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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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belasten und unfruchtbaren Träumen des Communismus mir Eclat
lossagt. Aber die Art, wie dieß geschieht, ist unedel, roh, ja persid.
Rüge lebte bis zum letzten Augenblicke mit dem "communistischen
Rabbi", Dr. Heß, im Freundschaftsverhältnisse, wenigstens in einem
anscheinenden, er reiste mit ihm, war sein Stubengenosse, ließ sich von
ihm hier bei allen seinen literarischen Bekannten einführen. Er titu-
lirt Heß in einem Briefe den er selbst mittheilt: "Mein edler Freund!" Die¬
ser Heß ist ein Jdeolog, aber er meint es wenigstens ehrlich mit der Sache,
der er so unglücklich ist sich hinzugeben. Es ist ein ehrlicher, vorwurfs¬
freier Charakter, der, so lange er hier lebte, wenn auch nicht die Zu¬
stimmung, doch die Achtung Aller die ihn kannten, sich erworben hat.
! Seit wann aber ist es Sitte, daß ein Freund seinen "edlen Freund"
öffentlich so verhöhnt? Seit wann ist es Sitte, daß man von Brie¬
fen, die mit "Mein edler Freund" beginnen, im Voraus eine Abschrift
sich zurückbehält um sie eines Tages zu veröffentlichen? Dieß ist ein
unwürdiges Spiel, das ein trübes Licht auf das Herz des hallischen
Propheten wirst.

Die Kammern sind in voller Thätigkeit, und da in England das
Toryministcrium am Nuder geblieben ist, so hat auch die franzö¬
sische Opposition ihre Hoffnungen verloren. Guizot hat -- wie Sie
längst aus den Tageblättern wissen -- die Session mit einer Majori¬
tät von bis 70 Stimmen angetreten. Allgemein ist die ruhige
Stille aufgefallen, mit welcher diesmal die Kammern eröffnet wur¬
den. Kaum daß man sich im Publicum um diese politische Feierlich¬
keit gekümmert hat. Es ist, als waren die Springfedern der Neprä-
sentativrcgierung rostig geworden. Die Juliregierung hat in diesen
fünfzehn Jahren den geschichtlichen Gang Frankreichs, seit seiner großen
Revolution, im Kleinen abgespiegelt. Die erste Periode bildete die
Opposition der Republikaner; der revolutionäre Geist der Julitage
schäumte und vibrirte noch einige Jahre fort. Aber die Straßen-
emeuten und die Attentate gegen Louis Philipp reiheren um die Re¬
gierung eine Phalanx von Eonservativen, die sie zwar nicht liebte
aber desto mehr vor den Gegnern sich ängstigte, weil sie in einem
neuen Umsturz Vermögen und andere Interessen einzubüßen fürchtete.
Nachdem die Republikaner besiegt waren, tauchte eine Art napoleonische
Opposition auf. In dieser zweiten Periode war von Nichts, als von
dem "perfiden Albion" die Rede; der alte Haß aus der Kaiserzeit
wurde herauf beschworen, und der kleine Eorporal Thiers ritt auf ei¬
nem großen Schlachtroß mit fliegenden Phrasen voran und legte seine
Lanze gegen die englische Allianz und die ^utontu c"ix1iii,I<z ein. Al¬
lein auch diese Art Opposition ist mit dem vorigen Jahre ermattet,
und nun scheint die Negierung in ihre dritte Restaurationsepoche zu
treten, wo sie, sicher des Schutzes und der Allianz mit den fremden
Mächten, nur auf Stärkung ihrer Macht bedacht ist und einen Adel


belasten und unfruchtbaren Träumen des Communismus mir Eclat
lossagt. Aber die Art, wie dieß geschieht, ist unedel, roh, ja persid.
Rüge lebte bis zum letzten Augenblicke mit dem „communistischen
Rabbi", Dr. Heß, im Freundschaftsverhältnisse, wenigstens in einem
anscheinenden, er reiste mit ihm, war sein Stubengenosse, ließ sich von
ihm hier bei allen seinen literarischen Bekannten einführen. Er titu-
lirt Heß in einem Briefe den er selbst mittheilt: „Mein edler Freund!" Die¬
ser Heß ist ein Jdeolog, aber er meint es wenigstens ehrlich mit der Sache,
der er so unglücklich ist sich hinzugeben. Es ist ein ehrlicher, vorwurfs¬
freier Charakter, der, so lange er hier lebte, wenn auch nicht die Zu¬
stimmung, doch die Achtung Aller die ihn kannten, sich erworben hat.
! Seit wann aber ist es Sitte, daß ein Freund seinen „edlen Freund"
öffentlich so verhöhnt? Seit wann ist es Sitte, daß man von Brie¬
fen, die mit „Mein edler Freund" beginnen, im Voraus eine Abschrift
sich zurückbehält um sie eines Tages zu veröffentlichen? Dieß ist ein
unwürdiges Spiel, das ein trübes Licht auf das Herz des hallischen
Propheten wirst.

