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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Interessante, und es unterhielt mich, zuzuhören, wie der alte, dicke,
unbeholfene, leider sehr kranke Mann vom "rhythmischen Tanze" und
von der "Tarantella in Worten" sprach, und wie er endlich ganz
"tupof.latus war, da ich ihm nach seinem langen Panegvricus der Ter¬
zinen ganz trocken erklärte, ich halte diese Form, trotz Platen und
Chamisso, doch immer für eine Zwangsjacke der deutschen Sprache,
oder wenigstens doch für ein Kleid, das ihr immer so stehen müsse,
als wäre es nicht für sie gemacht; und wie ich meine Meinung eines
Weiteren ervonirte, machte der gute Greis ein Gesicht, als hatte ich
ihm ein liebes Götterbild gestürzt. Trotzdem citirte er mir manchen
eigenen Vers, und da klangen die Reime, Assonanzen und Onoma-
topaien so bunt unter einander, wie hunderttausend kleine Glöckchen
und Schellen, daß man das verständige Wort kaum hören konnte.
Wunderbar! wahrend er so recitirte, erinnerte ich mich unwillkürlich
an einen Sonetccncvclus, den ich vor langen, langen Jahren
einmal gelesen und an den ich seitdem nicht gedacht hatte. Es
kommt so viel Spielerei mit dem Buchstaben L, und mit den Worten
"Liebe, Lippe, Leben" vor: er mußte von Riemer sein, und wenn ich
jetzt darüber nachdenke, so ist er es auch wirklich Seit Göthe giebt
es überhaupt in Weimar eine Unmasse von Sonettenverfertigern.
Riemer ist der geschickteste und steht an ihrer Spitze. Doch ich will
ihm nichts Böses nachreden, und das müßte ich doch, wenn ich lan¬
ger von seinen Sonetten sprechen wollte. Der alte Mann hat durch
die jugendliche Heiterkeit seines Wesens, durch seine Anerkennungslust
der jungen Literatur gegenüber, durch die Art, wie er fern von aller
Pedanterie junge strebsame Geister aller Parteien besprach, den Übeln
Eindruck seines Buches, das ihn als grandiosen Pedanten erscheinen
laßt, bei mir ganz verwischt, und mich seine minutiöse Anschauung
von Poesie vergessen lassen. Er lud mich ein, ihn wieder zu besuchen,
"dann wolle er mir einige Sonette vorlesen!" Als ich von ihm
ging, mußte ich mir sagen, daß der geistreiche, liebenswürdige Schöll,
mein lieber Freund, wieder einmal mit Allem recht gehabt, was er mir
von Riemer vorausgesagt hatte; wie Schöll überhaupt der beste
Cicerone auf den Weimarischen Ruinen und der beste Kenner des
Weimarischen Epigonenthums ist. --


IX.
Notizen.

Bischof Alexander. -- Der versetzte Berg Sinai. -- Die russisch-griechische
Kirche. -- Eine Buchhändlerannonce.

Unsere Zeit ist reich an romantischen Schicksalswechseln. Cor-
vorale haben legitime Kronen getragen, und Purpurgeborene sind im
Exil gestorben. Nicht zu den wenigst interessanten Fällen gehört


Interessante, und es unterhielt mich, zuzuhören, wie der alte, dicke,
unbeholfene, leider sehr kranke Mann vom „rhythmischen Tanze" und
von der „Tarantella in Worten" sprach, und wie er endlich ganz
«tupof.latus war, da ich ihm nach seinem langen Panegvricus der Ter¬
zinen ganz trocken erklärte, ich halte diese Form, trotz Platen und
Chamisso, doch immer für eine Zwangsjacke der deutschen Sprache,
oder wenigstens doch für ein Kleid, das ihr immer so stehen müsse,
als wäre es nicht für sie gemacht; und wie ich meine Meinung eines
Weiteren ervonirte, machte der gute Greis ein Gesicht, als hatte ich
ihm ein liebes Götterbild gestürzt. Trotzdem citirte er mir manchen
eigenen Vers, und da klangen die Reime, Assonanzen und Onoma-
topaien so bunt unter einander, wie hunderttausend kleine Glöckchen
und Schellen, daß man das verständige Wort kaum hören konnte.
Wunderbar! wahrend er so recitirte, erinnerte ich mich unwillkürlich
an einen Sonetccncvclus, den ich vor langen, langen Jahren
einmal gelesen und an den ich seitdem nicht gedacht hatte. Es
kommt so viel Spielerei mit dem Buchstaben L, und mit den Worten
„Liebe, Lippe, Leben" vor: er mußte von Riemer sein, und wenn ich
jetzt darüber nachdenke, so ist er es auch wirklich Seit Göthe giebt
es überhaupt in Weimar eine Unmasse von Sonettenverfertigern.
Riemer ist der geschickteste und steht an ihrer Spitze. Doch ich will
ihm nichts Böses nachreden, und das müßte ich doch, wenn ich lan¬
ger von seinen Sonetten sprechen wollte. Der alte Mann hat durch
die jugendliche Heiterkeit seines Wesens, durch seine Anerkennungslust
der jungen Literatur gegenüber, durch die Art, wie er fern von aller
Pedanterie junge strebsame Geister aller Parteien besprach, den Übeln
Eindruck seines Buches, das ihn als grandiosen Pedanten erscheinen
laßt, bei mir ganz verwischt, und mich seine minutiöse Anschauung
von Poesie vergessen lassen. Er lud mich ein, ihn wieder zu besuchen,
„dann wolle er mir einige Sonette vorlesen!" Als ich von ihm
ging, mußte ich mir sagen, daß der geistreiche, liebenswürdige Schöll,
mein lieber Freund, wieder einmal mit Allem recht gehabt, was er mir
von Riemer vorausgesagt hatte; wie Schöll überhaupt der beste
Cicerone auf den Weimarischen Ruinen und der beste Kenner des
Weimarischen Epigonenthums ist. —


