die englische und franzö¬
sische Welt wahrscheinlich nicht gründlich studirt hat. Plötzlich hört
niam: die Torries bleiben Meister. Große Freude in der Faubourg
Se. Honore!, die Koffer werden wieder ausgepackt, die Mittwochsoircen
werden brillanter als je; der Gesandte wird mit freudigen «KaK«;
Iiiuxls bestürmt und gibt in der Freude seines Herzens einen brillanten
Ball. Sie sehen was die Korngesetze für große Folgen haben. Die
Balle sind jetzt bereits vollständigst an der Abcndordnung. Einer der
prachtvollsten fand vorigen Mittwoch bei Rothschild Statt, obschon es
nur ein Kinderball war. Es scheint, daß Karl Banks Lieder eines
armen Mannes mit der versisicirten Barmherzigkeitspredigt an das
Haus Rothschild einen Eindruck hervorgebracht haben; der Millionen¬
könig rief gerührt aus: Laßt die Kleinen zu mir kommen, und gab
einen Kinderball.


I!.
Ans Wien.

Die Anwesenheit des Czaren. — Der Tod Biragos.

Der lange vorher angekündigte und immer wieder abgesagte Kai¬
ser von Nußland langte endlich am 30. December um 8 Abends auf
dem Bahnhofe der «südeifenbahn an, wo er von dem dort zu seinem
Empfang harrenden Feldmarschalllieutenant Fürst Karl von Lichten-
stein begrüßt ward. Der Neugierigen hatten sich nur wenige einge¬
stellt, und unter diesen fanden sich einige Stimmen, welche Lcbchoch-
rufe erschallen ließen. Der Kaiser stieg im Palast der russischen Bot-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181943"/>
            <p xml:id="ID_266" prev="#ID_265"> um sich zu versammeln sucht, der zwar nicht wie der alte Bourbo-<lb/>
nische Lilienadel seine Stammbäume und Adelsbriefe bis zu den Kreuz-<lb/>
zügen gegen die Saracenen zurückführt, sondern jene Geldaristokratie,<lb/>
deren Lettre de Noblesse aus einer großen Masse von Actien besteht,<lb/>
und deren Kreuzzüge auf den Eisenlinien von Paris nach Straßburg,<lb/>
nach Valenciennes, ausgeführt werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_267"> Wie in der Politik, so hat das Wiedereintreten des englischen<lb/>
Toryministeriums auch in der hiesigen Socierat Nachklänge gefunden,<lb/>
Bei der ersten Nachricht von dem ersten Abtreten Robert Peel's und<lb/>
dem Eintritt der Whigs hat der hiesige englische Gesandte, Lord Coo-<lb/>
ley, Abschiedsbesuche gemacht und in seinem Hotel die Sachen ein¬<lb/>
packen lassen. Lord Eowley ist ein Bruder Wellingtons und fand es<lb/>
natürlich, daß er diesem folgen müsse, da er sich zurückzog. Die hiesige<lb/>
Societät, namentlich die Engländer, sahen dies sehr ungerne, da das<lb/>
splendide und brillante Haus des Gesandten ein beliebter Mittelpunkt<lb/>
ist, wahrend man als seinen Nachfolger, Lord Beauvalc, bisher Ge¬<lb/>
sandte» in Wien, bezeichnete, einen alten Herrn, bei dem man eben<lb/>
nicht auf große weltliche Freuden rechnen könne, und der überdies mit<lb/>
einer Oesterreicherin verheirathet ist, welche die englische und franzö¬<lb/>
sische Welt wahrscheinlich nicht gründlich studirt hat. Plötzlich hört<lb/>
niam: die Torries bleiben Meister. Große Freude in der Faubourg<lb/>
Se. Honore!, die Koffer werden wieder ausgepackt, die Mittwochsoircen<lb/>
werden brillanter als je; der Gesandte wird mit freudigen «KaK«;<lb/>
Iiiuxls bestürmt und gibt in der Freude seines Herzens einen brillanten<lb/>
Ball. Sie sehen was die Korngesetze für große Folgen haben. Die<lb/>
Balle sind jetzt bereits vollständigst an der Abcndordnung. Einer der<lb/>
prachtvollsten fand vorigen Mittwoch bei Rothschild Statt, obschon es<lb/>
nur ein Kinderball war. Es scheint, daß Karl Banks Lieder eines<lb/>
armen Mannes mit der versisicirten Barmherzigkeitspredigt an das<lb/>