Die Kammern sind in voller Thätigkeit, und da in England das
Toryministcrium am Nuder geblieben ist, so hat auch die franzö¬
sische Opposition ihre Hoffnungen verloren. Guizot hat — wie Sie
längst aus den Tageblättern wissen — die Session mit einer Majori¬
tät von bis 70 Stimmen angetreten. Allgemein ist die ruhige
Stille aufgefallen, mit welcher diesmal die Kammern eröffnet wur¬
den. Kaum daß man sich im Publicum um diese politische Feierlich¬
keit gekümmert hat. Es ist, als waren die Springfedern der Neprä-
sentativrcgierung rostig geworden. Die Juliregierung hat in diesen
fünfzehn Jahren den geschichtlichen Gang Frankreichs, seit seiner großen
Revolution, im Kleinen abgespiegelt. Die erste Periode bildete die
Opposition der Republikaner; der revolutionäre Geist der Julitage
schäumte und vibrirte noch einige Jahre fort. Aber die Straßen-
emeuten und die Attentate gegen Louis Philipp reiheren um die Re¬
gierung eine Phalanx von Eonservativen, die sie zwar nicht liebte
aber desto mehr vor den Gegnern sich ängstigte, weil sie in einem
neuen Umsturz Vermögen und andere Interessen einzubüßen fürchtete.
Nachdem die Republikaner besiegt waren, tauchte eine Art napoleonische
Opposition auf. In dieser zweiten Periode war von Nichts, als von
dem „perfiden Albion" die Rede; der alte Haß aus der Kaiserzeit
wurde herauf beschworen, und der kleine Eorporal Thiers ritt auf ei¬
nem großen Schlachtroß mit fliegenden Phrasen voran und legte seine
Lanze gegen die englische Allianz und die ^utontu c»ix1iii,I<z ein. Al¬
lein auch diese Art Opposition ist mit dem vorigen Jahre ermattet,
und nun scheint die Negierung in ihre dritte Restaurationsepoche zu
treten, wo sie, sicher des Schutzes und der Allianz mit den fremden
Mächten, nur auf Stärkung ihrer Macht bedacht ist und einen Adel


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[0132] belasten und unfruchtbaren Träumen des Communismus mir Eclat lossagt. Aber die Art, wie dieß geschieht, ist unedel, roh, ja persid. Rüge lebte bis zum letzten Augenblicke mit dem „communistischen Rabbi", Dr. Heß, im Freundschaftsverhältnisse, wenigstens in einem anscheinenden, er reiste mit ihm, war sein Stubengenosse, ließ sich von ihm hier bei allen seinen literarischen Bekannten einführen. Er titu- lirt Heß in einem Briefe den er selbst mittheilt: „Mein edler Freund!" Die¬ ser Heß ist ein Jdeolog, aber er meint es wenigstens ehrlich mit der Sache, der er so unglücklich ist sich hinzugeben. Es ist ein ehrlicher, vorwurfs¬ freier Charakter, der, so lange er hier lebte, wenn auch nicht die Zu¬ stimmung, doch die Achtung Aller die ihn kannten, sich erworben hat. ! Seit wann aber ist es Sitte, daß ein Freund seinen „edlen Freund" öffentlich so verhöhnt? Seit wann ist es Sitte, daß man von Brie¬ fen, die mit „Mein edler Freund" beginnen, im Voraus eine Abschrift sich zurückbehält um sie eines Tages zu veröffentlichen? Dieß ist ein unwürdiges Spiel, das ein trübes Licht auf das Herz des hallischen Propheten wirst. Die Kammern sind in voller Thätigkeit, und da in England das Toryministcrium am Nuder geblieben ist, so hat auch die franzö¬ sische Opposition ihre Hoffnungen verloren. Guizot hat — wie Sie längst aus den Tageblättern wissen — die Session mit einer Majori¬ tät von bis 70 Stimmen angetreten. Allgemein ist die ruhige Stille aufgefallen, mit welcher diesmal die Kammern eröffnet wur¬ den. Kaum daß man sich im Publicum um diese politische Feierlich¬ keit gekümmert hat. Es ist, als waren die Springfedern der Neprä- sentativrcgierung rostig geworden. Die Juliregierung hat in diesen fünfzehn Jahren den geschichtlichen Gang Frankreichs, seit seiner großen Revolution, im Kleinen abgespiegelt. Die erste Periode bildete die Opposition der Republikaner; der revolutionäre Geist der Julitage schäumte und vibrirte noch einige Jahre fort. Aber die Straßen- emeuten und die Attentate gegen Louis Philipp reiheren um die Re¬ gierung eine Phalanx von Eonservativen, die sie zwar nicht liebte aber desto mehr vor den Gegnern sich ängstigte, weil sie in einem neuen Umsturz Vermögen und andere Interessen einzubüßen fürchtete. Nachdem die Republikaner besiegt waren, tauchte eine Art napoleonische Opposition auf. In dieser zweiten Periode war von Nichts, als von dem „perfiden Albion" die Rede; der alte Haß aus der Kaiserzeit wurde herauf beschworen, und der kleine Eorporal Thiers ritt auf ei¬ nem großen Schlachtroß mit fliegenden Phrasen voran und legte seine Lanze gegen die englische Allianz und die ^utontu c»ix1iii,I<z ein. Al¬ lein auch diese Art Opposition ist mit dem vorigen Jahre ermattet, und nun scheint die Negierung in ihre dritte Restaurationsepoche zu treten, wo sie, sicher des Schutzes und der Allianz mit den fremden Mächten, nur auf Stärkung ihrer Macht bedacht ist und einen Adel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/132>, abgerufen am 14.05.2024.