IX.
Notizen.

Bischof Alexander. — Der versetzte Berg Sinai. — Die russisch-griechische
Kirche. — Eine Buchhändlerannonce.

Unsere Zeit ist reich an romantischen Schicksalswechseln. Cor-
vorale haben legitime Kronen getragen, und Purpurgeborene sind im
Exil gestorben. Nicht zu den wenigst interessanten Fällen gehört


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[0148] Interessante, und es unterhielt mich, zuzuhören, wie der alte, dicke, unbeholfene, leider sehr kranke Mann vom „rhythmischen Tanze" und von der „Tarantella in Worten" sprach, und wie er endlich ganz «tupof.latus war, da ich ihm nach seinem langen Panegvricus der Ter¬ zinen ganz trocken erklärte, ich halte diese Form, trotz Platen und Chamisso, doch immer für eine Zwangsjacke der deutschen Sprache, oder wenigstens doch für ein Kleid, das ihr immer so stehen müsse, als wäre es nicht für sie gemacht; und wie ich meine Meinung eines Weiteren ervonirte, machte der gute Greis ein Gesicht, als hatte ich ihm ein liebes Götterbild gestürzt. Trotzdem citirte er mir manchen eigenen Vers, und da klangen die Reime, Assonanzen und Onoma- topaien so bunt unter einander, wie hunderttausend kleine Glöckchen und Schellen, daß man das verständige Wort kaum hören konnte. Wunderbar! wahrend er so recitirte, erinnerte ich mich unwillkürlich an einen Sonetccncvclus, den ich vor langen, langen Jahren einmal gelesen und an den ich seitdem nicht gedacht hatte. Es kommt so viel Spielerei mit dem Buchstaben L, und mit den Worten „Liebe, Lippe, Leben" vor: er mußte von Riemer sein, und wenn ich jetzt darüber nachdenke, so ist er es auch wirklich Seit Göthe giebt es überhaupt in Weimar eine Unmasse von Sonettenverfertigern. Riemer ist der geschickteste und steht an ihrer Spitze. Doch ich will ihm nichts Böses nachreden, und das müßte ich doch, wenn ich lan¬ ger von seinen Sonetten sprechen wollte. Der alte Mann hat durch die jugendliche Heiterkeit seines Wesens, durch seine Anerkennungslust der jungen Literatur gegenüber, durch die Art, wie er fern von aller Pedanterie junge strebsame Geister aller Parteien besprach, den Übeln Eindruck seines Buches, das ihn als grandiosen Pedanten erscheinen laßt, bei mir ganz verwischt, und mich seine minutiöse Anschauung von Poesie vergessen lassen. Er lud mich ein, ihn wieder zu besuchen, „dann wolle er mir einige Sonette vorlesen!" Als ich von ihm ging, mußte ich mir sagen, daß der geistreiche, liebenswürdige Schöll, mein lieber Freund, wieder einmal mit Allem recht gehabt, was er mir von Riemer vorausgesagt hatte; wie Schöll überhaupt der beste Cicerone auf den Weimarischen Ruinen und der beste Kenner des Weimarischen Epigonenthums ist. — IX. Notizen. Bischof Alexander. — Der versetzte Berg Sinai. — Die russisch-griechische Kirche. — Eine Buchhändlerannonce. Unsere Zeit ist reich an romantischen Schicksalswechseln. Cor- vorale haben legitime Kronen getragen, und Purpurgeborene sind im Exil gestorben. Nicht zu den wenigst interessanten Fällen gehört

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/148>, abgerufen am 28.04.2024.