Haus Rothschild einen Eindruck hervorgebracht haben; der Millionen¬<lb/>
könig rief gerührt aus: Laßt die Kleinen zu mir kommen, und gab<lb/>
einen Kinderball.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> I!.<lb/>
Ans Wien.</head><lb/>
            <note type="argument"> Die Anwesenheit des Czaren. &#x2014; Der Tod Biragos.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_268" next="#ID_269"> Der lange vorher angekündigte und immer wieder abgesagte Kai¬<lb/>
ser von Nußland langte endlich am 30. December um 8 Abends auf<lb/>
dem Bahnhofe der «südeifenbahn an, wo er von dem dort zu seinem<lb/>
Empfang harrenden Feldmarschalllieutenant Fürst Karl von Lichten-<lb/>
stein begrüßt ward. Der Neugierigen hatten sich nur wenige einge¬<lb/>
stellt, und unter diesen fanden sich einige Stimmen, welche Lcbchoch-<lb/>
rufe erschallen ließen.  Der Kaiser stieg im Palast der russischen Bot-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] um sich zu versammeln sucht, der zwar nicht wie der alte Bourbo- nische Lilienadel seine Stammbäume und Adelsbriefe bis zu den Kreuz- zügen gegen die Saracenen zurückführt, sondern jene Geldaristokratie, deren Lettre de Noblesse aus einer großen Masse von Actien besteht, und deren Kreuzzüge auf den Eisenlinien von Paris nach Straßburg, nach Valenciennes, ausgeführt werden. Wie in der Politik, so hat das Wiedereintreten des englischen Toryministeriums auch in der hiesigen Socierat Nachklänge gefunden, Bei der ersten Nachricht von dem ersten Abtreten Robert Peel's und dem Eintritt der Whigs hat der hiesige englische Gesandte, Lord Coo- ley, Abschiedsbesuche gemacht und in seinem Hotel die Sachen ein¬ packen lassen. Lord Eowley ist ein Bruder Wellingtons und fand es natürlich, daß er diesem folgen müsse, da er sich zurückzog. Die hiesige Societät, namentlich die Engländer, sahen dies sehr ungerne, da das splendide und brillante Haus des Gesandten ein beliebter Mittelpunkt ist, wahrend man als seinen Nachfolger, Lord Beauvalc, bisher Ge¬ sandte» in Wien, bezeichnete, einen alten Herrn, bei dem man eben nicht auf große weltliche Freuden rechnen könne, und der überdies mit einer Oesterreicherin verheirathet ist, welche die englische und franzö¬ sische Welt wahrscheinlich nicht gründlich studirt hat. Plötzlich hört niam: die Torries bleiben Meister. Große Freude in der Faubourg Se. Honore!, die Koffer werden wieder ausgepackt, die Mittwochsoircen werden brillanter als je; der Gesandte wird mit freudigen «KaK«; Iiiuxls bestürmt und gibt in der Freude seines Herzens einen brillanten Ball. Sie sehen was die Korngesetze für große Folgen haben. Die Balle sind jetzt bereits vollständigst an der Abcndordnung. Einer der prachtvollsten fand vorigen Mittwoch bei Rothschild Statt, obschon es nur ein Kinderball war. Es scheint, daß Karl Banks Lieder eines armen Mannes mit der versisicirten Barmherzigkeitspredigt an das Haus Rothschild einen Eindruck hervorgebracht haben; der Millionen¬ könig rief gerührt aus: Laßt die Kleinen zu mir kommen, und gab einen Kinderball. I!. Ans Wien. Die Anwesenheit des Czaren. — Der Tod Biragos. Der lange vorher angekündigte und immer wieder abgesagte Kai¬ ser von Nußland langte endlich am 30. December um 8 Abends auf dem Bahnhofe der «südeifenbahn an, wo er von dem dort zu seinem Empfang harrenden Feldmarschalllieutenant Fürst Karl von Lichten- stein begrüßt ward. Der Neugierigen hatten sich nur wenige einge¬ stellt, und unter diesen fanden sich einige Stimmen, welche Lcbchoch- rufe erschallen ließen. Der Kaiser stieg im Palast der russischen Bot-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/133>, abgerufen am 29.04.2024.