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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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i.
Ein neues Lustspiel.

Eine ächt französische politische Komödie! Sie ist aber nicht
auf der Börse, nicht in der Pairs- und nicht in der Deputirtenkam-
mer, sondern, was eben das Wunderbare, auf einem wirklichen Thea¬
ter, dem Odeon oder Second Thecttre frau^ais aufgeführt worden
und hat gestern Abend halb Paris in Aufregung versetzt. Der Bei¬
fall des Publicums war eine doppelte Demonstration, er galt den
pikanten Anspielungen des Stückes auf die Gegenwart und der eigen¬
thümlichen Lage des Autors, des Herrn Felix Pyat, der nicht einmal
die Erlaubniß erhalten konnte, der ersten Aufführung seines Dramas
beizuwohnen. Sie erinnern sich, daß Pyat, wegen seiner Angriffe
auf den Hoffeuilletonisten Jules Janin, zwei Jahre zu sitzen verur¬
theilt wurde, und diese Zeit ist noch nicht um; indeß er wird den Er¬
folg von gestern Abend gehört und auch im Gefängniß gut geschlafen
haben, besser vielleicht als Jules Janin, der noch nicht weiß, was
für eine Kritik er über die neue Komödie schreiben soll.

Das Stück ist sehr, sehr französisch, denn es spielt im alten
Griechenland, und 'zwar in Athen, etwa 4ljl) Jahre vor Ehr. Geb.
Es versteht sich von selbst, daß Athen nur eine bescheidene Folie für
Paris, und daß der Held des Stückes, Diogenes, eigentlich nur ein
antiker Robert Macaire ist. Auch mit der Chronologie nimmt es der
Verfasser nicht sehr genau; die Zeit vor oder nach Perikles ist ihm ei¬
nerlei, und er hat Recht daran. Aus einer satyrischen Komödie will
man ja nicht Geschichte lernen.

Vorspiel. Wir stehen also in Athen auf einem öffentlichen
Platz. Man athmet antike Luft, die Sonne des Perikles vergoldet


T a g e b u et,.



i.
Ein neues Lustspiel.

Eine ächt französische politische Komödie! Sie ist aber nicht
auf der Börse, nicht in der Pairs- und nicht in der Deputirtenkam-
mer, sondern, was eben das Wunderbare, auf einem wirklichen Thea¬
ter, dem Odeon oder Second Thecttre frau^ais aufgeführt worden
und hat gestern Abend halb Paris in Aufregung versetzt. Der Bei¬
fall des Publicums war eine doppelte Demonstration, er galt den
pikanten Anspielungen des Stückes auf die Gegenwart und der eigen¬
thümlichen Lage des Autors, des Herrn Felix Pyat, der nicht einmal
die Erlaubniß erhalten konnte, der ersten Aufführung seines Dramas
beizuwohnen. Sie erinnern sich, daß Pyat, wegen seiner Angriffe
auf den Hoffeuilletonisten Jules Janin, zwei Jahre zu sitzen verur¬
theilt wurde, und diese Zeit ist noch nicht um; indeß er wird den Er¬
folg von gestern Abend gehört und auch im Gefängniß gut geschlafen
haben, besser vielleicht als Jules Janin, der noch nicht weiß, was
für eine Kritik er über die neue Komödie schreiben soll.

Das Stück ist sehr, sehr französisch, denn es spielt im alten
Griechenland, und 'zwar in Athen, etwa 4ljl) Jahre vor Ehr. Geb.
Es versteht sich von selbst, daß Athen nur eine bescheidene Folie für
Paris, und daß der Held des Stückes, Diogenes, eigentlich nur ein
antiker Robert Macaire ist. Auch mit der Chronologie nimmt es der
Verfasser nicht sehr genau; die Zeit vor oder nach Perikles ist ihm ei¬
nerlei, und er hat Recht daran. Aus einer satyrischen Komödie will
man ja nicht Geschichte lernen.

Vorspiel. Wir stehen also in Athen auf einem öffentlichen
Platz. Man athmet antike Luft, die Sonne des Perikles vergoldet


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[0181] T a g e b u et,. i. Ein neues Lustspiel. Eine ächt französische politische Komödie! Sie ist aber nicht auf der Börse, nicht in der Pairs- und nicht in der Deputirtenkam- mer, sondern, was eben das Wunderbare, auf einem wirklichen Thea¬ ter, dem Odeon oder Second Thecttre frau^ais aufgeführt worden und hat gestern Abend halb Paris in Aufregung versetzt. Der Bei¬ fall des Publicums war eine doppelte Demonstration, er galt den pikanten Anspielungen des Stückes auf die Gegenwart und der eigen¬ thümlichen Lage des Autors, des Herrn Felix Pyat, der nicht einmal die Erlaubniß erhalten konnte, der ersten Aufführung seines Dramas beizuwohnen. Sie erinnern sich, daß Pyat, wegen seiner Angriffe auf den Hoffeuilletonisten Jules Janin, zwei Jahre zu sitzen verur¬ theilt wurde, und diese Zeit ist noch nicht um; indeß er wird den Er¬ folg von gestern Abend gehört und auch im Gefängniß gut geschlafen haben, besser vielleicht als Jules Janin, der noch nicht weiß, was für eine Kritik er über die neue Komödie schreiben soll. Das Stück ist sehr, sehr französisch, denn es spielt im alten Griechenland, und 'zwar in Athen, etwa 4ljl) Jahre vor Ehr. Geb. Es versteht sich von selbst, daß Athen nur eine bescheidene Folie für Paris, und daß der Held des Stückes, Diogenes, eigentlich nur ein antiker Robert Macaire ist. Auch mit der Chronologie nimmt es der Verfasser nicht sehr genau; die Zeit vor oder nach Perikles ist ihm ei¬ nerlei, und er hat Recht daran. Aus einer satyrischen Komödie will man ja nicht Geschichte lernen. Vorspiel. Wir stehen also in Athen auf einem öffentlichen Platz. Man athmet antike Luft, die Sonne des Perikles vergoldet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/181>, abgerufen am 28.04.2024.