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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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werden stets unartiger, ungebärdiger, so wird der Hader immer er¬
hitzter, und endlich wird es doch zu Streichen kommen müssen.

Um den permanenten ständischen Ausschuß, der die laufen¬
den Geschäfte besorgt, aus unabhängigen Ständeglicdern zu formiren,
ward früherhin schon beschlossen, keine angestellten Regierungsbeamten
mehr in den Ausschuß zu wählen, was früher beinahe Regel gewe¬
sen: diesem Beschlusse treu wählte der Ritterstand jüngst einen Ver->
orderen, der als unbesoldetcr Secretair bei der Landesregierung ange¬
stellt gewesen, sich jedoch bei dem Wahlacte verpflichtet hatte, dieses
Amt unbedingt niederzulegen. -- Der Gewählte hielt Wort, die Re¬
gierung genehmigte die Wahl, ignorite aber die Resignation und er¬
nannte den gewählten Verordneten zum Gubernialrathe, gewissermas-
sen in pkNiliii" inluielinm und fügte bei, seine Verwendung bei
ständischen Ausschusse sei ihm als Staatsdienst anzurechnen, und
der Herr Verordnete könne beliebig in die Dienstleistung bei der
Landesregierung zurücktreten. So sind denn Herren Stände um ei¬
nen independenter Verordneten gebracht, und der gute Mann ist zu
Amt und Würden gekommen, aus höheren Staatsrücksichten.

Ohne Zweifel wird die nächste Versammlung darauf bestehen,
daß der Herr Gewählte wieder abtrete, ein neuer Jndependenter muß
gewählt werden, und so geht denn dieser kleine Krieg fort, zur Erhei¬
terung des Publicums, und die Dinge, die allgemeine Misere bleibt
beim Alten, trotz der Lobhudeleien, die unserem Fortschritte gespendet
werden. Wie fortschrittsunsähig wir sind, -- was wohl schon an
der Luft liegen muß -- beweisen die Staatslocomotiven: selbst die ge¬
hen fein langsam.


V.
Aus Venedig.

Der Besuch des Kaisers von Rußland. -- Getäuschte Erwartungen. -- Jo¬
hanna d'Arc, von Verdi. -- Die Taubensiitterung. -- Das Arsenal. -- Die
Verwandlung Venedigs. --

Der Aufenthalt des russischen Monarchen und die Erderschütte¬
rungen, welche hauptsächlich von den nördlichsten Inselgruppen unserer
Stadt und den Hafendämmen empfunden wurden, bilden gegenwärtig
den Inhalt des allgemeinen Gespräches. Die Ankunft des nordischen
Kaisers verbreitete in allen Kreisen des hiesigen Lebens eine auffallende
Regsamkeit, die hier um so leichter bemerkbar wird, als das hiesige
Treiben der alten Venecia äußerst still und melancholisch ist. Außer
dem jugendlichen Kronprinzen von Würtemberg, dessen Sendung man
eine versöhnende Tendenz zuschreibt, brachte uns dieses lang vorher
besprochene Ereigniß auch den Vicekömg mit dessen ganzer Familie,


werden stets unartiger, ungebärdiger, so wird der Hader immer er¬
hitzter, und endlich wird es doch zu Streichen kommen müssen.

Um den permanenten ständischen Ausschuß, der die laufen¬
den Geschäfte besorgt, aus unabhängigen Ständeglicdern zu formiren,
ward früherhin schon beschlossen, keine angestellten Regierungsbeamten
mehr in den Ausschuß zu wählen, was früher beinahe Regel gewe¬
sen: diesem Beschlusse treu wählte der Ritterstand jüngst einen Ver->
orderen, der als unbesoldetcr Secretair bei der Landesregierung ange¬
stellt gewesen, sich jedoch bei dem Wahlacte verpflichtet hatte, dieses
Amt unbedingt niederzulegen. — Der Gewählte hielt Wort, die Re¬
gierung genehmigte die Wahl, ignorite aber die Resignation und er¬
nannte den gewählten Verordneten zum Gubernialrathe, gewissermas-
sen in pkNiliii» inluielinm und fügte bei, seine Verwendung bei
ständischen Ausschusse sei ihm als Staatsdienst anzurechnen, und
der Herr Verordnete könne beliebig in die Dienstleistung bei der
Landesregierung zurücktreten. So sind denn Herren Stände um ei¬
nen independenter Verordneten gebracht, und der gute Mann ist zu
Amt und Würden gekommen, aus höheren Staatsrücksichten.

Ohne Zweifel wird die nächste Versammlung darauf bestehen,
daß der Herr Gewählte wieder abtrete, ein neuer Jndependenter muß
gewählt werden, und so geht denn dieser kleine Krieg fort, zur Erhei¬
terung des Publicums, und die Dinge, die allgemeine Misere bleibt
beim Alten, trotz der Lobhudeleien, die unserem Fortschritte gespendet
werden. Wie fortschrittsunsähig wir sind, — was wohl schon an
der Luft liegen muß — beweisen die Staatslocomotiven: selbst die ge¬
hen fein langsam.


V.
Aus Venedig.

Der Besuch des Kaisers von Rußland. — Getäuschte Erwartungen. — Jo¬
hanna d'Arc, von Verdi. — Die Taubensiitterung. — Das Arsenal. — Die
Verwandlung Venedigs. —

Der Aufenthalt des russischen Monarchen und die Erderschütte¬
rungen, welche hauptsächlich von den nördlichsten Inselgruppen unserer
Stadt und den Hafendämmen empfunden wurden, bilden gegenwärtig
den Inhalt des allgemeinen Gespräches. Die Ankunft des nordischen
Kaisers verbreitete in allen Kreisen des hiesigen Lebens eine auffallende
Regsamkeit, die hier um so leichter bemerkbar wird, als das hiesige
Treiben der alten Venecia äußerst still und melancholisch ist. Außer
dem jugendlichen Kronprinzen von Würtemberg, dessen Sendung man
eine versöhnende Tendenz zuschreibt, brachte uns dieses lang vorher
besprochene Ereigniß auch den Vicekömg mit dessen ganzer Familie,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/141>, abgerufen am 29.04.2024.